Beobachter sehen einen Mitgliederschwund bei Scientology im Südwesten, den die Organisation offenbar stoppen will. Zur Trendwende soll auch ein repräsentativer Sitz beitragen, der bald fertig sein soll.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Fenster sind mit Brettern vernagelt, kein Blick ins Innere ist möglich. Und doch ist offenkundig: Es tut sich was an der Heilbronner Straße im Gebäude mit den Hausnummern 57 bis 59. Dort, wo früher Motorradhelme verkauft wurden, soll ein großer repräsentativer Sitz der Organisation Scientology, die sich selbst als Kirche definiert, entstehen. Dessen ist sich das Landesamt für Verfassungsschutz sicher. Nur wann die sogenannte Ideale Org, wie die Scientologen solch ein Haus mit regionaler Strahlkraft nennen, die Tore öffnen soll, darüber kann man bei der Behörde trotz Kenntnis der Faktenlage nur mutmaßen. „Wir halten aber eine überraschende Eröffnung noch in diesem Jahr für möglich“, sagt Georg Spielberg, der Pressesprecher der Behörde, die Scientology seit 1997 beobachtet. Dafür gebe es Anzeichen.

 

Scientology sucht wohl die Nähe zum Europaviertel

Das sehen nicht nur Verfassungsschützer so. Auch Passanten haben den Eindruck, dass die Scientologen die Nähe zum Europaviertel suchen. So meldeten Leser unserer Zeitung, dass ihnen in jüngster Zeit Infostände der Organisation bei der Stadtbücherei am Mailänder Platz aufgefallen seien. Das bemerkten die Grünen im Gemeinderat, und stellten daher im Winter eine Anfrage an die Verwaltung. Unter anderem wollten sie wissen, was in dem Gebäude baurechtlich möglich sei, was beantragt wurde, und welche Aktivitäten der Scientologen in Stuttgart bekannt seien. Laut dem Baurechtsamt sind dort neben Büro- und Verwaltungsgebäuden, Lokalen und Hotels auch „Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke“ möglich. „Mit Baugenehmigungen vom 22. März 2016 und 15. Mai 2017 wurden bauliche Änderungen, Nutzungsänderungen und die Neuordnung der Stellplätze in der Tiefgarage genehmigt. Es handelt sich um ein Bürogebäude mit Schulungs- und Seminarräumen.“

Das Gebäude soll acht Millionen Euro gekostet haben

Zu all dem äußert sich Scientology nicht. Bis heute hat die Organisation weder bestätigt noch dementiert, dass sie das Gebäude an der Heilbronner Straße gekauft hat. Laut dem Verfassungsschutz ist es bereits seit 2009 im Besitz der Organisation, erworben über eine israelische Immobilienfirma und einen Anwalt, so der Kenntnisstand der Verfassungsschützer. Der Anwalt soll inzwischen im Gefängnis sitzen, weil er Mord- und Brandanschläge in Auftrag gegeben haben soll. „Scientology bestritt nach Bekanntwerden, von den Straftaten gewusst zu haben“, heißt es dazu in einem Artikel des Landesamts für Verfassungsschutz. Die neue Besitzerin der Anwaltskanzlei soll nun für die Stuttgarter Immobilie zuständig sein. Den Preis geben die Beobachter mit rund acht Millionen Euro an, zum Teil aufgebracht durch Spenden der Scientology-Mitglieder. Der Verfassungsschutz habe Erkenntnisse, dass das Projekt aufgrund finanzieller Probleme gestockt habe. Inzwischen soll auch der Stuttgarter Niederlassung die Verantwortung für das Projekt entzogen worden sein. Es werde nun von der internationalen Scientology-Führung betreut, teilt der Pressesprecher der Behörde mit.

Offenbar sind die Mitgliedszahlen zurück gegangen

Die Immobilie ist recht groß für das, was Scientology in der Landeshauptstadt und der Region geschätzt an Mitgliedern zählt. Etwa 800 sollen es in ganz Baden-Württemberg sein. „Und nach unseren Erkenntnissen gehen die Zahlen seit Jahren langsam aber stetig zurück“, sagt Georg Spielberg vom Verfassungsschutz. Doch das stehe für Scientology in keinem Widerspruch dazu, eine große Repräsentanz einzurichten: Sie soll nach außen an die Bürger der Stadt und der Region ebenso wie nach innen die Botschaft verkörpern, dass Scientology wachse und expandiere. So sollte es auch in Berlin sein, wo 2007 ein ähnlicher Bau von noch größerem Ausmaß eröffnet wurde. Gerade einmal 350 Mitglieder soll die Berliner Scientology Aussteigern zufolge damals gehabt haben, berichtet der Verfassungsschutz. Die Eröffnung des Hauses im Bezirk Charlottenburg war 2007, das Haus galt damals als erste Ideale Org in Deutschland. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, die auf Berichten von Aussteigern fußen, war binnen fünf Jahren die Mitgliederzahl nahezu halbiert.

So schwach ist die Organisation im Süden nicht aufgestellt. Ein Großteil der geschätzt 800 Mitglieder soll im mittleren Neckarraum leben. Auch das macht Stuttgart für Scientology so wichtig: Anders als in anderen Bundesländern sei Scientology hier nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern auch in der Fläche vertreten. Noch ein Grund, die Eröffnung für wahrscheinlich zu halten, so die Verfassungsschützer.