Staatsversagen zulasten der Autofahrer und der Volksgesundheit, organisierter Betrug bei der Industrie und Desinteresse bei der Kanzlerin und ihrer Regierung – Renate Künast spart im Diesel-Skandal nicht mit Kritik.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Die Autoindustrie ist in Misskredit. VW, Audi und Porsche haben in ihren Dieseln illegale Abschalteinrichtungen genutzt. Auch Modelle anderer Hersteller überschreiten im realen Straßenverkehr die NOX-Grenzwerte um ein Vielfaches. Vom Diesel-Gipfel fordert Renate Künast eine Wende in der Autopolitik.

 
Frau Künast, was erwarten Sie als Vorsitzende des Verbraucherausschusses vom Diesel-Gipfel?
Ich erwarte, dass endlich Schluss ist mit der schützenden Hand über dem systematischen Betrug der Autohersteller. Das organisierte Wegsehen ist ein Staatsversagen zulasten der Autokunden und unser aller Gesundheit. Mindestens muss bei diesem ersten Schritt ernsthafter Aufarbeitung, mehr ist der Gipfel ja nicht, rauskommen, dass auf Kosten der Automobilhersteller eine echte Nachrüstung erfolgt.
Was muss für die Diesel-Besitzer bei diesem Treffen rausspringen?
Es muss verpflichtende Rückrufe und eine Nachrüstung geben, die tatsächlich die Schadstoffwerte einhält. Es sollte einen pauschalen Schadensersatz geben, wie in den USA. Ich erwarte, dass die Automobilindustrie die Gewährleistung garantiert und sich nicht wieder raus redet. Aber wir brauchen auch die klare Ansage von der Bundesregierung, dass sie sich einsetzt für eine unabhängige europäische Zulassungsbehörde: Kartellklagen müssen zehn Jahre lang und Gruppenklagen generell möglich sein. Außerdem brauchen wir eine Umweltplakette für besonders emissionsarme Autos und Tests unter realen Bedingungen.
Viele Automobil-Hersteller haben im Vorfeld des Treffens freiwillige Software-Updates angeboten. Reicht das aus?
Freiwillig war früher. Angesichts dessen, was wir heute wissen, wäre das lächerlich. Die Bundesregierung muss also eine klare Aussage zu verpflichtenden Rückrufen treffen. Sie darf nicht nur den Software-Betrug beseitigen, sondern muss für niedrige Abgaswerte sorgen.
Wenn es nicht nur um Software, sondern auch um echte Nachrüstungen bei Motoren und Antriebssystemen geht, wird es technisch kompliziert, langwierig und teuer. Ist die Industrie ihren Kunden solche Nachrüstungen schuldig?
Ja. Denn sie hat Autos verkauft, die der Euro 5 oder Euro 6 Norm entsprechen sollen, aber das tun sie nicht.
Wer zahlt?
Der Verursacher.
Sind die Stickoxid-Grenzwertüberschreitungen bei Dieseln der größte Verbraucher-Beschiss der letzten zwanzig, dreißig Jahre?
Es ist jedenfalls einer der großen Verbraucherskandale neben denen der Lebensmittelindustrie und Banken.
Ist die Autoindustrie so systemrelevant für die Volkswirtschaft, dass das der Politik bei der Bereinigung des Diesel-Skandals Fesseln anlegt?
Die größte Fessel ist, dass die Bundesregierung eine Antwort geben muss, warum sie sich nicht um 10 000 Todesfälle geschert hat und wie sie Rechtstreue von den Bürgern einfordern will, wenn Automobilkonzerne das Recht systematisch brechen dürfen. Wir sind als Politiker gewählt, um Sachverhalte einer Lösung zuzuführen. Hier heißt es, Gesundheit, Umwelt, Verbraucherrechte, Mobilität und Jobs in der Automobilindustrie für die Zukunft zusammen zu bringen. Wer weniger liefert, hat versagt. Jetzt brauchen wir ein ordentliches Konzept und einen verbindlichen Fahrplan.
Was ist aus Ihrer Sicht besser für Luftreinhaltung, Gesundheitsschutz, Klimaschutz und Eigentumsschutz der Diesel-Besitzer: Das Steuerprivileg für Diesel zu streichen oder eine Abwrackprämie zu Gunsten sauberer Diesel einführen?
Maßnahmen müssen sofort wirken: Der Ausstoß der Dieselfahrzeuge muss umgehend halbiert werden und die Rückrufe zur Nachrüstung müssen verbindlich sein. Die Dieselsubventionen gehören schrittweise abgebaut. Das gesparte Geld wollen wir in moderne Mobilität investieren. Für ältere Dieselfahrzeuge der Euro 5-Norm sollte eine befristete Umstellungsprämie eingeführt werden, für den Kauf eines emissionsfreien Autos. Weitere Forderungen stehen in unserer „ Mission E – Grüner Zukunftsplan für das emissionsfreie Auto.