Die einstige Politikerin, Gewerkschafterin und Historikerin Renate Stäbler feiert ihren 80. Geburstag.

Leonberg - Wer aus einem sozialdemokratischen und antifaschistischen Elternhaus kommt, einen „roten“ Großvater hat, den die Nazis ins KZ Heuberg gebracht und aus dem öffentlichen Dienst entfernt haben, kann sich dieser Prägung nicht entziehen. Das gilt auch für die ehemalige Gewerkschafterin, Politikerin und Geschichtsforscherin Renate Stäbler, die am Donnerstag in Warmbronn ihren 80. Geburtstag feiert.

 

Eine Frau der lauten Worte ist die Jubilarin nicht, aber das muss sie auch nicht sein. Leise Töne finden auch Gehör, wenn das Herz dahinter mit Überzeugung für eine Sache schlägt. Streitbar und meist in der Opposition, mit einem Herz, das so links schlägt, dass Rechte aufhorchen und manchmal sogar ihre Genossen erschrecken, das ist Renate Stäbler. „Rückblickend kann ich sagen, dass ich trotz mancher Schicksalsschläge viele sehr schöne Jahre hatte. Bei allem Engagement für Politik, Gewerkschaft und Lokalgeschichte blieb mir noch Zeit für wunderschöne Reisen und zum Wandern. Und ich konnte mich mit Musik und bildender Kunst befassen“, meint Renate Stäbler.

„Weil ich das Engagement für die Mitmenschen und die Tradition, sich politisch einzumischen, mit in die Wiege gelegt bekommen habe, bin ich mit 23 Jahren aus Überzeugung der SPD beigetreten“, sagt Renate Stäbler. Aus der gleichen Überzeugung hat sie 1967 den Sozialdemokraten für zwei Jahre den Rücken zugekehrt, weil damals die erste große Koalition die Regierungsgeschäfte übernommen hatte.

Über Umwege nach Leonberg

Nach dem Abitur und der Ausbildung zur physisch-technischen Laborantin wollte die Stuttgarterin eigentlich studieren, doch in der Baufirma des Vaters wurde eine Assistentin gebraucht – und sie sprang ein. Im Jahr 1969 kam sie nach Leonberg, wo in der Leonberger Bausparkasse ein „Finanzierungssachbearbeiter“ gesucht wurde. In dieser Zeit des Wandels wollte Renate Stäbler an den gesellschaftlichen Veränderungen mitwirken und hat sich deshalb in der Leobau gewerkschaftlich engagiert. Bereits 1972 wurde sie in den Betriebsrat gewählt und von 1975 bis 1995 war sie Betriebsratsvorsitzende in Leonberg und Gesamtbetriebsratschefin von 1977 bis 1995 und bis 1998 Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat der Leobau, obwohl sie 1995 in den betrieblichen Vorruhestand eingetreten war.

Zu ihrer Zeit war mehr als die Hälfte der Leobau-Belegschaft gewerkschaftlich organisiert und Renate Stäbler hat den ersten Bausparkassenstreik in der Bundesrepublik Deutschland organisiert. Wichtige Betriebsvereinbarungen trugen ihren Stempel: Frauenförderpläne, betriebliche Altersversorgung der Teilzeitbeschäftigten (99 Prozent Frauen), Rationalisierungsschutzabkommen, Vereinbarungen zur Gestaltung der Bildschirmarbeitsplätze, flexible Arbeitszeit (Vereinbarkeit von Familie und Beruf).

