Eine syrischer Arzt flieht mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in der Heimat ins Schwäbische. Jetzt kehren sie wieder zurück – wegen Heimweh und mangels beruflicher Perspektiven.

Renningen - Die Koffer sind längst gepackt. Deutsche Schokolade muss mit,dazu bunt bemalte Wandteller aus dem Ländle als Souvenir. Und Maultaschen? „Ah, Sie meinen diese gefüllten Teigstücke?“, fragt Wasem Alchoufi (der Name wurde von der Redaktion geändert) und hält kurz inne, als würde er sich das Geschmackserlebnis noch mal in Erinnerung rufen, um dann die schwäbische Spezialität in den höchsten Tönen zu loben. „Meine Frau und ich haben sie probiert, und es war super!“ Doch nein, Maultaschen kämen nicht mit auf die Reise.

 

Diese Reise geht zurück in die Heimat nach Syrien. Zunächst mit dem ICE nach Berlin, dann fliegen die Alchoufis mit ihren drei Kindern nach Teheran, bevor sie mit einer Maschine der „Cham Wings Airline“ in Damaskus (arabisch: Dimaschq) landen. Von Europa aus wird die syrische Hauptstadt kaum mehr angeflogen.

Warum ausgerechnet Syrien?

„Um Himmels Willen, ausgerechnet Syrien!“, wird sich jetzt der ein oder andere ungläubig an den Kopf fassen. Der seit fünf Jahren andauernde Bürgerkrieg hat schließlich mehr als 400 000 Menschenleben gefordert und fünf Millionen in die Flucht geschlagen. Doch Wasem Alchoufi beschwichtigt: „Die Lage in der Hauptstadt ist sicher.“

Der Großraum von Damaskus sei unter Kontrolle der syrischen Armee. „Das Leben geht seinen gewohnten Gang“, weiß der 45-Jährige, der in ständigem Kontakt mit seiner Familie in dem wenige Kilometer vom Zentrum entfernten Vorort Dscharamana steht. Dort ziehen die Alchoufis nach ihrer Rückkehr auch wieder in ihr altes Haus ein.

Seit einem Jahr lebt die syrische Familie in Malmsheim, wo sie sich allmählich eine neue Existenz aufbaute – der Aufenthalt wurde ihnen für drei Jahre gewährt. Warum also jetzt alles über den Haufen werfen? „Es sind vor allem die beruflichen Perspektiven“, sagt der Familienvater. In Damaskus war Alchoufi leitender Arzt in der Onkologie und Radiotherapie am größten Klinikum im Land. Trotz hervorragender Zeugnisse, der Spezialisierung in Frankreich sowie der Erfahrung von zehn Jahren als Facharzt und sechs Jahren als Chefarzt, lag hier seine Approbation noch in weiter Ferne.

B1, C1 – welches Niveau wird verlangt?

Das Problem war die Sprache. Nachdem er sich um einen Kurs an der Volkshochschule bemüht und diesen aus eigener Tasche bezahlt hatte, bestand er zwar die B1-Sprachprüfung. Doch für eine ärztliche Tätigkeit wird das höhere Sprachniveau C1 vorausgesetzt. Dafür hätte er noch ein halbes Jahr investieren müssen. Bis die Ärztekammer ihren Segen gegeben hätte, wären weitere Monate verstrichen.

Ein Professor am Stuttgarter Marienhospital habe ihm zwar zugesichert, er könne ein Praktikum absolvieren. „Doch dann bekam ich eine Absage, weil sie selbst für das Praktikum C1 verlangten“, sagt er kopfschüttelnd. Ohne Deutsch ist es auch für seine Frau nicht möglich, in ihrem Beruf zu arbeiten. Sie war früher Pressereferentin im Landwirtschaftsministerium. Nach der Rückkehr können sie wieder in ihren alten Jobs einsteigen.

