Ein Selbstversuch im Weihnachtsmarkt-Hopping von Schorndorf nach Waiblingen und Winnenden bis Backnang wirft die Frage auf, warum man hierzulande die Anziehungskraft des Dosenwerfens noch nicht erkannt hat.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Rems-Murr-Kreis - Vor ziemlich genau sechs Jahren haben wir Sie an dieser Stelle mit einem vorweihnachtlichen Experiment konfrontiert. Sie erinnern sich nicht mehr? Es ging darum, ob eine Reise über vier der schönsten Weihnachtsmärkte des Rems-Murr-Kreises an einem Nachmittag einerseits möglich und ob das andererseits für eine vierköpfige Familie ohne bleibende psychische Schäden zu bewerkstelligen ist. Beides konnte damals – mit kleineren Einschränkungen – bejaht werden.

 

Die seinerzeit fast zwei- und fünfjährigen Söhne sind größer und älter geworden, die Eltern leider nur älter, nicht weiser. Anders lässt sich die Frage nach einer Wiederholung der Expedition über die Epizentren der Heimeligkeit in Schorndorf, Waiblingen, Winnenden und Backnang wohl kaum erklären. Der ältere der Söhne mit dem erstaunlichen Langzeitgedächtnis ist jedenfalls gegen gewisse Auflagen zu einer abermaligen Exkursion bereit: „Wenn wir diesmal die gebrannten Mandeln gleich zu Anfang kaufen und auf jedem der Märkte eine Bratwurst probieren können.“ „Und wenn wir Dosen werfen dürfen.“ Die Forderung des offensichtlich adventlich etwas verwirrten jüngeren Bruders wird zum Zwecke der erfolgreichen Mehrheitsentscheidung im Familienrat nicht weiter hinterfragt.

15.10 Uhr, Ankunft in Schorndorf. Schon kurz nach dem Ausstieg aus dem Auto wird klar, dass die Kinder zu dünn angezogen sind. Gut, dass es das Kaufhaus Bantel gibt. Auf dem Weg in die fünfte Etage säuselt Weihnachtsmusik durch das Haus, die eindeutig nicht aus der Konserve kommt. Ganz oben unter dem Dach, in der Sportabteilung, hat eine tapfer fidelnde Jugendgeigergruppe ein Plätzchen zugewiesen bekommen und macht den Kauf von Fleecepullis und Schals zum Erlebnis.

Gut eingepackt werden an den ersten beiden Ständen auf dem Weihnachtsmarkt dann die Auflagen eingelöst: Es gibt gebrannte Mandeln mit Thüringer. Der Vorschlag, sich doch erst einmal eine Wurst zu teilen, wird abgelehnt. Während sich die Mutter geduldig in die Schlange einreiht, kann der Rest das Budenangebot taxieren. „Oh, da ist ein Karussell“, ruft der Jüngste, „dann gibt es bestimmt auch Dosen werfen.“ Gibt es erstaunlicherweise aber nicht. Glühpirinha und Glühbier ist leider auch keine Alternative, die man in Erwägung ziehen könnte. Die Wurst mit Ketchup aber ist hervorragend: „Können wir gleich noch eine?“ Die Kinder werden auf Waiblingen vertröstet, mit gebrannten Mandeln milde gestimmt, die neuen Klamotten notdürftig von klebriger roter Soße befreit.

Auf geht’s nach Waiblingen. Der Große hat sein Ziel schon vor Augen: „Da ess’ ich dann eine Currywurst“, sagt er bestimmt und reibt sich in Vorfreude den Bauch. Der Kleine hofft weiter aufs Dosen werfen. Während der Fahrt muss die Mutter feststellen, dass noch nicht einmal eine Anstandsmandel für sie übrig geblieben und ihr Sohn, dass Mc Donalds am Rande der B 29 kein möglicher Zwischenstopp vor dem Waiblinger Weihnachtsmarkt ist.

16.25 Uhr, die Currywurst am Stand von Metzger Weißschuh mundet allen Widrigkeiten zum Trotz bestens. Ein Stehtisch auf circa 1,40 Metern Höhe erweist sich für einen ebenso großen Jungen nämlich nur als suboptimal. Vielleicht macht er auch deshalb nach der Hälfte schlapp und verkündet, fortan keine Wurst mehr essen zu wollen. Eine freundliche Fachverkäuferin der Metzgerei gesellt sich zu den Jungs und überreicht ihnen einen Adventskalender. „Wenn ihr so ein Türchen aufmacht“, sagt sie, „dann bekommt ihr eine Wurst umsonst“. Der Junior nickt freundlich, wenn auch mit etwas gebremster Euphorie – und sagt, dass er jetzt erst einmal nach dem Dosenwerfen-Stand schauen wolle.

Wer bitte ist die Kellyfamily?

Er muss seine Hoffnung auf Winnenden setzen. Dort freilich überrascht eine ganz anderen Attraktion. Vom Marktplatz her erschallt eine glockenhelle Stimme. „Klingt wie die Kellyfamily“, sagt die Mutter und behält sogar bedingt recht: Kathy Kelly – wenn auch ohne Family – singt ihren neusten Song live auf dem Winnender Weihnachtsmarkt. Unglaublich, aber wahr.

Der Eindruck bei den Kindern hält sich in Grenzen. Man besinnt sich aufs Kulinarische. Die Frage, ob tatsächlich noch Wurst und Mandeln gewünscht werden, wird mit einer Gegenfrage beantwortet. „Was kann man hier sonst noch machen?“, fragt der Große. „Dosen werfen?“, fragt sein Bruder. Um es kurz zu machen: auch auf dem Winnender Weihnachtsmarkt fehlt das heiß begehrte Angebot. Die Wurst wird gegen ein Steakbrötchen eingetauscht, die Mahlzeit durch zwei kandierte Bananen ergänzt – und um 17.55 Uhr der Beschluss gefasst, den Backnanger Weihnachtsmarkt wegen mangelnder weiterer Magenkapazität auszulassen.

Was also lehrt uns das Experiment? Vier Weihnachtsmärkte an einem Nachmittag sind einer zu viel. Und Dosenwerfen ist eine echte Marktlücke.