Die Leitung soll durch Alexander Beckers (vorne) und Maurice Thums Gärten verlaufen. Sie klagen über „Zerstörungswahn“. Foto: Gottfried Stoppel
Rund 1200 Gartenbesitzer im Rems-Murr-Kreis sind vom Bau einer Wasserstoff-Pipeline und damit einhergehenden Schäden betroffen. Zwei Männer aus Waiblingen wehren sich gegen das Projekt.
Annette Clauß
27.01.2025 - 09:54 Uhr
Alte Obstbäume und bunte Blumenbeete, Weinreben und Hecken, in denen die Vögel nisten: Alexander Becker und Maurice Thum hegen und pflegen ihre Gartengrundstücke. Im Gebiet zwischen Waiblingen und der Ortschaft Beinstein haben die beiden Männer grüne Oasen geschaffen und verbringen dort sogar im Winter viel Zeit. Doch wenn dieses Frühjahr die Gartensaison beginnt, werden Alexander Becker und Maurice Thum ihre Grundstücke nicht nutzen können, sondern buchstäblich in die Röhre schauen.
Der Grund: Demnächst beginnt die Firma Terranets BW im Rems-Murr-Kreis mit dem Bau des zweiten Abschnitts der Süddeutschen Erdgasleitung (SEL). Dieser soll 2026 in Betrieb gehen. Der zweite Abschnitt der Pipeline, in der künftig Wasserstoff durchs Land transportiert wird, verläuft aus dem Landkreis Ludwigsburg kommend bis nach Esslingen via Waiblingen, Korb, Weinstadt, Kernen und Aichwald – und quer durch die Gärten von Maurice Thum und Alexander Becker. Im Rems-Murr-Kreis sind laut Terranets BW rund 1200 Grundstücksbesitzer von der Baumaßnahme betroffen.
Pipeline transportiert Wasserstoff
Um die jeweils 18 Meter langen, beschichteten Stahlrohre mit einem Meter Durchmesser im Boden zu verlegen, muss laut dem Unternehmen ein rund 2,5 Meter tiefer Graben ausgehoben werden. Dafür braucht es entsprechende Gerätschaften und reichlich Platz. Denn die Bodenschichten, die nach Angaben der Unternehmenssprecherin Marcella Kugler einzeln abgetragen werden, sollen entlang der Strecke gelagert und größtenteils wieder eingebracht werden, nachdem die Rohre verlegt sind. „Zudem wird der Arbeitsstreifen benötigt, um geeignete Baustraßen anzulegen, die die Manövrierbarkeit der Baumaschinen während der Verlegung der Rohre sicherstellen“, teilt die Firma Terranets BW mit. Die Pläne sehen einen 34 Meter breiten Arbeitsstreifen vor, in Waldgebieten sind es nur 24 Meter.
Gartenbesitzer verärgert: „Um den heißen Brei geredet“
„Mein Garten ist danach in einer Breite von rund 20 Metern kaputt. Wenn sie das Erdreich hier ausbreiten und nicht abfahren, wird das eine Steinwüste“, sagt Alexander Becker und fügt frustriert hinzu: „Als ich den Garten vor rund zehn Jahren gekauft habe, war er eine Müllkippe. Ich habe alles aufgeräumt und viel investiert – und jetzt müssen die Bäume und Hecken komplett weg.“
Maurice Thum rechnet damit, dass unter anderem die hohe Hecke aus Feldahorn, die seinen Garten umgibt, auf einer Länge von 34 Metern zerstört wird: Die Pipeline verläuft schräg durch die vordere Hälfte seines Gartens. Sicher ist, dass er sein Grundstück über viele Monate nicht nutzen können wird. Wann genau der Bau beginnt, wissen weder er noch Alexander Becker oder ihre Grundstücksnachbarn. Sie kritisieren, die Kommunikation sei mangelhaft, bei einer Informationsveranstaltung im Mai sei „nur um den heißen Brei geredet“ worden.
