Bei einer dramatischen Rettungsaktion werden hunderte Reisende per Seilwinde auf andere Schiffe gebracht.

Ägäis - Es war ein Wettlauf gegen die Zeit: Fast 500 Menschen wurden in der Nacht zum Sonntag an Bord der Autofähre Norman Atlantic in der Ägäis von einem Feuer überrascht. Das Schiff war auf dem Weg vom griechischen Hafen Patras über Igoumenitsa nach Ancona in Italien. Schnell griffen die Flammen um sich. Mehrere Rettungshubschrauber versuchten, die Passagiere in Sicherheit zu bringen. Die italienische Küstenwache barg die Leiche eines Mannes, der von der brennenden Fähre ins Meer gesprungen war.

 

Auf dem Schiff spielten sich laut Augenzeugenberichten dramatische Szenen ab. „Wir sind völlig hilflos“, berichtete ein Passagier per Handy im Radio. „Die Leute schreien, alle sind verzweifelt“, schilderte ein anderer. „Keiner weiß, wie lange wir noch aushalten“. Die Hitze an Deck sei so stark, dass seine Schuhsohlen geschmolzen seien, sagte ein weiterer Reisender. Rettungsflöße seien zwar zu Wasser gelassen worden, einige aber sofort abgetrieben, bevor die Passagiere sie erreichen konnten.

Auch Deutsche sind laut Passagierliste an Bord

Fernsehbilder, die von einem Rettungshubschrauber aus aufgenommen wurden, zeigten eine schwarze Rauchwolke über dem Schiff, das in schwerem Seegang trieb. Flammen schlugen aus den Luken der Fahrzeugdecks. An Bord des Schiffes waren nach Angaben der Behörden 478 Personen, davon 417 Passagiere, überwiegend Lkw-Fahrer. Laut der Passagierliste waren auch 18 Deutsche und vier Schweizer sowie vier Österreicher an Bord. Auf den Parkdecks der Fähre befanden sich 200 Fahrzeuge, darunter Lastzüge mit Öl. Passagiere berichteten, das Schiff werde immer wieder von Explosionen erschüttert. Bis zum Abend konnten etwa 165 Menschen gerettet werden. Darunter war laut der italienischen Nachrichtenagentur Ansa auch eine Schwangere mit ihren zwei Kindern, die vermutlich ins Wasser gefallen waren. Andere Kinder warten demnach im Krankenhaus in Süditalien auf Nachrichten von ihren Eltern, die noch an Bord seien.

Koordiniert wurden die Rettungsmaßnahmen von den italienischen Behörden. Ministerpräsident Matteo Renzi stand in Kontakt mit seinem griechischen Amtskollegen Antonis Samaras. „Beide Regierungen arbeiten eng zusammen und werden alle Mittel mobilisieren, um die Menschen zu retten“, sagte eine griechische Regierungssprecherin. Erschwert wurden die Rettungsversuche durch das Wetter: In dem Seegebiet tobte ein Sturm mit Windstärken von bis zu neun Beaufort. Regen- und Hagelschauer nahmen den Rettern die Sicht.

Das Schiff treibt führerlos in der See in Richtung Albanien

Acht Schiffe eilten am Sonntagvormittag zur Unglücksstelle, darunter die unter italienischer Flagge fahrende Autofähre Cruise Europa. Ihre Besatzung setzte ein Rettungsboot aus, das sich aber wegen des Seegangs der Norman Atlantic nicht nähern konnte. Die griechische Luftwaffe schickte daraufhin zwei Hubschrauber und ein Hercules-Transportflugzeug zur Unglücksstelle. Der griechische Marineminister Miltiadis Varvitsiotis sagte: „Es ist eine der schwierigsten Rettungsaktionen, die wir je durchgeführt haben.“

Am Sonntagmittag teilte der Kapitän der Norman Atlantic über Sprechfunk mit, dass die Maschinen und die Ruderanlage ausgefallen seien. Das Schiff treibe führerlos in der See in Richtung Albanien. Das Feuer sei noch nicht gelöscht, aber nun unter Kontrolle, meldete der Kapitän weiter. Nachdem sich am Nachmittag das Wetter etwas gebessert hatte, begannen die Hubschrauber, die Passagiere mit Seilwinden vom Deck der Fähre aufzunehmen. Sie wurden zur Cruise Europa geflogen und dort per Seilwinde abgesetzt. Bis zum Nachmittag konnten 56 Personen, die sich in Rettungsflößen befanden, von den Besatzungen anderer Schiffe in Sicherheit gebracht werden. Weitere 150 Passagiere befanden sich in einem Rettungsboot der Norman Atlantic. Der Besatzung eines zur Hilfe geeilten Containerschiffes gelang es bis zum Nachmittag, 40 der Schiffbrüchigen über Strickleitern an Bord zu nehmen.