Zyperns Staatsbankrott ist abgewendet, der Insel droht nach Ansicht der EU-Kommission dennoch ein „ökonomischer Schock“. Internationaler Währungsfonds und Bundesregierung setzen einen massiven Umbau des Finanzsektors durch.

Brüssel - Am Ende der Nacht hat es plötzlich nur noch Sieger gegeben. „Wir haben jetzt das Ergebnis, für das die Bundesregierung immer eingetreten ist“, sagte der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am frühen Montagmorgen beim Verlassen des Brüsseler Ratsgebäudes. Kein Wort mehr davon, dass auch er vor acht Tagen der ersten Einigung der Euroländer zugestimmt hatte, die mit einer Zwangsabgabe auf alle zyprischen Bankguthaben viel Kritik ausgelöst hatte und im Parlament von Nikosia gescheitert war. Die Lösung sei „besser als die aus der Vorwoche“, befand der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Und selbst Zyperns Finanzminister Michael Sarris sprach von einem „besseren Deal für Zypern“. Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, lobte die Grundsatzeinigung. Zypern habe „eine Katastrophe und eine finanzielle Kernschmelze vermieden“. Heftig kritisierte er allerdings das Krisenmanagement: „Den Verhandlungen fehlte Transparenz, demokratische Rechenschaft und sie wurden schlecht kommuniziert.“

 

„Vergessen Sie die Zahl von 5,8 Milliarden“

Ein massiver Umbau des zyprischen Bankensektors tritt nun an die Stelle einer Abgabe für alle Sparer und Anleger. Es gibt nach der Finanzministersitzung keine festen Prozentsätze und auch keinen fixen Eigenbeitrag mehr, den die Zyprer beisteuern müssen. „Vergessen Sie die Zahl von 5,8 Milliarden Euro“, forderte Dijsselbloem die Journalisten auf, „wir benutzen sie nicht mehr.“ Einzige Hausnummer in der Ministererklärung ist, dass unverändert bis zu zehn Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm an Zypern überwiesen werden sollen.

Neben längst vereinbarten Spar-, Reform- und Privatisierungsvorhaben müssen die Zyprer eine ihrer beiden größten Banken opfern und die andere radikal umstrukturieren. „Ohne ein Bail-in bei beiden Banken geht es nicht“, sagte Schäuble. Gemeint ist, dass die Laiki-Bank, mit einem Marktanteil von 16 Prozent zweitgrößtes Kreditinstitut des Landes, ihre Pforten nicht mehr öffnet. Einlagen unter 100 000 Euro werden nicht belangt und auf die Bank of Cyprus übertragen. Alle höheren Guthaben verfallen. Die orthodoxe Kirche Zyperns dürfte nach Schätzungen ihres Erzbischofs Chrysostomos durch die geplante Abgabe auf Geldeinlagen 100 Millionen Euro verlieren. „Die Kirche wird es überleben“, meinte er. Schließlich habe sie in Krisenzeiten „sogar die Abendmahlkelche verkauft“. Der Erzbischof zeigte sich aber enttäuscht von der Haltung der EU: „Wir hatten an ein anderes Europa geglaubt.“

Ein „ökonomischer Schock“ für die Insel

Der EU-Währungskommissar Olli Rehn rechnet mit einem „ökonomischen Schock“ für die Insel. Denn der Verlust von 4,2 Milliarden Euro, mit dem Dijsselbloem kalkuliert, trifft eben nicht nur wohlhabende russische Anleger, die getroffen werden sollten – weil es sich bei deren Vermögen dem Bundesnachrichtendienst zufolge zu rund 40 Prozent um Schwarzgeld handelt. Auch entsprechende Konten von Firmen oder Pensionsfonds bei der Laiki-Bank werden ausgelöscht. Neben den Arbeitsplätzen bei der Bank dürften damit viele weitere Stellen bei Unternehmen wegfallen, die wegen Kapitalmangels schließen müssen.

