Nach monatelangem Streit hat die Regierungskoalition einen Rentenzuschlag für Geringverdiener vereinbart. Er soll 2021 kommen.

Berlin - Um 15.46 Uhr an einem sonnigen Novembersonntag beendet die Berliner Regierungskoalition zumindest vorläufig ihre zentrale politische Auseinandersetzung. Zu diesem Zeitpunkt flattert den Hauptstadtjournalisten eine Einladung zu einer Pressekonferenz ins Haus, auf der die Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Markus Söder (CSU) und Malu Dreyer (SPD) über die beim Koalitionsgipfel gefundene Einigung auf eine Grundrente berichten wollen.

 

Seit 10 Uhr morgens sind sie im Bundeskanzleramt mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den Chefs der Koalitionsfraktionen im Bundestag zusammengesessen. Und es war bis zuletzt unklar, ob es wirklich einen Kompromiss würde geben können, da er sowohl inhaltlich als auch politisch als äußerst heikel galt: In der Sache ist ein vom Steuerzahler bezuschusstes Alterseinkommen an sich schon eine schwierige Operation, weil dabei das Sozial- und das Rentensystem miteinander verknüpft werden – wie das allerdings auch schon bei der sogenannten Mütterrente geschehen ist. Machtpolitisch hatte sich vor allem in der Unionsfraktion am Dienstag großer Unmut darüber entladen, dass bei der Grundrente über den Koalitionsvertrag hinausgegangen und der SPD entgegengekommen werden sollte.

„Die Kuh ist vom Eis“ – sagt Markus Söder.

Bayerns Ministerpräsident berichtet später, dass die Nerven während der schwierigen Verhandlungen mit Erdbeereis beruhigt wurden. „Die Kuh ist vom Eis“, sagt Söder in der improvisierten Pressekonferenz im Eingangsbereich des Kanzleramts. Mit einem echten „Gerechtigkeits- und Leistungspaket“ werde die „Halbzeitbilanz der Groko“ perfekt abgerundet. Gemeint ist damit, dass die Zustimmung der Union mit ergänzenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen gesichert wurde, etwa der Absenkung des Arbeitslosenbeitrags um 0,2 Prozentpunkte in den Jahren 2021 und 2022. Aufgelegt wird auch ein bis zu zehn Milliarden Euro schwerer „Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien“ bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Im Zentrum steht jedoch das neue Instrument im Kampf gegen die Altersarmut. „Deutschland wird eine Grundrente bekommen“, sagt SPD-Chefin Dreyer, „das ist ein sozialpolitischer Meilenstein.“ Eingeführt werden soll sie am 1. Januar 2021 – für Menschen, die bereits Rentner sind oder in der Folgezeit in Ruhestand gehen. Weil der Mainzer Ministerpräsidentin zufolge vier von fünf Beziehern Bezieherinnen sein werden, sei der Koalitionsbeschluss „auch ein starkes frauenpolitisches Signal“. Profitieren dürften nach Berechnungen der Koalition bis zu 1,5 Millionen Menschen in der Bundesrepublik.

Bekommen soll die Grundrente, wer mindestens 35 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt hat, aber beispielsweise wegen längerer Teilzeitbeschäftigung, der Pflege von Angehörigen oder der Kindererziehung bisher nur eine Rente unterhalb der Grundsicherung, also dem Hartz-IV-Satz, bekommt. Eine weitere Voraussetzung für den Zuschlag ist, dass zwischen 30 und 80 Prozent dessen eingezahlt worden ist, was ein Durchschnittsverdiener eingezahlt hätte. Dann werden die entsprechenden Entgeltpunkte verdoppelt und auf bis maximal 80 Prozent der Rente eines mittleren Einkommen „hochgewertet“. So heißt es im Beschluss.

Knackpunkt Bedürftigkeitsprüfung

Knackpunkt der Gespräche war von Beginn an die im Koalitionsvertrag verankerte „Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung“. Die SPD wollte nicht, dass potenzielle Bezieher dafür wie bei Hartz IV aufs Amt müssen und einer detaillierten Prüfung ihrer Vermögensverhältnisse unterworfen werden. Die Union dagegen beharrte darauf, dass Grundrente nur beziehen sollte, wer auch wirklich bedürftig ist.

