In der Ukraine werden Journalisten immer häufiger zur Zielscheibe von Gewalt: Max Lewin, einer der bekanntesten Reporter des Landes, und zwei ARD-Berichterstatter haben nur knapp einen Angriff überlebt.

Stuttgart - Der Krieg in der Ost-Ukraine lässt nicht nur zerstörte Städte, verzweifelte Einwohner und tote Soldaten zurück, sondern traumatisiert auch die Berichterstatter. Vier ukrainische Journalisten – zwei von ihnen arbeiten für die ARD – hätten ihren Reportereinsatz beinahe mit dem Leben bezahlt. Einer von ihnen ist Max Lewin, er zählt zu den erfahrensten Journalisten Kiews.

 

Lewin hat den Bericht über seine Flucht aus dem Kessel der von pro-russischen Soldaten umstellten Stadt Ilowaisk in der Region Donezk am Montag auf die Website der Internetzeitung Lewij Bereg gestellt. Zusammen mit den zwei ARD-Berichterstattern Georgij Tyhyj und Iwan Ljubysch-Kirdej und seinem Kollegen Markijan Lysenko ist Lewin um den 20. August herum in die Gegend der damals schwer umkämpften Stadt Ilowaisk aufgebrochen.

Anfangs verlief die Arbeit reibungslos. Die Männer wollten den Alltag der ukrainischen Streitkräfte und mehrerer Freiwilligen-Bataillone begleiten. Ende August machten Berichte die Runde, wonach die rund 20 000 Einwohner große Stadt von pro-russischen Separatisten eingekesselt ist. Lewin und die TV-Kollegen beschließen, dorthin zu fahren. Kaum angekommen, stellt sich schnell heraus, dass sie eingeschlossen sind. Weder die Soldaten der Ukraine noch Bewohner oder die Journalisten kommen heraus. Lewin erfährt, die Separatisten würden Journalisten erschießen, wenn sie bemerkt werden. Auch die Männer des Freiwilligenbataillons, bei denen sie untergetaucht waren, würden sie gefährden. Am Morgen des 29. August entscheiden die vier Reporter, um 4.30 Uhr aufzubrechen.

„Wie aus dem Nichts pfeifen von allen Seiten Schüsse“

Die Separatisten hatten einen Korridor für Verwundete versprochen, mit diesen Fahrzeugen wollten die Journalisten aus dem Kessel entkommen. Anfangs verläuft die Fahrt relativ ruhig, die vielen Militärfahrzeuge kommen nur langsam auf der Landstraße voran. „Plötzlich, wie aus dem Nichts, pfeifen von allen Seiten Schüsse“, schreibt Lewin. Mittlerweile ist es acht Uhr morgens. Der vermeintliche Korridor zum Abtransport von Verwundeten und Toten war eine Falle. Aus alle Richtungen wird mit Granatwerfern und Panzerabwehrwaffen auf die Ukrainer gefeuert. In wenigen Minuten stehen Panzer und Militärfahrzeuge in Flammen.

Der Jeep der Journalisten ist noch nicht getroffen. Lewin, der zu dieser Zeit am Steuer sitzt, packt der nackte Instinkt. „Ohne nachzudenken, einfach aus dem Reflex heraus, steuerte ich den Wagen an der Kolonne vorbei und raste so schnell es die Straßenverhältnisse hergeben die Dorfstraße entlang.“ Das Navi war eingeschaltet, deshalb kann Lewin nachher auch sagen, dass sie rund sieben Kilometer brauchten, „um aus der Hölle zu entkommen“. Das Fahrzeug wurde dabei mehrfach getroffen. Fotos zeigen, wie sich Projektile durch den dünnen Autostahl bohrten. Der Fahrerraum ist am Ende der Fahrt blutverschmiert, alle Insassen wurden getroffen, keiner aber lebensgefährlich verletzt. Lewin wird am Bein verletzt, merkt aber nicht, wie sehr die Wunde blutet.

Endlich erreichen sie ein Dorf, es ist Pobeda – es wurde, so ihre Informationen, von der ukrainischen Armee befreit. Doch der Beschuss geht wieder los. Wie sich herausstellt, sind Besatzer der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ dort angekommen. Als sie den silbergrauen Jeep erblicken, der durch das Dorf rast, stoppt das Feuer. „Warum, kann keiner sagen, vielleicht dachten sie, es kommt einer ihrer Anführer“, berichtet Lewin. Nach weiteren Stunden wilder Fahrt kommen sie endlich in Stila an sind keine Schüsse zu hören. „Beim Aussteigen habe ich erleichtert festgestellt, dass wir vier alle laufen konnten“, schreibt der Journalist Lewin.

Die Verletzungen der Reporter waren im Krankenhaus schnell versorgt. Doch seitdem Lewin wieder in Kiew ist, einer Stadt, der man den Krieg im Osten weder ansieht noch anmerkt, plagt ihn die Frage: „Wieso haben wir das überlebt?“ Er wisse, „dass ein großer Teil derjenigen, mit denen wir während der Recherche gesprochen haben, nicht mehr leben oder in Gefangenschaft geraten sind“, schreibt Max Lewin – und hat Angst, die Bilder der Flucht aus Ilowaisk nicht mehr los zu werden.