Johann Moritz Dill schafft als Restaurator in der Stuttgarter Reuchlinstraße, und wenn ein Schrank von 1750 in Arbeit ist, dann kann das schon mal ein paar Wochen dauern, bis das Original zum Vorschein kommt. Ein Besuch in der Praxis eines besonderen Tüftlers.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Natürlich muss man dann doch an den Meister Eder denken, denn die berühmteste bayerische, wenn nicht deutsche Holzwerkstatt ist nun mal die seine gewesen, und der Witz war, dass es sie wirklich gegeben hat. Meister Eder und sein Pumuckl, der Kobold, der alles durcheinanderbringt, weil er den Dingen nun mal existenziell auf den Grund gehen muss, waren literarische Erfindungen der gebürtigen Stuttgarterin Ellis Kaut, angesiedelt in München. Als die Geschichten Ende der siebziger Jahre verfilmt wurden, diente als Schreinerwerkstatt ein ehemaliges Kutscherhäusl in einem Hinterhof der Widenmayerstraße 2 im Lehel: Erdgeschoss, leicht blinde Scheiben schon und sagenhafte Treppen hinunter und hinauf in Eders Junggesellenwohnung, wo der Tischler mit dem Pumuckl oft genug erlebte, was man ein blaues Wunder nennt. Jahre später leider war das ganze Ensemble nicht mehr zu retten und wurde abgetragen, um einem gesichtslosen Betonbau zu weichen, aber bis heute kann man die Leute über ihr Bild von der idealen Werkstatt fragen für einen, der mit Holz Umgang hat, und sie werden antworten: wie beim Meister Eder.

 

Wenn man das alles so im Sinn hat und betritt die Werkstatt des Restaurators Johann Moritz Dill in der Stuttgarter Reuchlinstraße 9 a, ist es allerdings in der Sekunde vorbei mit solchen Meister-Eder-Reminiszenzen und ebenso gut vorstellbarer „Narziss und Goldmund“-Restromantik. Zwar steht an der rückwärtigen Wand des ersten Raums (der zweite ist ein penibel geordnetes Lager) ein monumentaler Dresdner Hallenschrank von 1750, gerade frisch restauriert wie aus dem Bilderbuch, doch darüber hinaus fehlt hier auf den ersten Blick, von zwei Werkbänken und genau an ihrem Ort befindlichen Gerätschaften abgesehen, einfach vieles, was man gemeinhin mit der Idee von einer Werkstatt, in der mit Holz gearbeitet wird, verbindet: kein Hobelspan und kein Sägmehl weit und breit und vor allem kein Leimtopf, der jederzeit umfallen könnte.

Wenn man sich nicht täuscht, riecht es noch nicht einmal großartig nach Holz. Und dann steht man einem Mann gegenüber: groß, sehr ernste Augen, kontrollierte Stimmlage – das ist Johann Moritz Dill. Und wenn man jetzt nicht wüsste, dass der Herr Dill Restaurator gelernt hat, hielte man ihn für einen Chirurgen, mutmaßlich Herzabteilung: Wo die Ärzte versuchen wieder herzurichten, was der Mensch an sich verkorkst hat. „Man lernt in meinem Beruf“, wird Johann Moritz Dill später sagen, „die Schäden zu sehen“, und macht eine Generalpause. „Überhaupt“, setzt er fort, „lernt man Sehen.“

Ein ungeschützter Beruf

Familie Dill: das waren fünf Ärztekinder aus dem Stuttgarter Osten, und alle machten Musik. Eine Schwester, Anke Dill, ist zum Beispiel später Violinprofessorin an der Stuttgarter Hochschule geworden. Auch Johann Dill, Jahrgang 1978, spielt Klavier, aber es ist mehr der Modellbau, der ihn anzieht und sowieso alles Knifflige, Verschraubte. „Mit den Händen arbeiten konnte ich schon immer gut.“ Fischer Technik? „Nein, komplizierter!“ Aber seine Welt war das dann doch nicht. Seine Welt würden alte Möbel werden, das wusste Dill ziemlich früh. In Zeugnissen, die er aufbewahrt hat (und natürlich weiß er genau, wo), steht: „Moritz geht mit den Dingen, die ihm anvertraut worden sind, sorgsam um.“ Präzision und Ordnung also. Dill wird von diesen Vorlieben profitieren. An der Schreinerei schreckt ihn nach dem Abitur 1999 vor allem ab, „mit welchen Materialien man da heutzutage arbeiten muss“.

Dill macht ein Praktikum bei den Restauratoren Urban-Weil & Partner in Fellbach, was schon deswegen länger dauert als zwei Jahre, weil der Praktikant wissbegierig ist und die Lehrer auskunftsfreudig sind. Auf dem Tisch in der Stuttgarter Werkstatt liegt ein dickes Buch, dessen Seiten Dill damals angefangen hat zu beschriften: mit Zeichnungen, Handgriffen, theoretischen Erklärungen und praktischen Beispielen. Kunstgeschichte, Farbenlehre, Holzanatomie, Chemie und Biologie. Chemie hatte er in der Schule frühzeitig fallen gelassen: „Das habe ich dann ein bisschen bereut.“

Man wird, vielleicht sollte man das schon an dieser Stelle erwähnen, als Restaurator und Konservator (was Dill dann vier Jahre lang am Goering Institut in München studiert) nicht unbedingt mit Reichtümern überhäuft, zumal der Beruf, im Gegensatz zum Schreinerhandwerk, noch nicht mal geschützt ist. Restaurator kann sich, wie ja Journalist auch, jeder nennen, was der Scharlatanerie selbstredend Tür und Tor öffnet. Dill aber ist staatlich geprüft, und er hat im Studium alles gegeben.

