Draußen auf dem Land ist die Welt noch in Ordnung: Im mindestens 250 Jahre alten Gasthaus Engel in Grafenau kostet der Rostbraten nur einen Zwanziger. Aber der Koch wirkt ziemlich großstädtisch – mit Baseball-Kappe und Tätowierungen. Und Essen ist vorzüglich!

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Grafenau - In Grafenau (Kreis Böblingen) ist die Welt noch in Ordnung: Mitten im Ortsteil Dätzingen steht das Gasthaus Engel wie eine Trutzburg zur Verteidigung der klassischen Dorfwirtschaft. In neunter Generation wird das Lokal samt angeschlossener Metzgerei von den Brüdern Dominik und Christoph Heinkele geführt. Auf der Karte stehen Rostbraten, Linsen und Spätzle sowie Maultaschen, wie es sich gehört. Trotzdem ist in dem schön mit Holz vertäfelten Gastraum nicht alles gutbürgerlich: Die große Wanduhr läuft falsch herum, und Tino Eggert, der mitten in der Pandemie neu eingestellte Koch, trägt Baseballmütze, jede Menge Tätowierungen und hört Hip-Hop. Aber die Heinkeles sind auch keine gewöhnlichen Metzger, sondern eher „coole Säue“, die sie als Logo unter anderem auf dem T-Shirt tragen. Für die Satirepartei Die Partei haben sie sich zum Beispiel in den Grafenauer Gemeinderat wählen lassen – und das Gasthaus nun etwas entrümpelt und neu aufgestellt.

 

Für Stuttgarter Verhältnisse ein Schnäppchen

Um die Spannung nicht ins Unermessliche zu steigern: Der Rostbraten im Gasthaus Engel ist vorzüglich, perfekt leicht rosa, unter einem Berg schmelziger Zwiebeln begraben, mit einem Häubchen hipper Rote-Bete-Sprossen versehen, an sämiger Soße und zu knusprigen Bratkartoffeln ein Genuss. Dass dafür nur ein Zwanziger fällig wird (20,90 Euro), ist für Stuttgarter Verhältnisse definitiv ein Schnäppchen. Aber man sollte bei der Vorspeise anfangen, etwa bei der Metzgermaultasche in Fleischbrühe mit geschmelzten Zwiebeln (4,70 Euro), die getreu ihrem Namen eindeutig mehr Fleisch als Spinat enthält, dennoch überraschend fluffig und feinwürzig auf der Zunge zergeht.

Kombination aus rauchig, cremig, knackig und sauer

Beim Carpaccio aus Schwarzwälder Schinken und Avocado mit Apfel-Kräuter-Dressing und fermentierten Radieschen (9,90 Euro) macht sich die Modernisierung bemerkbar: Die Kombination aus rauchig (Schinken), cremig (Avocado), knackig (Radieschen) und sauer (Salatsoße) ist absolut stimmig. Auch das Lachsfilet (26,50 Euro) mit Kürbisbrei, Spinatkartoffeln und Safran-Zitronen-Soße besticht durch diese frische Leichtigkeit und gleichzeitig gegensätzlichen Geschmacksnoten von Fisch (salzig), Kürbis (süß) und zitrus. Das Engel Spezial Dessert (8,90 Euro) mit Zitronencreme und Cheesecake fällt dagegen sehr deftig aus, das Spekulatius-Kirsch-Tiramisu (7,50 Euro) ist ein netter Vorgriff auf die Weihnachtszeit.

Die Zutaten kommen fast alle aus der Region

Ihrem Ruf als hippe Metzger werden die Heinkeles  auf der Karte  mit dem Dry-aged T-Bone-Steak für 37 Euro gerecht. Ihr Fleisch beziehen sie von Landwirten aus der nächsten Umgebung, das gilt auch für die Eier, Mehl oder Linsen. Wein gibt es von den ausgezeichneten Weingärtnern Cleebronn-Güglingen und vom Weingut Idler. In ihrer nun entrümpelten Gaststube ist es nach wie vor mehr als gemütlich, der Kellner hat in dem kleinen Raum immer alles im Blick.

Service

Gasthaus Engel, Döffinger Straße 84, Grafenau, 0 70 33 / 4 32 35, metzgerei-heinkele.de. Mo–Fr von 11.30 bis 14 Uhr und 17 bis 22 Uhr.

Die Bewertung

Küche: 4 Sterne

Service: 5 Sterne

Ambiente: 4 Sterne

***** = herausragend, ****= überdurchschnittlich, *** = gut, **= Luft nach oben, * = viel zu verbessern