„Ich war immer für Power, aber nie für Gewalt“

Konflikte hat Renate Stäbler nie gescheut, sie ist an ihnen gewachsen. Das Streitbare haben die Menschen an ihr geschätzt. „Ich war immer für Power, aber nie für Gewalt“, hat das 1,55 Meter große Energiebündel einmal gesagt. So war es nur folgerichtig, dass Renate Stäbler als erste Frau gemeinsam mit der türkischen Betriebsrätin Mine Moray aus Villingen-Schwenningen im Jahr 1986 den Hans-Böckler-Preis des Deutschen Gewerkschaftsbundes erhalten hat. Für ihr ehrenamtliches Engagement ist die Jubilarin 2007 auch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

Im Jahr 1971 ist Renate Stäbler auch der Arbeiterwohlfahrt beigetreten, etwa 20 Jahre lang war sie aktives Mitglied im Vorstand des Ortsvereins Leonberg bis sie 2017 altershalber ausgeschieden ist. Für ihre Sozialdemokraten hat sie 20 Jahre im Böblinger Kreistag gewirkt, wo sie die Stelle der Kreis-Frauenbeauftragten und die Beratungsstelle thamar mitinitiiert hat . Für ihr Engagement hat ihr der SPD-Kreisverband 2011 den Adolf-Mirkes-Preis verliehen. Und zu ihrem 75. Geburtstag hat Verdi einen Sitzungssaal nach ihr im Stuttgarter Gewerkschaftshaus benannt.

Im Ruhestand an die Uni

„Ich bin ein politischer Mensch, da führt kein Weg an der Geschichte vorbei“, begründet Renate Stäbler den Entschluss, warum sie im Ruhestand begonnen hat als Gasthörerin Geschichte und Politik an der Universität Stuttgart zu studieren. Das tat sie mit ihrer Partnerin, der Journalistin Monica Mather. Und wer sich in Leonberg mit Geschichte beschäftigt, kommt nicht an dem KZ vorbei, das hier in den beiden letzten Kriegsjahren eingerichtet war. Und so wurden Stäbler und Mather 1999 Gründungsmitglieder der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg. Renate Stäbler war im Vorstand tätig, zudem war sie die Initiatorin des „Wegs der Erinnerung“ und sie hat viele Jahre Führungen zur KZ-Geschichte begleitet. Beide waren Mitautorinnen des Buches „Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg“.

Ab 2001 hat Renate Stäbler zusammen mit Monica Mather lokale Geschichtsforschung betrieben. Veröffentlicht wurden „Schwierigkeiten des Erinnerns“ – die Rezeptionsgeschichte des KZ Leonberg, „Historische Spuren von Beginen im Leonberger Raum“ und „Warmbronn – Geschichte eines altwürttembergischen Fleckens“. „Im Jahr 2010 erlebte ich mit dem Tod von Monica Mather einen schweren Verlust und habe lange Zeit mit den Schmerzen der Trauer gekämpft. Schließlich habe ich aber meinen Lebensmut und meine Lebensfreude wieder gefunden“, sagt Renate Stäbler heute. Als Alleinautorin hat sie im Jahr 2013 „Bauernführer, Hexen, Mägde, Schultheißen“ herausgebracht. Zudem hat sie mehrere Aufsätze über das Wirken früherer Unternehmerinnen in Leonberg und Eltingen verfasst.

Positiver Blick in die Zukunft

Gefeiert wird der 80. Geburtstag im Hirsch. „Bei unserem Griechen“, wie Renate Stäbler liebevoll sagt. Hier sei 1969 der SPD-Stammtisch aus der Taufe gehoben worden, aus dem viele örtliche SPD-Kommunalpolitiker hervorgegangen sind. „Mit dem Wirt, einem glühenden Anhänger der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), haben wir, wenn die Gaststätte schon längst geschlossen hatte, bis spät in die Nacht über die Sozialdemokraten in beiden Ländern diskutiert“, erinnert sich Renate Stäbler. Eingeladen zur Feier ist auch Bernd Riexinger, einer der beiden Bundesvorsitzenden von Die Linke. Der in Leonberg geborene Politiker und Verdi-Gewerkschaftssekretär ist ein langjähriger Weggefährte noch aus der Leobau-Zeit.

„Trotzdem ich inzwischen stark gehbehindert bin, unternehme ich noch viel“, sagt Renate Stäbler im Rückblick. „Obwohl selbst nicht religiös, kann ich mit Dieter Bonhoeffer sagen, dass ich mich von guten Mächten geborgen fühle und getrost erwarte, was da kommen mag.“