Hilfe kommt zu spät, Personal fehlt und Rettungswagen werden als Krankentransporter missbraucht: Experten und Opposition fordern von der Landesregierung grundlegende Veränderungen im Rettungsdienst.

Stuttgart - Es ist ein Thema, das jeden betreffen kann: der Rettungsdienst. Doch für die Landesregierung in Baden-Württemberg scheint es trotz bekannter Mängel und Probleme keinen großen Handlungsbedarf zu geben.

 

Nicht nur für die Opposition ein unzumutbarer Zustand. Kurz nach der Rettungsdienstdebatte im Landtag wenden sich Experten der Bürgerinitiative Rettungsdienst gemeinsam mit dem Forum Notfallrettung und dem Notfallforum Tübingen in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne). Es geht um Unterbesetzung der Rettungswagen und Leitstellen, lange Wartezeiten bei Krankentransporten und die Nichteinhaltung der Hilfsfrist. „Ohne eine gesetzliche Regelung in puncto Trägerschaft und Leitstellen wird sich nichts an der momentanen Situation ändern“, sagt Joachim Spohn von der Bürgerinitiative Rettungsdienst und setzt damit die Grünen unter Druck, die es seit Jahren versäumt hätten, sich des Themas konkret anzunehmen.

Für zu viele Menschen komme die medizinische Hilfe immer noch zu spät. „Wir haben im Land etwa 1,6 Millionen Rettungsdiensteinsätze pro Jahr. In 95 Prozent soll der Rettungsdienst in der Hilfsfrist von 15 Minuten vor Ort sein, fünf Prozent Ausreißer sind erlaubt. In konkreten Zahlen sind das 80 000 Menschen, die zu spät Hilfe bekommen“, sagt Holger Sulz vom Notfallforum Tübingen. Den Grund für die schlechte Versorgung sehen die Experten vor allem darin, dass es in Baden-Württemberg keine neutrale Fachaufsicht für den Rettungsdienst gebe – als einziges Bundesland. Trotz einer eigenen Stelle zur Qualitätssicherung im Rettungsdienst (SQR), die seit 2011 regelmäßig entsprechende Zahlen liefert, fühle sich keiner zuständig und schiebe die Verantwortung weiter.

Etwa 80 000 Menschen erhalten zu spät medizinische Hilfe

Ebenso ein Problem sei, dass die integrierten Leitstellen, in denen die Notrufe eingehen und disponiert werden, meist in Trägerschaft von Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) liegen, die als private Betriebe agieren. „Wir wollen den Hilfsorganisationen nichts wegnehmen, aber die Trägerschaft muss in staatliche Hand und es braucht ein Leitstellengesetz“, fordert Tjark Neinhardt vom Forum Notfallrettung Stuttgart. Die Qualität der Leitstellen und damit auch des gesamten Rettungsdienstes könne nur gesichert werden, wenn es einen einheitlichen Leistungskatalog mit personellen und technischen Vorgaben geben würde. Reservefahrzeuge samt Besatzungen für Notfallsituationen, wie es beispielsweise in anderen Bundesländern praktiziert werde, gebe es in Baden-Württemberg nicht. Wenn alle Rettungswagen in Stuttgart im Einsatz sind, dann sei eben Ende der Fahnenstange, so Neinhardt.

Der Rettungsdienst muss entlastet werden

Denn die Hälfte aller Rettungswagen-Einsätze seien gar keine medizinischen Notfälle. Oft würden Rettungswagen als Krankentransport bestellt, um die langen Wartezeiten zu umgehen. „Wir brauchen ein besseres medizinisches Versorgungssystem von Hausärzten, Notfalldiensten und vor allem eine Planung der Krankentransporte, um den Rettungsdienst massiv entlasten zu können“, so Sulz. Am Ende gehe es doch um Menschen und nicht um eingehaltene Fahrzeiten.