Auf der größten deutschen Bloggerkonferenz Republica in Berlin diskutieren Blogger, Wissenschaftler, Autoren und Unternehmer bis heute über Trends im Internet. Das Fazit: digitales und analoges Leben verschmelzen mehr und mehr.

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Berlin - Wir kennen die Kraft von Netzwerken, deshalb sind wir digitale Wesen“, ruft die New Yorkerin Deanna Zandt den mehr als 1000 Zuhörern im größten Vortragssaal der diesjährigen Bloggerkonferenz Republica in Berlin zu. Sie erntet Applaus, Jubel, und ein weiblicher Fan wedelt ihr in Cheerleader-Manier mit pinkfarbenen Pompons aus der dritten Reihe zu. Man fragt sich, ob das eine Form des Feminismus der sogenannten Digital Natives ist, die mit dem Internet groß geworden sind. Denn Themen wie Cybersexismus, Zeit-Geld-Familie und die Zeit- und Einkommenskluft zwischen den Geschlechtern stehen in diesem Jahr auf dem Programm. Die Redner sind oft deutlich jünger als das Publikum. Da fallen Sätze wie dieser: „Die krassen Sachen von meinen Youtube-Videos zeige ich lieber nicht. Hier sind ganz viele Erwachsene.“

 

Erwachsen ist auch die Republica geworden. Schon bei der ersten Bloggerkonferenz im Jahr 2007 wollten die Veranstalter Tanja und Johnny Haeusler, Markus Beckedahl und Andreas Gebhard die Menschen „raus aus dem Netz und rein in die physische Welt“ nach Berlin locken. In diesem Jahr, zur siebten Konferenz, lautet das Motto „In/Side/Out“ und spiegelt den Veranstaltern zufolge den Grundgedanken der Republica wider.

Das Bedürfnis über digitale Themen zu diskutieren ist groß

Dass die Besucherzahlen jährlich steigen, zeigt, dass das Bedürfnis, über Themen zu diskutieren, wie sich etwa der Einsatz von Youtube oder sozialen Netzwerken auf unsere Gesellschaft auswirkt, nach wie vor groß ist. Und das, obwohl viele Medientheoretiker bereits in den 60er Jahren Dinge geschrieben haben, die sich auf die heutige Situation anwenden ließen. In diesem Jahr können die 5000 Besucher bis Mittwochabend 450 Rednern zuhören – und nicht bei allen Themen ist der Bezug zur Konferenz klar.

Diedrich Diederichsen, Professor an der Wiener Kunstakademie und einer der wichtigsten Poptheoretiker unserer Zeit, wundert sich im Gespräch mit der Autorin Mercedes Bunz unter dem Titel „Immer dieses Internet!“ darüber, dass dem Internet derart viele gesellschaftliche Veränderungen zugeschrieben werden. Er ist sich sicher: „Potenziell verstärkt das Internet nur alles, was auch vorher schon da war.“ Natürlich organisiere sich vieles neu, so sei auch zu beobachten, wie sich Unternehmen durch freiwillige immaterielle Arbeit bereicherten. Denn nicht etwa der Versandhändler Amazon selbst sei es, der die Seite wertvoll mache, sondern die unzähligen Freiwilligen, die ihre Bewertungen zu den Produkten schreiben.

Ein Leben ohne Internet und Neue Medien ist nicht möglich

Der Kulturwissenschaftler Diederichsen hat zu den aktuellen Fragen, die auf der Republica diskutiert werden, fast immer ein Zitat aus früheren Zeiten parat. Zum Thema Crowdsourcing fällt ihm ein, dass schon der Beat-Autor Allen Ginsberg geschrieben habe: „Wann kann ich im Supermarkt mit meinem guten Aussehen einkaufen?“ Das passt zum Phänomen, dass man „in der Welt da draußen“ immer mehr auffallen müsse, um gegen die Vielzahl an medialen Kanälen, die zu uns nach Hause strömten, bestehen zu können.

Vielleicht gelingt es der diesjährigen Republica, mit dem alten Vorurteil aufzuräumen, dass es neben dem realen ein digitales oder virtuelles Leben gebe. So wenig wir „digitale Wesen“ sind, wie Deanna Zandt die Zuhörer nennt, so wenig wird es gelingen, ein Leben ohne Internet und Neue Medien zu führen. Das eine kann das andere nicht ersetzen, und daher wird auf der größten deutschen Bloggerkonferenz mit vielen internationalen Gästen sehr viel über den Lebensalltag der Gegenwart und Zukunft diskutiert. So kündigte der Daimler-Chef Dieter Zetsche in seinem Vortrag über die Mobilität der Zukunft in einigen Jahren das selbstständig fahrende Geisterauto an: „Die komplette Autonomie wird kommen.“

Permanente Erreichbarkeit verändert die Arbeitswelt

Bei vielen Netzaktivisten, Wissenschaftlern, Bloggern, Buchautoren, Journalisten und Unternehmern stand ein weiteres Thema im Vordergrund: wie sich Arbeit und Familie mit den veränderten Arbeitsbedingungen – nicht zuletzt durch die permanente Erreichbarkeit – vereinbaren lassen.

Eine klare Botschaft hat die Autorin und Politikberaterin Teresa Bücker: „Vernichtet die leeren Politphrasen, in denen von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie die Rede ist“, sagt sie. Denn damit sei lediglich gemeint, dass die Frauen in Teilzeit arbeiteten, um den Rest (Haushalt, Kinder, Beziehungen) wie bisher noch zusätzlich zu erledigen. Auch keine Lösung sei es aber, die wenigen Frauen, die Karriere machten, tougher und maskuliner werden zu lassen. So aber sehe derzeit die Realität aus, empört sich die im Jahr 1984 Geborene, deren Buch zur Geschlechtergerechtigkeit demnächst erscheinen wird.

„Beziehungen und Freundschaften sind keine Nebensache“

Die Lebenswelt habe sich durch den Einsatz der digitalen Medien ebenso mit der Arbeit verschmolzen wie die digitale mit der analogen Welt. Diese Entwicklung sollte nicht rückgängig gemacht werden. Im Gegenteil: Bücker fordert die Arbeitgeber auf, sich darum zu kümmern, dass die Beziehungen der Angestellten auch gelingen können. Ihrer Ansicht nach haben die Unternehmen Sorge dafür zu tragen, dass es den Mitarbeitern auch privat gutgehe: „Beziehungen und Freundschaften sind keine Nebensache. Sie sind das Fundament unserer Gesellschaft.“