Am 21. März hat das neue Hausprogramm „Wohin mit Stuttgart“ Premiere im Renitenz Theater: Horror-Nachrichten aus Stuttgart

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart Am 21. März hat das neue Hausprogramm „Wohin mit Stuttgart“ Premiere im Renitenz Theater: Horror-Nachrichten aus Stuttgart. -

 

Herr Weingarten, „Wohin mit Stuttgart“ ist der Titel des neuen Hausprogramms, das am 21. März Premiere hat im Renitenz Theater. Wohin geht es denn in dem Stück mit Stuttgart?

Der Ausgangspunkt ist folgender: Mitten in die Feierlichkeiten des neu eröffneten Planetariums platzt die Horrornachricht, dass ein Kometeneinschlag in genau 92 Tagen Stuttgart und seinen Speckgürtel vernichten wird. Das wirft existenzielle Fragen auf. Wie soll man denn so kurzfristig all die Bürger retten?

Das sind sehr schlechte Aussichten. Hat das etwas mit Stuttgart 21 zu tun?

Stuttgart 21 ist natürlich mit dabei. Aber es geht noch um vieles andere. Das sind Fragen wie: Wird es bis zum Einschlag Fahrverbote für Diesel geben? Was geschieht, wenn die Schwaben plötzlich zu Flüchtlingen werden? Schließen die Badener ihre Grenzen, weil sie nicht alle aufnehmen können?

Das Renitenz Theater ist ja eine Kabarettbühne. Gibt es da auch noch was zum Lachen?

Jede Menge sogar. Bei uns gilt das Motto „Gescheit lachen“. Das bedeutet beim neuen Hausprogramm: Wir holen politisches Kabarett auf unsere Bühne und verkleiden es mit den Mitteln des Boulevard-Theaters als Katastrophen-Blockbuster im Mikrokosmos. „ Wohin mit Stuttgart?“ zeigt eine spannende, fiktive Geschichte, die sich rasant zuspitzt, und die vom Hausensemble, das auch bei den eigens komponierten Songs im Stück stimmlich brillieren kann, mitreißend-komisch gespielt wird. Ein „Knaller“ folgt auf den anderen! Und mögliche Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig! Es gibt viel zu lachen, versprochen!

Wer tritt denn da so im Einzelnen auf?

Da gibt es Rainer Fritzelmann, der dynamische Büroleiter des Stuttgarter Oberbürgermeisters. Und es gibt die Spitzenastronomin Ayse Gürüncü-Hämmerle. Sie kämpfen in dem Dickicht von Kompetenzgerangel, Verordnungen, Lobbyismus und aufkommender Panik, um möglichst viele Bürger zu retten. Und dann ist da noch Petra Klöppel, eine sensationslüsterne Journalistin eines lokalen Fernsehsenders.

Nimmt das Ganze dann wenigstens ein gutes Ende?

Ob es ein Happy End gibt, das muss sich jeder Zuschauer schon selbst anschauen. Auf jeden Fall wird es für alle ziemlich überraschend enden.

Wie lange gibt es denn die Gelegenheit, sich dies anzuschauen?

Wir haben etwas mehr als 20 Vorstellungen für 2019 angesetzt. Neu ist, dass wir das Hausprogramm über das ganze Jahr verteilen und zwar nun immer mit 2 bis 3 Tagen pro Monat.

Bisher haben Sie die jährlich wechselnden Hausproduktionen quasi in einem Block gespielt. Weshalb machen Sie nun die Verteilung auf das ganze Jahr?

