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Automobilkonzerne entdecken die rein elektrische Rennserie Formel E – eine intelligente Strategie meint unser Autor Jürgen Kemmner.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Am 22. Juli 1894 fand die erste Automobil-Wettfahrt der Historie statt, die Route führte von Paris nach Rouen, 21 Fahrzeuge starteten, 17 erreichten das Ziel – und die Menschen bestaunten die ebenso laut knatternden wie übel stinkenden Kisten. Von da an waren Autorennen in Mode. Mutige Männer brüsteten sich ihres Draufgängertums, vor allem aber konnten findige Ingenieure der Öffentlichkeit vor Augen führen, dass das Automobil bestens in der Lage sein würde, nach Jahrhunderten das Pferd und die Postkutsche beim Transport von Waren und vor allem von Personen abzulösen. Welchen Fortgang die Geschichte nahm, ist bekannt.

 

Anno 2014, 120 Jahre später, wurde im Motorsport erneut eine Revolution eingeleitet. Die Formel E wurde unter dem Dach des Automobil-Weltverbandes Fia gegründet; die erste Rennserie, in der ausschließlich elektrisch angetriebene Autos um Punkte und Positionen kämpfen. Lange war das Interesse der Autokonzerne wie der Motorsportfreunde an den leisen und vor Ort emissionsfreien Wettrennen verhalten. Doch in Zeiten, in denen über Feinstaub und Stickoxide in Ballungszentren aufgebracht diskutiert wird, in denen Abgasmanipulationen der Hersteller im großen Stil nachgewiesen werden und in denen ein Gericht die Zulässigkeit eines begrenzten Fahrverbots für Diesel-Fahrzeuge bestätigt – in solchen Zeiten ist es für die Hersteller fast eine unternehmerische Pflicht, sich einer neuen Strategie zu verschreiben. Und warum sollte diese nicht öffentlichkeitswirksam über die bereits vorhandene Rennsport-Bühne Formel E weltweit kommuniziert werden?

Wohl auch deshalb haben innerhalb von wenigen Wochen erst Audi, dann BMW und schließlich noch Mercedes sowie Porsche ihr Engagement in der E-Rennserie verkündet. Die beiden Stuttgarter Hersteller haben im Gegenzug auf die Teilnahme an Motorsport-Serien verzichtet, in denen der auf lange Sicht wohl aus der Mode kommende Verbrennungsmotor die entscheidende Bedeutung über Sieg oder Niederlage spielt. Wie im 19., so gilt es auch im 21. Jahrhundert, den Trend der Zeit zu erkennen, ihn mitzugestalten und sich zu entsprechend positionieren.

Die Formel E bietet für die Ingenieure ein Versuchslabor

Audi, BMW, Mercedes und Porsche wollen wie die bereits Formel-E-affinen Hersteller Renault, Jaguar, DS (Citroën) und Mahindra (Indien) die Innovationsfähigkeit und Kompetenz in ihrem ureigensten Geschäftsfeld Mobilität demonstrieren. Wer jetzt nicht in den noch gemächlich rollenden Waggon einsteigt, der wird irgendwann einmal nicht mehr aufspringen können, weil der E-Zug dann mit ICE-Geschwindigkeit dahin braust.

Die Formel E bietet für einfallsreiche Ingenieure ein spannendes Versuchslabor. Die Technologie des Verbrennungsmotors ist so gut wie ausgereizt, mit hohem finanziellen Einsatz werden nach mehr als 100 Jahren nur noch marginale Fortschritte erzielt. Die Entwicklung in der E-Mobilität befindet sich erst am Anfang, viele bahnbrechende Erfindungen ruhen noch im Verborgenen. In diesem Stadium sind jedoch Motorsport und Serienproduktion eng verzahnt, keine andere Rennserie bietet die verlockende Chance, Entwicklungen von der Rennstrecke fast im Maßstab 1:1 auf die Landstraße übertragen zu können. Wer bei den Formel-E-Rennen häufig gewinnt, der hat womöglich im Wettkampf um die Gunst der Autofahrer die Nase vorne. Denn nach wie vor gilt für Hersteller im Motorsport die marketingpolitische Maxime: Gewinne am Sonntag, verkaufe am Montag. Von der positiven Imagebildung bei der jungen Generation, die mit E-Mobilität aufwächst, ganz zu schweigen.

Übrigens: Alle vier bestplatzierten Benzinwagen an jenem 22. Juli 1894 waren mit einem in Lizenz gebauten Daimler-Motor unterwegs. Es ist hinlänglich bekannt, welche Entwicklung darauf folgte.