Auf der Republica geht es um die Nebenwirkungen der Digitalisierung. Der Regisseur Moritz Riesewieck berichtet von den Philippinen, wo Billigarbeiter unerwünschte Bilder und Videos aus dem Netz holen müssen – mit teilweise massiven psychischen Folgen.

Berlin - Der Frust mancher Besucher der Internetkonferenz Republica war gleich zu Beginn groß: Erst verkündete Greenpeace seine neuesten Enthüllungen zum Freihandelsabkommen TTIP – und der Saal war überfüllt. Und auch der Ausruf von Edward Snowden „Die Privatsphäre muss als Teil der menschlichen Würde verteidigt werden!“ erreichte nicht alle persönlich, die den Whistleblower gerne live gesehen hätten. Denn auch dieser Saal der Internetkonferenz platzte aus allen Nähten, so dass ihn die Organisatoren schließlich schließen mussten. Mehr als 7000 Teilnehmer sind für die Organisatoren in Berlin eine Herausforderung.

 

Aber die Promis des ersten Tages sind nicht alles auf der Republica: An insgesamt drei Tagen treten 770 Sprecherinnen und Sprecher aus 60 Ländern auf 17 Bühnen auf, die Teilnehmer tauschen sich über netzpolitische Themen aus und über Phänomene, die die digitale Welt mit sich bringt. Das Themenspektrum ist breit, wie Gründer Markus Beckedahl, Chefredakteur des Blogs netzpolitik.org, gleich zu Beginn betont. Was alles eint, ist das Streben nach Freiheit: „Seit zehn Republicas feiern wir das offene Internet, doch das verschließt sich gerade. Unsere Kommunikation wird zunehmend überwacht“, warnt Beckedahl.

Doch während große Namen wie Edward Snowden, Sascha Lobo und Richard Senett die Massen begeistern und für die politische Außenwirkung der Konferenz wichtig sind, werden die wirklich zukunftsweisenden Debatten über neue Technologen und deren Nebenwirkungen häufig in den kleineren Runden geführt. Sie machen die Republica aus: seit jeher stehen nicht nur neue Technologien an sich im Fokus, sondern auch die Meta-Ebene: was bringen sie mit sich? Worauf sollte die Gesellschaft achten? Was darf man nicht übersehen?

Hilfe, die Roboter kommen!

Am Montag dreht sich vieles um diese Nebenwirkungen: Unter dem Titel „Hilfe die Roboter kommen – Bedrohung, Invasion oder Chance?“ debattierten unter anderem Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland, und Stefan Heumann von der Stiftung Neue Verantwortung mit der Journalistin Juliane Leupold über die Arbeit der Zukunft. Bendiek versuchte, die Sorgen der Menschen zu mindern: „Digitalisierung schafft mehr Arbeitsplätze als sie vernichtet.“ Schließlich entstünden auch neue Berufsbilder – und in manchen Dingen seien die Menschen einfach besser: „Menschliche Kreativität ist unschlagbar.“ In anderen Sessions tauschten sich die Teilnehmer darüber aus, wie Drohnen reguliert werden könnten und wie die Virtuelle Realität unser Leben verändert und wozu man sie nutzen könnte außer für Computerspiele.

Dass der Blickwinkel dabei nicht zu eng wird und nur westliche Probleme mit den neuen Technologien debattiert werden, dafür sorgte der Theaterregisseur Moritz Riesewieck, der von seiner bedrückenden Recherche von den Philippinen berichtete. Dort sortieren Billiglöhner all jene Fotos aus, die wir in den Sozialen Netzwerken nicht zu Gesicht bekommen sollen: Gewaltdarstellungen, Pornos, verstümmelte Körper. „Das betrifft über 1,5 Milliarden Menschen in der Welt“, sagte Riesewieck – und wenn man ihm zuhört, bekommt man das Gefühl, dass all diese Internetnutzer froh sein sollten, von dieser Arbeit verschont zu bleiben. Seine Interviewpartner berichteten von Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen angesichts der ständigen Beschäftigung mit dem Internetmüll der Gesellschaft.

Digitaler Sondermüll wird exportiert

Wieso lagern wir nach unserem Giftmüll und dem Elektroschrott nun auch unseren digitalen Müll auf die Philippinen aus? Einerseits wegen des christlichen Hintergrundes. Die Einschätzung, was westliche Nutzer als „pervers“ erachten, könnten die Philippiner dank eines gemeinsamen Wertekodex besonders zuverlässig erfüllen, schwärmen die Auftraggeber laut Riesewick. Auf der anderen Seite ist die automatische Bilderkennung noch lange nicht gut genug, um die Feinheiten der gewünschten und der unerwünschten Inhalte zu verstehen. Für Menschen sind letztere oft schwer zu verdauen: „Okay sind Blutlachen und zertrümmerte Köpfe, wenn man das Gehirn nicht sieht“, zitiert der Regisseur die Vorgaben eines Konzerns an die philippinischen Billigarbeiter, „nicht okay sind Brüste stillender Mütter.“

Viele seiner Interviewpartner seien verängstigt gewesen, viele wollten nicht mit ihm reden – aus Angst, ihren Job zu verlieren, berichtet er. „Wir räumen das Internet auf“, sagt eine seiner Informantinnen – und dafür sollten wir dankbar sein, findet Riesewick. Schließlich bewahrten diese Menschen die Errungenschaften des Internets für uns. „Es stünde uns aber gut an, uns damit auseinander zu setzen.“

Trends auf der Republica

Virtuelle Realität
Bisher beschäftigen sich vor allem Nutzer aus der Computerspielbranche mit der neuen Technologie, für die in diesem Jahr der Durchbruch auf dem Massenmarkt erwartet wird. Dann wird es nicht mehr nur Spiele geben, in die Nutzer komplett eintauchen können. Es gibt bereits erste VR-Kinos, ein ganz neues Genre wird entstehen. Auch Journalisten beschäftigen sich damit, wie sie ihre Inhalte über VR verbreiten können. Philosophen und Psychologen warnen gleichzeitig davor, dass die Technologie so real wirke, dass sie nicht nur im Missbauchsfall gefährlich ist, sondern auch psychische Leiden verschlimmern könnte. Andere experimentieren mit medizinischen Anwendungen und erhoffen sich, Depressionen lindern zu können.

Künstliche Intelligenz
Als die Software Alphago im Januar den weltbesten Spieler im asiatischen Brettspiel Go schlug, nannten das manche Kommentatoren eine „Zeitenwende.“ Erstmals hätten Maschinen tatsächlich intelligent entschieden und ganz andere Spielzüge gemacht, als solche, die Menschen jemals hätten ersinnen können. In anderen Lebensbereichen sind die Maschinen aber noch lange nicht so weit. Was können sie uns schon abnehmen? Wo sind die Grenzen? Ein Themenbereich, der viele auf der Netzkonferenz beschäftigt.

Filterblase
Ein häufig genutztes Wort auf der Republica ist die so genannte Filterblase – also das Phänomen, dass Nutzer von Computerprogrammen individuell sortierte Inhalte präsentiert bekommen. Sucht ein Nutzer nach einem Begriff bei Google, legt das Programm all das Zugrunde, das er in der Vergangenheit gesucht hat und zeigt Ergebnisse, die der Nutzer vermutlich gut findet. Das könne zur Spaltung der Gesellschaft führen, da sich jeder in der Mehrheit fühle, warnen Forscher. Auch das häufige Phänomen der „Hassrede“ im Netz wird teilweise darauf zurückgeführt. Denn die Filterblase begünstigt Radikalisierung und in der Folge Intoleranz.