Die Sehnsucht der Kinder nach den Verwandten hätte die Sache nicht einfacher gemacht. Dann waren noch die Probleme in der Schule, die vor allem dem 16-Jährigen schwer zusetzten. „Anders als meine Töchter machte er nur langsam Fortschritte im Deutschunterricht, was auch daran lag, dass er wegen der Anspannung zu stottern begann“, berichtet er. Am Ende habe der Sohn vorgeschlagen, dass er alleine nach Syrien zurückgehe. Dort hoffte er auf einen besseren Schulabschluss, um später gute Karten für ein Studium zu haben. „Dass er ohne uns fliegt, kam aber nicht in Frage“, sagt der Vater.

Immer mehr kehren zurück

Die Zahl der Flüchtlinge, die sich wieder in Richtung Heimat aufmachen, steigt. Waren es im vergangenen Jahr rund 35 000 Migranten (Kreis Böblingen: 524), die im Rahmen eines Förderprogramms der Internationalen Organisation für Migration freiwillig ausreisten, wurden in der ersten Jahreshälfte 2016 bereits mehr als 30 000 Ausreisen bewilligt – und zwar unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Während das Rückkehrprogramm in der Regel vom Bund, den Ländern und der EU finanziert wird, kehren die Alchoufis auf eigene Kosten zurück. Das Geld haben sie sich von der Familie geliehen. Eine Ausreise nach Syrien wird aufgrund der Sicherheitslage nicht unterstützt.

Alchoufi gesteht, dass er mit anderen Erwartungen gekommen ist. „Ich dachte, es geht schneller, dass wir eine Wohnung bekommen und auf eigenen Füßen stehen“, sagt der Mann, der seiner Ende August 2015 ausgereisten Familie im Oktober gefolgt war.

Doch was sie dann erlebten, konnten sie kaum glauben. „Meine Frau musste mit den Kindern zwei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung ausharren“, erzählt er und fügt hinzu: „Dort waren auch Leute, die man nicht auf der Straße treffen möchte.“

Später in der Malmsheimer Gemeinschaftsunterkunft hätten sie zu fünft ein Zimmer bewohnt. Doch er möchte keinen falschen Eindruck erwecken: „Ich verstehe, dass die deutsche Regierung an ihre Grenzen stößt.“

Der Alltag mit den Terroristen

Die Familie fasste den Entschluss, ihre Heimat zu verlassen, nachdem die Lage in der Hauptstadt immer dramatischer wurde. „Im April 2015 waren die Islamisten auf dem Vormarsch, in unserer Nachbarschaft wurden Menschen getötet“, berichtet er. Seine Frau und die Kinder hätten auf Einladung ihres in Frankreich lebenden Bruders ein Visum erhalten. „Für mich war aber klar, dass Deutschland besser ist für unsere Zukunft,“ sagt der 45-Jährige. So kam es, dass es die Alchoufis ins Ländle verschlug. Er selbst setzte sich am Rande eines Mediziner-Symposiums in Athen ab.

An dem syrischen Präsidenten Assad will er übrigens gar nicht rütteln. „Wir hatten keine Demokratie wie hier, aber trotzdem lebten die Menschen friedlich und sicher“, sagt der Christ. Was er sich für die Zukunft seines Landes wünscht? „Das beste wäre eine Übergangsregierung und danach Neuwahlen.“ Aber darf einer, der sein Volk bombardieren lässt, an der Macht bleiben und wird er überhaupt akzeptiert? „Ich glaube, die Menschen akzeptieren alles, wenn der Krieg einmal zu Ende ist“, sagt er.

Trotz bürokratischer Hürden und Dauerwarten in Deutschland – die Mutter und die drei Kinder müssen übrigens mit Ersatzpapieren ausreisen, weil sie seit Monaten auf die Rückgabe ihrer Reisepässe vom Landratsamt warten – wird er fast schon ein wenig sentimental beim Anblick der gepackten Koffer im Flur. „Es gibt so viele Menschen, die uns geholfen haben, und dafür möchte ich mich sehr bedanken!“, betont der Syrer, der damit nicht zuletzt Wolfgang Kreibohm, den Flüchtlingsbeauftragten des Lions Club Leonberg, meint. „Das werde ich Deutschland nie vergessen!“ Und wie wär’s mal mit Urlaub am Rankbach? „Warum nicht!“, sagt er und lächelt.