Das hat eindeutige Vorteile: Wir können die Geschichte, die ja möglichst nah dran sein soll am wahren Geschehen und an den Nachrichten rund um unsere Stadt und in der Welt, je nach Lage und Situation aktualisieren. Das Stück stammt ja aus der Feder von Thilo Seibel, der selbst mitspielt und daher jederzeit Texte anpassen kann. Das war auch von Anfang an mit Hans Holzbecher so konzipiert. Er ist ja bekannt als Hausregisseur des Düsseldorfer Kom(m)ödchens und hat nun - wie schon beim vorausgegangenen Hausprogramm „Der Maulwurf“ - erneut bei uns Regie geführt. Außerdem ist es nun mal auch so, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man jemand holen konnte, der dann verlässlich für eine oder gar für drei Wochen Abend für Abend das Haus gefüllt hat. Mir ist als Intendant eine gute Mischung aus wechselnden Künstlern, aus Überraschungen und Neuentdeckungen wichtig, und dazu das Hausprogramm als wiederkehrender Programmpunkt, sozusagen als verlässliches Fundament, übers ganze Jahr präsent.

Auch die anderen, noch wenigen verbliebenen Kabarettbühnen im Land wie die Lach- und Schießgesellschaft in München oder die Wühlmäuse in Berlin pflegen wieder verstärkt ihre Ensembles.

Im Kabarett kennen Sie sich ja wirklich gut aus: Seit 2004 leiten Sie das Renitenz-Theater, jetzt haben Sie Ihren Vertrag bis 2023 verlängert. Wie beurteilen Sie aus dieser Erfahrung heraus die Entwicklung im Kabarett?

Die Vielfalt ist wesentlich größer geworden. Heute gibt es neben politischen Kabarettisten eine Unzahl von Comedians, Stand-Up-Comedians , Poetry Slammern, Musik- und Chanson-Kabarettisten.

Die Comedy hat in den 1990er Jahren durch das Fernsehen das politische Kabarett überlagert.

In den letzten Jahren haben wir aber glücklicherweise wieder eine starke Ausrichtung zum politischen Kabarett durch bundesweit ausgestrahlte Satire-Sendungen. Ihre Köpfe sind allen bekannt: Max Uthoff, Claus von Wagner, Christoph Sieber, Tobias Mann, Christian Ehring, Florian Schroeder oder auch Christine Prayon, einer breiten Öffentlichkeit aus der ZDF heute-show als „Birte Schneider“ bekannt. Sie alle haben hier im Renitenztheater angefangen. Christine Prayon hat sogar jahrelang hier im Renitenz-Ensemble in den Hausproduktionen mitgespielt, bevor sie als Kabarettistin durchstartete, wofür sie eben mit dem hoch angesehenen Dieter-Hildebrandt-Preis ausgezeichnet wurde. Jetzt sind sie alle die neue Generation der politischen Kabarettisten und haben sich zur Elite des deutschen politischen Kabaretts entwickelt.

Mathias Richling gehört da natürlich auch zu jenen, die dem Renitenz viel zu verdanken haben.

Mathias Richlings Karriere ist ja schon legendär. Er begann Mitte der 1970er Jahre und ist zu einem der bedeutendsten Kabarettisten der Nachkriegsgeschichte geworden. Er steht nach wie vor auf allen Kabarettbühnen der Republik und hat seine regelmäßigen satirischen Fernsehsendungen. Seine Karriere begann im Renitenztheater und ich freue mich, dass er uns die Treue hält und regelmäßig bei uns gastiert.

Und wie steht es um das politisch-gesellschaftliche Engagement?