Leitungen für Gas und Wasserstoff: Es muss eine Menge Erde bewegt werden. Foto: dpa/Bernd Weißbrod
Wasserstoff-Pipeline soll Mitte 2026 fertig sein
Die Arbeiten im Rems-Murr-Kreis sollen bis zur Mitte des Jahres 2026 laufen, Ende 2026 soll die Trasse rekultiviert sein. Die neu gepflanzten Büsche und Sträucher sowie das frisch eingesäte Gras müssten bewässert werden, gibt Maurice Thum zu bedenken: „Ich habe hier keinen Wasseranschluss und muss daher alles mit dem Auto herkarren.“ Die als Ausgleich für die Schäden angebotenen Summen seien nicht angemessen. Für 34 Meter zerstörte Hecke soll Thum beispielsweise 340 Euro bekommen.
Die Bauherrin sagt dazu, die Flurschäden würden von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vor Ort bewertet und die Höhe der Entschädigung festgelegt. „Auf Grundlage dieser Bewertung und Einschätzung nimmt Terranets BW Entschädigungszahlungen vor.“ Zusätzlich setze man Pauschalen und Zuschläge ein, sofern dies rechtlich zulässig sei. „Weitere, freiwillige Zuschläge widersprechen der gesetzlichen Verpflichtung, nach der die Fernleitungsnetzbetreiber ihre Gaskunden vor unangemessenen Kosten zu schützen haben.“
Wasserstoff-Pipeline: Ärger über „Zerstörungswahn“
Er verstehe, dass die Leitung nötig sei, sagt Maurice Thum, doch er ärgert sich über „den Zerstörungswahn“, der mit dem Projekt einhergehe. Er würde sich wünschen, dass der Arbeitsstreifen schmaler ausgelegt wird oder – noch besser – dass die Rohre nicht in offener Bauweise, sondern mittels Tunnelbohrungen verlegt werden. Dies ist andernorts teils der Fall – zum Beispiel bei einem Weingut nahe Heidelberg. Auf der Internetseite von Terranets BW heißt es dazu, dieses Verfahren, das deutlich kostspieliger ist, komme „aus technischen Gründen“ nur zum Einsatz, wenn Straßen, Flüsse oder Bahngleise auf der festgelegten Trasse liegen.
Nach Abschluss der Arbeiten muss rechts und links der Trasse ein fünf Meter breiter Schutzstreifen frei bleiben. „In diesem Bereich sind keine baulichen Anlagen erlaubt“, teilt die Firma mit. Jeweils drei Meter links und rechts der Leitung dürften zudem keine tiefwurzelnden Pflanzen gesetzt werden.
Süddeutsche Erdgasleitung (SEL) wird in offener Bauweise verlegt
Die Gartenbesitzer müssen Terranets BW Nutzungsrechte für ihr Grundstück überlassen, damit die Firma Zugang zur Wasserstoffleitung hat. Dafür erhalten die Eigentümer eine Entschädigung – wenn sie einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet haben. Maurice Thum und Alexander Becker haben ihre Verträge im Juli vergangenen Jahres zugeschickt bekommen, diese bislang aber nicht unterschrieben. Sie berichten, andere Gartenbesitzer in der Nachbarschaft warteten noch auf einen Vertrag.
„Zum jetzigen Zeitpunkt konnten nicht alle Vereinbarungen abgeschlossen beziehungsweise Vertragsunterlagen noch nicht zugestellt werden. Diese sollen schrittweise in den kommenden Monaten abgeschlossen werden“, teilt das Unternehmen dazu mit. Ehe der Leitungsbau beginnen kann, muss Terranets BW zudem Plätze finden, auf denen die jeweils 13 Tonnen schweren Stahlrohre zwischengelagert werden können. Auch da sind private Grundstücksbesitzer betroffen und die Verhandlungen offenbar nicht immer ganz einfach. In Kernen-Stetten zum Beispiel, wo die Bauherrin ursprünglich einen Rohrlagerplatz einrichten wollte, hat sie mittlerweile „aus organisatorischen Gründen“ darauf verzichtet und einen alternativen Standort gewählt.
Maurice Thum und Alexander Becker haben inzwischen einen Rechtsanwalt um Unterstützung gebeten. Der Ratschlag des Juristen war, zunächst abzuwarten. „Aber falls jemand das Grundstück unbefugt betritt, sollen wir die Polizei benachrichtigen und Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstatten“, sagt Alexander Becker.