Geduldsarbeit höchster Ordnung

Er wohnt in München auf 20 Quadratmetern, und selbst als er beim weithin anerkannten Restaurator Markus Haubs in München-Sendling zu arbeiten anfängt, bleibt er dort wohnen. Halb aus Neigung, denn die Pinakotheken stehen gleich hinterm Haus, halb aus Notwendigkeit: etwas mehr als 3000 Euro brutto beträgt der Monatslohn. Viel geändert hat sich innerhalb der Branche nicht. Es gibt nur vier Studienorte – Köln, Hildesheim, Potsdam und München – und wenige Studenten, nicht mehr als ein Dutzend zu Semesterbeginn. Wer Glück hat und die Atmosphäre mag, gelangt ans Museum. Die Plätze sind rar. Restauratoren wechseln selten in einen anderen Beruf. Aber Johann Moritz Dill möchte seine eigene Werkstatt. Er geht zurück nach Stuttgart, seine Frau ist Sinologin, heute sind die beiden gemeinsamen Kinder vier und ein Jahr alt.

Dill ist ein Holzmann, „weil die Möglichkeiten des Materials unbegrenzt sind“, selbst Brüche könne man heilen, sagt er – in diesem Moment tatsächlich wie ein Arzt, der die Vorzüge einer neuen Herzklappe erklärt –, und wenn ein Möbelstück gearbeitet worden ist, ohne dass ein Nagel verwendet wurde, beginnt sein Interesse wirklich aufzukeimen. Dann geht er – für Auktionshäuser und Museen, aber natürlich auch für Privatkunden – erst einmal in die akkurate Analyse, an der das Auge, chemische Verfahren, aber auch ein Mikroskop beteiligt sind. Dies, wie alles Folgende, ist eine Geduldsarbeit höchster Ordnung.

Als der anfangs erwähnte Dresdner Hallenschrank angeliefert wurde, ein Familienerbstück, das es irgendwie, also jämmerlich ramponiert, durch die Jahrhunderte geschafft hatte, hat Johann Moritz Dill sofort gesehen, dass er es mit einem gleichermaßen hochinteressanten wie problematischen Fall zu tun hatte. Um dem Schwergewicht Standfestigkeit verleihen zu können, hatten Generationen von Spediteuren oder selbst ernannten Schreinern sich etwas einfallen lassen: mit Billigfarbe überstrichen, eine Zigarettenkiste als Stütze einmontiert oder „auf roheste Art“ (Dill) Nägel in den Corpus geklopft. Es ist dann im Übrigen nicht mit rausziehen getan, denn Verletzungen, da gleicht das Holz wieder dem Menschen, wollen behandelt und gepflegt, ja, wenn man so will, verbunden werden.

Es kann nicht jeder mit jedem kommen

Schließlich heilt die Historie und allmählich, in einem Prozess, der sich über Wochen und Monate erstrecken kann, entsteht durch sanften Druck, Injektionen und vor allem einen übergeordneten Gesundungsplan wieder etwas, das dem Original nahe kommt. Wenn es gut geht. Und Johann Moritz Dill, so viel kann man wohl auch als Laie sagen, nimmt es damit sehr, sehr genau.

Über Qualität lässt er nicht mit sich reden. Höchstens, dass er bei Abrechnung in einem besonderen Fall auch mal eine Arbeitsstunde unter die Bank fallen lässt: als kürzlich ein interessierter, vergleichsweise junger Mann einen im Internet unfassbar billig ersteigerten Reisesekretär aus dem 17. Jahrhundert vorbeibrachte, dem man auch auf den zweiten Blick seine ehemals noble Herkunft nun wirklich nicht mehr ansah, fühlte sich Dill auch ein bisschen in der Pflicht, die Sache finanziell im Rahmen zu halten. Grundsätzlich geht er nur an, was er für „restauratorisch-moralisch“ vertretbar hält; es kann also auch nicht jeder mit jedem kommen.

Wann kann eine Arbeit auch vor den strengen Augen von Johann Moritz Dill bestehen? „Wenn alles geprüft worden ist“, sagt er, „und sauber gearbeitet wurde.“ Nicht von ungefähr lässt Dill das Personalpronomen hier weg, sieht er sich doch mehr im Dienst einer Sache, die nur unvollkommen mit Tradition und Pflege umschrieben wäre. Dass viele heute teuer gehandelte Antiquitäten ehedem mit dem Schweiß und der Gesundheit von halben Sklaven bezahlt wurden, muss man ihm nicht erzählen. Dill ist alles andere als berufsblind.

Eines noch vielleicht. Ob es tatsächlich stimmt, dass so ein Möbel ein Freund fürs Leben werden kann? Er sieht es nicht so, darf es nicht so sehen, denn Johann Moritz Dill schaut anders auf die Dinge. Der Dresdner Hallenschrank allerdings, der jetzt auf ewig auszieht? Schon.