Abseits von Hollywood anspruchsvolle Filme zeigen – das will das Kamino. So heißt Reutlingens allererste Programmkino. Eine Genossenschaft mit rund 750 Mitgliedern trägt das Projekt.

Reutlingen - Der Testbetrieb wurde am Wochenende erfolgreich abgeschlossen, nun kann es losgehen. Im Areal der ehemaligen Textilfabrik Wendler wird am Donnerstag der erste Film in einem neuen Kino gezeigt. „Taxi Teheran“, der Berlinale-Gewinner, passt genau zu dem Anspruch, den sich diese Filmenthusiasten stellen. „Kulturelle, gesellschaftlich anspruchsvolle Filme wollen wir zeigen“, sagt Stefan Marschall, „und wenn Witz und Satire dabei sind, dann ist das um so besser.“ Marschall gehört zu den Gründungsmitgliedern einer gemeinnützigen Genossenschaft, die das Projekt betreibt. Warum sich mittlerweile 746 Mitglieder dieser Genossenschaft angehören, beschreibt Marschall so: „Weil es so ein Kino in Reutlingen noch nie gegeben hat“. Bisher hätten Filmfreunde wie er, die nicht nur Hollywood-Blockbuster sehen wollten, immer nach Bad Urach fahren müssen oder nach Tübingen.

 

Die Idee für ein Programmkino in Reutlingen entstand vor mehr als zwei Jahren in einer eher geselligen Runde. Karin Zäh, ehemalige Stadträtin und Andreas Vogt vom Kulturamt Reutlingen waren von Anfang an dabei. Konkret wurde es im August 2013, als im Rahmen des Reutlinger Open Air-Kinos nach dem Interesse für so ein Kino gefragt wurde. Mehr als 500 Kinogänger haben sich in einer Liste eingetragen. 300 Reutlingen wollten mitmachen, als im Dezember 2013 im ehemaligen Kali Kino die Genossenschaft gegründet wurde. Jeder Anteilseigner verpflichtete sich zur Zeichnung von mindestens einem Anteilschein zu je 200 Euro. Um als Genossenschaft eingetragen zu werden, war eine Wirtschaftlichkeitsprüfung notwendig. Diese geht von 15 000 Besuchern jährlich aus, so wurde diese Hürde genommen.

„Das Kino schließt eine Lücke“

Aktuell sind 897 dieser Anteilscheine gezeichnet. „Welcher Bauherr kann schon die Hälfte der Baukosten auf den Tisch legen“, sagt Ulrich Bausch, der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft im Rückblick. Der Geschäftsführer der Volkshochschule Reutlingen nennt das Kino einen weiteren Ort der kulturellen Bildung in der Stadt, „Das Kino schließt eine Lücke“. Gebaut wurde im Parterre eines Bauwerks auf dem verwinkelten Wendler-Areal nahe am Ufer der Echaz. Der erste Gebäudekomplex stammt aus dem Jahr 1848, weitere entstanden während der folgenden hundert Jahre. Doch auf Dauer war Wendler der ausländischen Billigkonkurrenz nicht gewachsen. Auch hier entstand eine Brache, wie an so vielen Orten der von dem Niedergang der Textilindustrie lange gezeichneten Stadt Reutlingen. Ein neues Nutzungskonzept mit dem angestrebten Mix aus Arbeiten und Freizeit hat eine Tanzschule angelockt, auch einen Friseur. Das Programmkino fand einen Platz und auch den Namen: Weil auf dem Wendler Areal ein alter Backsteinkamin in den Himmel ragt, wurde das Kino Kamino getauft.

Lange hofften die Kino-Initiatoren auf eine Unterstützung der Stadt Reutlingen. Doch als es im Februar 2015 in den Haushaltsberatungen um eine Summe von 18 000 Euro im Jahr ging, ist der entsprechende Antrag durchgefallen. In den Reihen der Stadträte herrschte ein Patt, die Stimme der Oberbürgermeisterin Barbara Bosch gab letztlich den Ausschlag. Unterkriegen ließen sich die Genossen nicht. „Es geht ganz normal weiter“, sagte Kinovorstandsmitglied Karin Zäh damals.

„Aktion Mensch“ hilft mit

Wenige Wochen später wurde mit dem Umbau begonnen. Den Kern bildet ein 116 Quadratmeter großer Kinosaal mit 92 Sitzplätzen. Stolz ist Karin Zähs Vorstandskollege Klaus Kupke über die Wahl des nicht nur sehr bequemen Gestühls: Eine Reihe in der Mitte hat zur den nächsten Sitzen einen besonders großen Abstand. „Jeder Sitz lässt sich schnell einzeln herausnehmen, so finden auch Gruppen von Rollstuhlfahrern einen guten Platz“. Wegen der durchgehenden Barrierefreiheit hat die „Aktion Mensch“ den Bau des Kinos mit 13 000 Euro unterstützt. Rund 20 Reutlinger Unternehmen halfen bei der Planung oder bei der Anschaffung von Mobiliar und modernster Technik. Aufsichtsrat Bausch betont an dieser Stelle, dass man doch froh sei, das Zelluloid-Zeitalter hinter sich gelassen zu haben. Um die neue Technik bedienen zu können, haben sich viele Genossenschaftsmitglieder schulen lassen.

Stefan Marschall, das Gründungsmitlied, sprich von mehr als hundert „Aktiven“, die dieses Kino am Laufen halten wollen. Einige von Ihnen werden im Foyer arbeiten. Es umfasst 47 Quadratmeter und ist mit einer hellen Bar ausgestattet. „Für das Getränk vor und nach der Vorstellung“, erklärt Marschall. Bis in die späten Nachstunden soll diese Kinobar freilich nicht geöffnet bleiben. Für Nachtschwärmer bieten andere Lokalitäten genügend Möglichkeiten. Die sind zu Fuß gut erreichbar. Da trifft es sich gut, dass es um die Zahl der Parkplätzen für Kinobesucher auf dem Wendler-Areal selbst schlecht bestellt ist.