Streichen Sie alle Termine aus Ihrem Kalender! Verlassen Sie nicht das Haus! Netflix hat die ersten sieben Episoden der vierten „Stranger Things“-Staffel veröffentlicht.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Die Welt ist voller Monster. Die Ungeheuer, die aus der Schattenwelt hervorkrabbeln, die unter der Kleinstadt Hawkins in Indiana lauert, sind nicht allein. Und nicht für alle hat das Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ passende Namen parat. Tatsächlich gibt es schlimmere Bestien als den Demogorgon, vor dem die schrulligen Nerds von der Hawkins Middleschool ihren Freund Will in der ersten Staffel von „Stranger Things“ retten und der jetzt in einem sibirischen Arbeitslager Gefangene zum Frühstück verspeist; abscheulichere Dämonen als den spinnenartigen Gedankenschinder aus der zweiten Staffel; sogar grausamere Kreaturen als Vecna, den Oberbösewicht der vierten Staffel, der es auf depressive Teenager abgesehen hat und immer neue Portale zur Schattenwelt öffnet.

 

Serienepisoden in Überlänge

Die schlimmsten Monster sind die, die man nicht sofort als Monster erkennt. Sie tragen die weißen Kittel von Wissenschaftlern, sie tragen die Uniformen der Sowjetunion oder US Army, sie tragen Farah-Fawcett-Frisuren, Karottenjeans, Leggings oder Basketballtrikots und gehen auf Highschools in Indiana oder Kalifornien. Sie sind mit ihrem selbstgerecht-verzerrten Blick auf die Welt die heimlichen Monster der vierten Staffel von „Stranger Things“.

Monströs ist aber auch die Fortsetzung der Netflix-Erfolgsserie selbst. Jede der sieben Episoden, die seit Freitag verfügbar sind, überzieht die sonst übliche Seriendauer mindestens so gewaltig wie Thomas Gottschalk einst bei „Wetten, dass . .?“. Jede Folge hat eigentlich Spielfilmlänge, dauert weit über eine Stunde. Doch die Serienmacher, Matt und Ross Duffer, packen so viele fantastische Ideen und kuriose Details in die Story, springen so virtuos von einem Handlungsstrang zum nächsten, dass man gar nicht genug von diesem Erzählkosmos bekommen kann, die sieben Episoden schneller durch hat, als einem lieb ist – und sehnsüchtig auf den 1. Juli wartet, wenn zwei Nachzügler-Episoden die vierte Staffel, die die vorletzte von „Stranger Things“ sein wird, abschließen.

Eine Staffel wie „Game of Thrones“

Nicht nur weil Netflix alle Kritiker eine lange Liste mit Dingen, die man nicht preisgeben darf, unterschreiben hat lassen, sondern auch, weil keiner Spaßverderber mag, wird hier nicht allzu viel von dem verraten, was in vierten Staffel wirklich passiert. Kein Geheimnis muss man aber daraus machen, dass die Fortsetzung düsterer ist als die bisherigen Staffeln – und dass sich die Geschichte erstmals aus der Kleinstadt Hawkins herauswagt. Die Duffer-Brüder selbst beschreiben die vierte Staffel als ihre „Game of Thrones“-Staffel – denn wie die Fantasyserie spielt „Stranger Things“ nun an vielen Orten gleichzeitig.

Lesen Sie aus unserem Angebot: 10 Serien, die Sie im Mai nicht verpassen sollten

Von Indiana über Kalifornien nach Sibirien

In Hawkins legen sich Dustin, Max und Lucas, die nun auf die Highschool gehen, gemeinsam mit Nancy, Steve und Robin mit dem neuen Schattenwelt-Monster an, das sie auf den Namen Vecna taufen. In Kaliforen wird Eleven, die ihre psychokinetischen Kräfte verloren hat, von ihrer Vergangenheit eingeholt. Will und Jonathan begeben sich auf den Spuren von Eleven auf eine Odyssee quer durch die USA. Und Joyce, die Mutter von Will und Jonathan, reist mit einem Schmuggler über Alaska nach Russland, weil sie glaubt, dass Hopper das Finale der dritten Staffel überlebt hat und nun in einem Arbeitslager gefangengehalten wird.

Von Nerds über Nerds für Nerds

Was sich nicht ändert, ist, dass „Stranger Things“ eine Serie von Nerds über Nerds für Nerds bleibt, ein grandioser Spaß für alle, die sich in der Welt zwischen „E. T.“ und „Es“, zwischen Steven Spielberg und David Cronenberg zu Hause fühlen, ein kurios-grandioser Mix aus Filmzitate-Sammlung, 80er-Jahre-Hommage und Gruselstunde. Dadurch, dass das Spielfeld, auf dem sich die Duffers austoben, jetzt größer wird, enthält aber auch der „Stranger Things“-Genre-Cocktail ein paar Zutaten mehr. Neu im Mix sind zum Beispiel Roadmovie, Ausbrecherfilm oder Spukhaus-Horror.

Die Saison der schlimmen Frisuren

Es ließe sich noch viel über die Detailversessenheit der Science-Fiction-Horror-Retro-Show der Duffer-Zwillinge sagen: über all die Anspielungen auf „Eraserhead“, „Fast Times at Ridgement High“ oder die „Nightmare on Elm Street“-Filme (Robert Englund, der in der Reihe Freddy Krueger spielte, hat zum Beispiel einen Gastauftritt); über das Denkmal, das die Serie Kates Bushs Song „Running up that Hill“ errichtet; über die schlimmen 80er-Jahre-Frisuren, die Millie Bobby Brown (Eleven), Finn Wolfhard (Mike), Natalia Dyer (Nancy) und Noah Schnapp (Will) zugemutet werden; über den großartigen Einstand von Tom Wlaschiha („Game of Thrones“, „Das Boot“) als Gefängniswärter oder die unglückliche Figur, die Eduardo Franco als dauerbekiffter Argyle macht, der droht der Jar Jar Binks des „Stranger Things“-Kosmos zu werden. Aber sehen Sie selbst!

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Tom Wlaschiha über „Das Boot“ und „Stranger Things“

Jugendliche Helden gegen die Monster des Highschool-Alltags

Unter der Grusel-, Mystery- und Science-Fiction-Fassade bleibt „Stranger Things“ jedenfalls eine herzzerreißende Coming-of-Age-Serie voller jugendlicher Helden, die eben nicht nur von Monstern aus einer anderen Dimension, sondern auch von Mitschülern drangsaliert werden, die auf Rollschuhbahnen perfide Psychospiele der öffentlichen Demütigung inszenieren oder sich in einen Lynchmob verwandeln, der alles vernichten will, was nicht der eigenen monströsen Vorstellung von Normal entspricht.

Info

Stranger Things 4
Die ersten sieben Episoden der vierten Staffel sind seit Freitag bei Netflix verfügbar. Zwei weitere Folgen werden am 1. Juli veröffentlicht. Die fünfte und letzte Staffel der Serie ist 2023 geplant.