Job, Freizeit, Fernsehen: das Internet verzahnt sich immer stärker mit dem Alltag der Menschen. Die Republica wagt einen Blick in Zukunft.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)

Berlin - Richard Gutjahr gibt die Kontrolle ab. Der Moderator überlässt in seiner neuen Sendung dem Publikum die wichtigen Entscheidungen. Daumen hoch, Daumen runter: die Zuschauer stimmen ab, ob ihnen das Programm gefällt oder nicht. Per Smartphone-App mischen sich die Zuschauer vor den Fernsehgeräten ein, bestimmen das Thema der Sendung und laden eigene Fotos und Videos hoch. Mit der Rundshow im Bayerischen Fernsehen startet Gutjahr, wie er selbst sagt, „ein Experiment am lebenden Objekt: dem Zuschauer“. Es ist ein gewagtes Format, das nur dann funktioniert, wenn jemand mitmacht. Doch Richard Gutjahr sieht darin kein Risiko. „So etwas nicht zu versuchen, ist riskant“, sagt der Journalist.

 

Tatsächlich versuchen die Fernsehanstalten mit allen Mitteln, die Netznutzer ins Programm zu ziehen. Die ARD hat auf der Republica in Berlin alle möglichen Projekte vorgestellt, wie die Zuschauer möglichst interaktiv eingebunden werden sollen. Neben der Rundshow ist nicht viel im Angebot des öffentlich-rechtlichen Programms, was auf eine interaktive Sendung hinweist. Neben dem bekannten Youtube-Kanal und der Mediathek setzen die ARD nun auf den Tatort. Die Nutzer sollen interaktiv mitwirken können bei der Sendung am 13. Mai. Aber nicht währenddessen, sondern danach. Im Anschluss an den Tatort wird die Folge im Internet in einem Online-Spiel fortgeführt. Das ZDF hat mit „Sport Xtreme“ eine Sendung im Programm, die zu einem großen Anteil mit Internet-Videos gespeist wird. Beide Sender sehen die Zukunft allerdings bei der so genannten „Second-Screen-App“, einem Programm auf einem zweiten Bildschirm also, das künftig parallel zu den Sendungen auf einem Tablet oder Smartphone mitlaufen soll.

Gemeinsames Lästern wertet Fernsehen auf

Die Sender sind sich bewusst, dass Social TV eine vielversprechende Technologie ist. Denn dass die Nutzer durchaus daran interessiert sind, sich ins Fernsehprogramm einzumischen und die Formate zu kommentieren, zeigen die Statistiken in den sozialen Netzwerken. Bei Primetime-Sendungen wie dem „Tatort“ und „Deutschland sucht den Superstar“ schießen die entsprechenden Hashtags bei Twitter regelmäßig nach oben in die Liste der Trends. Für viele Zuschauer wertet die Kommunikation den Spaß am Fernsehen auf, wenn sie sich gemeinsam austauschen können - oder auch lästern. Dieses Feld überlassen die Sender jedoch bisher Drittanbietern wie dem App-Hersteller Couchfunk.

Casting-Shows wie Germanys Next Topmodel könne er sich nur dann anschauen, wenn neben ihm Twitter auf dem Laptop geöffnet sei, sagt der Blogger Thomas Knuewer. Dass die TV-Angebote stärker mit dem Netz verschmelzen, da ist sich Knuewer sicher. „Da passiert derzeit eine ganze Menge.“ Seiner Meinung nach wird es aber beim zweiten Bildschirm bleiben. Dass Tweets direkt auf dem Fernsehgerät dargestellt werden, daran zweifelt Knuewer. „Ich glaube nicht, dass es Hybrid-Fernsehen geben wird.“

Was sich heute bereits abzeichnet ist, dass die Zuschauer ihre Sendungen kaum noch in der Fernsehzeitschrift aussuchen. Die Empfehlungen aus dem Freundeskreis spielen eine wesentlich größere Rolle. Einem Bericht des Nachrichtenportals „The Telegraph“ zufolge wählen 68 Prozent der Frauen in Großbritannien ihr TV-Programm nach Facebook-Empfehlungen aus. Ein Phänomen, dass die Sendeanstalten nicht sehr gerne sehen. Denn das bedeutet: wer bei Twitter oder Facebook sieht, dass Freunde sich im Netz über eine andere Sendung unterhalten, der schaltet um.

Die Messbarkeit des Menschen

Doch nicht nur im Fernsehen spielen Empfehlungen und Bewertungen künftig eine größere Rolle. Auch das persönliche Image im Internet wird wichtiger. „Heute können ganz andere Sachen als früher bewertet werden“, sagt die Medienjournalistin Mercedes Bunz. Wo einst noch der Schulabschluss zählte, die Noten und die Berufserfahrung, vermittelt das Internet ein viel detaillierteres Bild der Bewerber. Eine Zentraleinheit über alle Portale zu setzen, auf denen bewertet wird, halte Bunz jedoch für „doof“. Schließlich müsse man genau betrachten, ob es wirklich um die Bewertung des Menschen gehe: „Bei Ebay bewerte ich keine Person, sondern einen Einkauf.“

Auslöser für die Debatte über die Messbarkeit des Menschen auf der Republica war unter anderem ein Beitrag in der US-Ausgabe des Magazins „Wired“. Dort wird der Fall eines Bewerbers beschrieben, der sich für eine Stelle in einer Marketingagentur bewirbt. Er wird im Bewerbungsgespräch gefragt, wie hoch sein Klout-Score sei, hat davon aber noch nie gehört. Bis er erfährt, dass sein Punktestand bei dem Online-Konzern Klout sehr niedrig ist. Sprich: sein Einfluss im Netz ist gering. Grundlage für die Messung beim Unternehmen Klout sind Beiträge bei Twitter, die Facebook-Freunde und der Erfolg der gesendeten Meldungen. Das Fazit: ein anderer Bewerber bekommt den Job, er hat einen wesentlich höheren Klout-Score.

Wenn es nach dem Internetexperten Christoph Kappes geht, dann muss man diese Entwicklung äußerst kritisch verfolgen. „Es gibt Unterschiede, ob ich einen Menschen oder eine Seite bewerte“, sagt Kappes. Websites bewerten, das ist üblich heutzutage. Bei Personen sieht das anders aus. „Man müsste ein paar Spielregeln entwickeln.“