Durch die Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung und die Stuttgarter Städtepartnerschaften konnten wir jahrelang im Rahmen des Projektes „grenzenlos-politisch-satirisches Theater in Europa“ kulturellen Austausch pflegen mit Samara, Łódź, Straßburg, Brünn, Sibiu (Hermannstadt), Temeswar und Split. Heute sind daraus im Jugendbereich Schulprojekte mit Austausch in Samara entstanden und Hausproduktionen, für die wir eigene Stücke verfassen lassen, und die ebenfalls in Samara zur Aufführung kommen. Außerdem veranstalten wir gemeinsam mit dem Deutsch-Türkische Forum schon zum 15. Mal die Deutsch-Türkische Kabarettwoche, die durch die Problematik mit der Türkei gerade in den letzten Jahren an Brisanz gewonnen hat. Im Rahmen des Kabarettfestivals veranstalten wir in Kooperation mit dem Fernsehen und Hörfunk den Kabarett-Wettbewerb „Stuttgarter Besen“ und fördern damit kontinuierlich seit zweiundzwanzig Jahren Künstler. Auch in unserem jährlich stattfindenden Chansongfest präsentieren wir immer wieder Interpreten mit politischen und gesellschaftskritischen Songs. Darüber hinaus finden bei uns immer wieder Podiumsgespräche und Diskussionsrunden statt, etwa zur Flüchtlingsthematik oder jetzt zu kulturellen und nationalen Verschiedenheiten mit Cacau, Erwin Staudt und Idil Baydar anlässlich der Eröffnung der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche am 13. April. Mir ist wichtig, unser Programm attraktiv und aktuell zu halten und unsere Bühne immer wieder neu mit Leben zu füllen. Dazu gehört, dass wir auch regelmäßig über weitere Ideen, Angebote und Kooperationen nachdenken.

Ganz offensichtlich haben Sie noch viel vor mit diesem Haus. Denken Sie da nicht auch daran, das eine oder andere Jubiläum zu feiern? 2024 könnten Sie etwa 20 Jahre Leitung des Hauses feiern?

Auf jeden Fall wird im April 2021 die Gründung des Renitenz Theaters vor 60 Jahren durch Gerhard Woyda gefeiert.

Apropos Woyda: Er hat Sie ja schon in Ihren jungen Jahren nach Stuttgart an seine Bühne gelockt. Da wären noch ganz andere Jubiläumsdaten denkbar.

Das ist richtig! Woyda begegnete ich 1974 in Südfrankreich. 1976 kam ich zum ersten Mal zu Besuch ins Renitenz und 1978 begann ich hier in Stuttgart meine Schauspielausbildung. Woyda selbst hat mich dazu ermutigt, und ich bin ihm dafür unendlich dankbar. Während dieser Zeit gab er mir auch die Chance, mich im Renitenztheater einzubringen und die Leitung einer Kabarettbühne hautnah kennenzulernen. Durch eine lebensbedrohende Erkrankung fiel Woyda aus, und ich übernahm interimsmäßig mit seiner damals hochbetagten Mutter viele Monate die Leitung des Theaters. Nachdem er wieder selbst das Steuer übernahm, konnte ich mich neuen Aufgaben widmen. 1987 ging ich nach New York und dann 1989 nach Berlin als Schauspieler. Aber Woyda holte mich wieder nach Stuttgart und hat mich zu seinem Stellvertreter gemacht. Als es um seine Nachfolge ging, gab es eine bundesweite Ausschreibung. Acht Bewerber wurden persönlich eingeladen, darunter ich. Nach meiner Wahl durch eine Findungskommission wurde ich ab 2004 Intendant des Renitenztheaters. Neben dem künstlerischen und wirtschaftlichen Konzept musste eine neue Infrastruktur für das Theater entwickelt werden. Mit dem neuen Standort im Hospitalviertel ließ sich das bestens gestalten. Heute zeigt sich, dass wir in diesem rundum aufgewerteten Quartier hervorragend aufgehoben sind. Und hier können wir übrigens 2020 ein weiteres Jubiläum feiern: 10 Jahre im Hospitalviertel!

Dann bleiben Sie dem Haus also noch lange erhalten?

Es ist nicht einfach aus einem nach wie vor erfüllten Theaterleben den richtigen Zeitpunkt für einen Ausstieg zu finden. Aber es ist auch nicht gut zu warten, bis die Leute sagen „Jetzt wird´s aber Zeit, dass er aufhört!“. Was ich aber mir und dem Haus einmal wünsche, ist ein fließender und guter Übergang. Bis dahin gibt´s bestimmt noch viele Jubiläen zu feiern!