Guthaben werden per Mausklick gelöscht

Auch bei der größten Bank des Landes, der Bank of Cyprus, wo besonders viele russische Bürger Konten haben, wird ein Teil der Guthaben per Mausklick ausradiert. „Wir haben hierzu noch keine Zahl“, sagte Dijsselbloem. Diese werde sich erst in den kommenden Wochen aus den inhaltlichen Vorgaben für den Umbau der Bank of Cyprus ergeben. Der Branchenprimus muss Laikis Schulden bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Höhe von insgesamt 9,5 Milliarden Euro übernehmen. Diese Notkredite hatten die Bank zuletzt am Leben gehalten. Auf der anderen Seite soll die Bank of Cyprus künftig solide finanziert sein und die vorgeschriebene Eigenkapitalquote von neun Prozent aufweisen. Der Verlust für Sparer und Anleger wird sich nach Angaben zyprischer Regierungsbeamter in einem Korridor zwischen 30 und 40 Prozent des Einlagenwertes über 100 000 Euro bewegen.

Die Geldgeber setzen bei den Banken an

„Wir behandeln die Probleme dort, wo sie entstanden sind“, sagte Dijsselbloem ebenso zufrieden wie Christine Lagarde. „Wir haben die Behandlung auf die beiden Problembanken begrenzt“, ergänzte die Chefin des Internationalen Währungsfonds. Mit diesen Maßnahmen wird Zyperns Finanzsektor bis 2018 auf die Hälfte des jetzigen Volumens geschrumpft und der EU-Durchschnitt erreicht. Bislang ist die Bilanzsumme der Banken acht Mal so groß wie die Wirtschaftsleistung des Landes. „Das zyprische Geschäftsmodell war nicht überlebensfähig“, sagte der EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, der gleichzeitig die Gründung einer Task Force für Zypern ankündigte, die untersuchen soll, auf welcher Basis die Wirtschaft neu aufgebaut werden kann: „Wir müssen neue Quellen des Wachstums finden.“Die harten Einschnitte für die Anleger bedeuten auch einen harten Einschnitt für die Beziehungen, die Zypern bisher mit Russland unterhielt. Dort sei man „verständlicherweise enttäuscht“, sagte der Finanzminister Sarris unmittelbar nach der Entscheidung. Die vereinbarten Maßnahmen kämen sicher „teilweise als Schock“.

Der direkte Abfluss verbleibender Einlagen wird, wenn nun die Banken schrittweise wieder geöffnet werden, mit Kapitalverkehrskontrollen verhindert, denen das Parlament in Nikosia schon vor der Sitzung in Brüssel seinen Segen gegeben hatte. Obwohl der freie Kapitalverkehr zu einer der vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes gehört, sind zeitlich begrenzte Ausnahmen erlaubt, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht ist. Der EU-Kommissar Michel Barnier kündigte an, dass diese Begrenzung des Geldverkehrs genau überwacht werde.

Die Europäische Zentralbank hatte den Hebel umgelegt

In den folgenreichen Rückbau der Finanzwirtschaft hatte Präsident Nikos Anastasiades nach langen Verhandlungen mit Lagarde und Barroso sowie dem EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und dem Zentralbankchef Mario Draghi und einer eigenen Rücktrittsdrohung eingewilligt. Eine ähnliche Einigung sei noch vor einer Woche „politisch unmöglich“ gewesen, so Dijsselbloem. Den Hebel umgelegt hatte die Ankündigung der EZB, die Notkreditversorgung für Zyperns Banken einzustellen, sollte bis zum heutigen Dienstag kein Rettungspaket geschnürt sein. „Zwischen dem vergangenen Samstag und heute lag das Frankfurter Ultimatum“, erklärt ein Regierungsbeamter die veränderte Haltung seines Präsidenten. „Wir haben den katastrophalen Austritt aus der Eurozone vermieden“, so der Finanzminister Sarris, auch wenn dies „nicht ohne Schmerzen“ abgehe. „Dieses Mal war nicht der Ist-Zustand der Vergleichsmaßstab“, sagt ein EU-Diplomat zum Einlenken der Zyprer: „Dieses Mal war das Referenzszenario der Staatsbankrott.“