Aufgelöst worden ist dieser Konflikt mit einer „umfassenden Einkommensprüfung“, deretwegen CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer die „vertretbare Lösung“ lobt. Ihre SPD-Amtskollegin Dreyer wiederum konnte darauf verweisen, dass diese Prüfung „technisch abgewickelt wird durch eine Kooperation der Finanzverwaltung mit der Rentenversicherung“. Die schwierigen logistischen Vorarbeiten dafür, dass für die Prüfung eines Antrags bei der Rentenversicherung automatisch und unbürokratisch für die Bürger auf die Steuerdaten des zuständigen Finanzamts zurückgegriffen werden kann, soll nun das Sozialministerium von Hubertus Heil (SPD) koordinieren.

Grundlage für die Berechnung wird „das zu versteuernde Einkommen unter Hinzurechnung des steuerfrei gestellten Anteils der Rente und aller Kapitalerträge“. Die Grundrente wird voll bezahlt an Alleinstehende, die über ein monatliches Gesamteinkommen von 1250 Euro oder weniger verfügen, und an Paare mit 1950 Euro oder weniger. Wie Lebensversicherungen in diesem Zusammenhang gewertet werden, soll bei der Ausarbeitung des Gesetzestextes geklärt werden. Damit eine Besserstellung durch die Grundrente nicht von einer Kürzung beim Wohngeld aufgefressen wird, führt die Koalition einen Freibetrag ein, der etwa 80 Millionen Euro kostet.

1,1 bis 1,5 Milliarden Euro Kosten für die Staatskasse

Insgesamt wird die Grundrente laut Söder in der Staatskasse mit 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen. Das ist mehr, als die Union ursprünglich ausgeben wollte, und deutlich weniger als die gut fünf Milliarden Euro, die Heils Ursprungskonzept gekostet hätte. „Natürlich sind wir mit einer anderen Hausnummer in die Debatte gegangen“, räumte Dreyer ein, doch sei das Ergebnis ihrer Partei „sehr gut vermittelbar“, da es ohne ihre Partei diese „große Sozialreform“ nicht gegeben hätte.

Zusammen mit der Einigung auf die konkrete Ausgestaltung der Grundrente hat die Koalition zur Überraschung vieler auch ein weiteres Dauerthema angepackt – die Doppelbelastung von Betriebsrenten bei Beiträgen. Seit 2004 wird von diesen Alterseinkünften, für die über Jahre ein Teil des Lohns von der eigenen Firma einbehalten und mit einem betrieblichen Zuschuss angelegt wurde, der volle Krankenkassenbeitragssatz einbehalten. Aktuell geht es um 14,6 Prozent plus Zusatzbeitrag, während auf die normale Rente nur der halbe Beitragssatz fällig wird. Die Koalition hat nun einen Freibetrag von 155,75 Euro monatlich beschlossen, um die erwünschte betriebliche Altersvorsorge wieder zu stärken: „Rund 60 Prozent der Betriebsrentner zahlen damit de facto maximal den halben Beitragssatz, die weiteren 40 Prozent werden spürbar entlastet.“ Die Mindereinnahmen der Krankenkassen sollen diese mit Unterstützung aus Reserven des Gesundheitsfonds selbst ausgleichen.

Betriebliche Altersvorsorge soll attraktiver werden

Im Kampf gegen Altersarmut soll die private und betriebliche Vorsorge auch dadurch gestärkt werden, dass sowohl der sogenannte BAV-Förderbetrag für die betriebliche Altersversorgung wie auch der steuerfreie Höchstbetrag bei Mitarbeiterkapitalbeteiligungen verdoppelt wird.

Für Söder ist es deshalb „ein sehr guter Tag für die Groko“. Der baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann kann das Urteil des CSU-Chefs über das Kompromisspaket teilen: „Es zeigt, dass die große Koalition handlungsfähig ist und Großes leisten kann.“