Um 1900 befindet sich auf dem Gelände am Ende der Rankbachstraße noch eine Latrinengrube. Erst Ende der Dreißiger wird daraus ein Freizeitbad.

Auf eine im wörtlichen Sinne „schmutzige Vergangenheit“ blickt das Renninger Freibad zurück. Eröffnet im Sommer 1938, hat sich auf dem Gelände zwischenzeitlich einiges verändert: Das längliche Kabinengebäude mit Turm auf der Ostseite wurde Ende der Sechziger abgerissen – nur wenige Monate nach der Aufnahme unseres historischen Luftbilds.

 

Stuttgarter Hinterlassenschaften

Einige Jahre später wurde das große Becken runderneuert. Und für die Jüngsten gibt es seit den 1980ern sogar ein Planschbecken. Doch blickt man noch weiter in der Historie zurück, offenbart sich eine äußerst überraschende Vorgeschichte: Ursprünglich hatte das Gelände nämlich einen ganz anderen Zweck. Wo heute das Freibadbecken steht, befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine große Latrinengrube, in der Fäkalien aus Stuttgart gesammelt wurden.

„Bevor es die Kanalisation gab, hatten die Menschen hinter ihren Häusern ihre eigenen Abortgruben“, erklärt der Renninger Stadtarchivar, Steffen Maisch. Dort wurden die Hinterlassenschaften der Bewohner gesammelt und später an anderen Orten entsorgt. Einer dieser Orte war die große „Fäkalsammelgrube“ in Renningen. Um 1900 wurde sie am Ende der heutigen Rankbachstraße errichtet. „Die Fäkalien wurden in Stuttgart in Kesselwagen der Reichsbahn eingeladen, hierhergebracht und in die Grube gepumpt.“

Renningen hat Stuttgart dafür bezahlt

Was für viele noch weit überraschender sein dürfte als die Geschichte selbst: Renningen hat für die Abnahme kein Geld von Stuttgart verlangt. Im Gegenteil: Renningen ließ die Grube auf eigene Kosten errichten und zahlte für das Abwasser sogar Geld an die Landeshauptstadt. „Für die Bauern war das kostbarer Dünger, den sie an der Grube einfach abholen konnten“, sagt Maisch. „Einer der Hauptabnehmer in Renningen war übrigens der Großgrundbesitzer, der den Ihinger Hof betrieben hat.“ Viele ländliche Gemeinden um Stuttgart herum hatten damals solche Sammelbecken.

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Statt Jubelrufe folgte daher ein großer Aufschrei aus Renningen, als in der Landeshauptstadt in den 1930er-Jahren eine Kanalisation errichtet und die Sammelgrube nicht mehr benötigt wurde. „Da gab es richtige Proteste des Gemeinderats und des Bürgermeisters“, so Maisch. Die Proteste beruhigten sich allerdings schnell, als nur wenige Zeit später die Idee eines Freibads aufkam. In Eltingen hatte man Ähnliches vor – während der NS-Zeit war das Thema körperliche Ertüchtigung immer stärker in den Fokus gerückt. Und Renningen wollte den Nachbarn aus Eltingen gerne zuvorkommen.

Die Eröffnung verschiebt sich mehrmals

Erst sah es mit diesem Plan ganz gut aus. Die Stadt konnte die Investition aus eigener Tasche stemmen, die Bauarbeiten gingen zügig voran. Doch zum eigentlichen Eröffnungstermin 1937 kam dann die erste Ernüchterung: „Das Becken war undicht“, erzählt der Stadtarchivar.

Und das blieb nicht der einzige Patzer. Trotz rascher Reparaturarbeiten war es beim zweiten Eröffnungstermin das gleiche Spiel: Über Nacht war das Becken wieder leergelaufen. Und selbst der dritte Eröffnungstermin musste wegen der Maul- und Klauenseuche verschoben werden. So kam es, dass das Renninger Freibad erst am 31. Juli 1938 eröffnet werden konnte, womit die Eröffnung des Eltinger Freibads – heute besser bekannt unter dem Namen Leobad – um nur wenige Tage verpasst wurde.

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Ob das große Freibadbecken exakt der ehemaligen Latrinengrube entspricht, kann Steffen Maisch nicht mit Sicherheit sagen. „Aber es ist bekannt, dass man sich an der vorhandenen Struktur orientiert hat.“ Man könne also davon ausgehen, dass zumindest der Standort des Beckens noch derselbe ist.

Der erste Bademeister konnte nicht schwimmen

Interessant ist der Blick auf die erste Badeordnung: „Bikinis und ,Dreiecksbadehosen‘ waren zum Beispiel verboten, ,ungebührlicher Lärm‘ wurde bestraft“, zählt der Stadtarchivar einige Beispiele auf. „Außerdem war Alkohol auf dem kompletten Freibadgelände verboten“, ergänzt er schmunzelnd. Die Eröffnungsfeier bildete natürlich eine Ausnahme – und was für eine: „Den Aufzeichnungen zufolge hat der Adlerwirt zur Eröffnung 1070 Liter Bier ausgeschenkt.“ Ein trauriger, aber bezeichnender Paragraf: Da die Eröffnung mitten in die Zeit der NS-Diktatur fiel, durften Juden das Freibad nicht betreten.

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Das größte Kuriosum aus der Anfangszeit des Renninger Freibads ist aber wohl dessen erster Bademeister: „Der konnte nämlich nicht schwimmen“, erzählt Steffen Maisch. Es handelte sich um einen pensionierten Polizisten. Weil er nicht schwimmen konnte, soll er immer mit einer Stange und einem Rettungsring am Beckenrand gestanden und gehofft haben, dass er nie zum Einsatz kommt. Seine Dienstzeit dauerte nicht lange – jedoch aus einem anderen Grund: „Bereits 1939 musste er gehen, weil er angeblich zu viel Chlor ins Wasser gegeben hatte.“