Die Frauen für Renningen testen, wie sehbehindertenfreundlich die Stadt ist.

Renningen - Es ist ein Sommeranfang wie aus dem Bilderbuch: blauer Himmel und zarte weiße Wolken – aber nicht für alle. Für Menschen, die eine Sehbehinderung haben oder gar blind sind, scheint die Sonne nicht, und blauen Himmel kennen sie womöglich nur aus der Erinnerung oder gar nicht. Wie finden sich diese Menschen in Renningen überhaupt zurecht, wollen die Gemeinderätinnen der Fraktion Frauen für Renningen, Resi Berger-Bäuerle, Rose Marie Fischer und Yvonne Schmidt-Schwämmle, wissen und haben dazu eine Begehung organisiert. Die Kreisrätin Karin Müller von den Grünen, die ebenfalls dabei war, kennt das Problem aus eigener Erfahrung: Sie ist auf einem Auge blind.

 

Start ist in der Industriestraße Bahnhof Nord. Begleitet wird die Tour von Wolfgang Weinhardt von „Blickpunkt Auge – Rat und Hilfe bei Sehverlust“ in Böblingen. Die Einrichtung gehört zum Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband. Weinhardt besitzt nur noch ein Prozent Sehfähigkeit und kennt sich aus in Sachen Hürden und Schwierigkeiten für sehbehinderte Menschen. Unterwegs reicht er eine Brille herum, die zwei Prozent Sehkraft simuliert: Man sieht dichten weißen Nebel, wie er in London nicht schlimmer sein kann – nicht einmal Konturen von Personen, geschweige denn Straßen, Gehwege oder Bushaltestellen.

Noppen als Lebensretter

Zur Orientierung verwenden blinde Menschen einen langen Blindenstock mit einer Kugel am unteren Ende. Damit können Leitlinien oder auch Aufmerksamkeitsfelder mit Noppen erspürt werden, die für Menschen mit Augenlicht unbedeutend, für Sehbehinderte aber überlebenswichtig sind: sie markieren Wege oder Gefahrenstellen. Wenn, wie in der Industriestraße, an einem Straßenübergang Leitlinien direkt auf die Straße zuführen, ohne dass ein Aufmerksamkeitsfeld mit Noppen die Gefahrenstelle anzeigt, kann das lebensgefährlich sein, denn das bedeutet „Grün“, erklärt Weinhardt. Auch wenn am Busausstieg keine Markierung ist oder Linien fehlen, führt das zu Unsicherheit.

Die Frauen für Renningen möchten das ändern. Rose Marie Fischer kennt die Einwände nur zu gut: das betreffe nur eine Handvoll, man könne doch nicht die ganze Stadt mit Markierungen versehen. Und müssten die Sehbehinderten wirklich allein durch die Stadt? Wolfgang Weinhardt erklärt: „Sehbehinderungen gehen heute durch alle Altersgruppen. Die Menschen sind berufstätig, gehen zur Blindenschule oder müssen zum Arzt. Man muss auch nicht alle Straßen mit Markierungen ausstatten, nur die wichtigsten Wege: zum Bahnhof, Rathaus, Arzt, zur Apotheke oder zur Kirche.“

Die Gruppe geht weiter: In der Unterführung fehlt eine Leitlinie zum Aufzug, an der Südseite sind keine Noppen. Im Wartehäuschen auf der Südseite des Bahnhofs ist durch die Metallverkleidung die Plastikkugel des Blindenstocks gefährdet, wie auch an einem Baum mitten im Gehweg. Die Mängel werden notiert. Natürlich wäre ein akustischer Fahrplan an den Haltestellen auch hilfreich, wie es ihn in Ditzingen bereits überall gibt, meint die Gruppe.

Resi Berger-Bäuerle, die Fraktionsvorsitzende, resümiert: „Es fehlt noch an vielem, und wir werden versuchen, unsere Kollegen im Gemeinderat für dieses Thema zu sensibilisieren.“ Man habe jetzt auch eine Umfrage gestartet „Wie barrierefrei ist unsere Stadt? Was fehlt?“ Darüber hinaus sollen weitere Veranstaltungen folgen, auch zu Themen wie Gehbehinderung und Rollstuhlfahrer.

Blickpunkt Auge

Beratung: „Blickpunkt Auge“ ist ein Angebot des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes. Wer blind oder sehbehindert ist oder wer eine Krankheit hat, die zu einem Sehverlust führen kann, findet bei Blickpunkt Auge Beratung und Informationen. Das gilt ebenso für Angehörige, Kollegen und Freunde. Die Helfer vermitteln auf Wunsch Kontakte zu anderen Betroffenen und unterstützen bei der Suche nach passenden Leistungen und Angeboten.

Kontakt: Ansprechpartnerin für die Region ist Sabine Backmund, Telefon 07 11 / 2 10 60 22. E-Mail: info@blickpunkt-auge.de.