Der Science-Fiction-Autor Richard K. Morgan hatte den Traum vom Schriftstellerleben schon aufgegeben. Dann erschien doch noch sein erstes Buch, und Hollywood wollte es haben. Geworden ist nichts daraus, bis Netflix zugriff. Und mit der Serie „Altered Carbon“ ist nun auch Morgan selbst zufrieden.

London - Das ist der Traum von Millionen begeisterten bis süchtigen Lesern: selbst mal ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen. Einige dieser Träumer spinnen die Fantasie weiter, stellen sich vor, das Buch würde erfolgreich und sie könnten ihren bisherigen Job an den Angel hängen. Der erste Teil des Traums ist in Zeiten des fast kostenlosen digitalen E-Book-Vertriebs gar nicht mehr so vermessen. Der zweite, der von der soliden Selbstständigkeit, bleibt auch für viele Autoren mit ehrbaren Verlagen und guten Kritiken unverwirklichbar. Dass trotzdem immer wieder Menschen so zu träumen wagen, liegt an den seltenen Erfolgsgeschichten wie jenen des Briten Richard K. Morgan.

 

Morgan, Jahrgang 1965, hatte zwar schon seit Schultagen vom Schreiben geträumt, hatte diese Ambition sogar durch sein Geschichtsstudium in Cambridge gepäppelt. Aber dann war er nach London gezogen, um freier Schriftsteller zu werden. „London“, sagt er, „stutzt Dich auf Dein wahres Maß zurecht wie keine andere Stadt auf der Welt“. Noch mehr Angst als die Unmengen an Möchtegernschriftstellern in der britischen Hauptstadt machten Morgan die vielen Autoren, die tatsächlich Bücher am Markt hatten – aber nicht davon leben konnten.

Morgan zog also fort von dort und legte seinen Traum vorerst auf Eis. Er wurde im Ausland Englischlehrer für erwachsene Fremdsprachler, machte sogar richtiggehend Karriere in der Sprachlehrbranche. Er kam herum, wurde Ausbilder von Sprachlehrern. Bis er doch ein Science-Fiction-Manuskript wegschickte, das 2002 bei einem der wichtigsten Verlage überhaupt für diese Art Literatur angenommen wurde: von Gollancz.

Hollywood hat versagt

Kaum trudelten die ersten positiven Vorabkritiken für „Altered Carbon“ ein, das in Deutschland als „Das Unsterblichkeitsprogramm“ erschien, hob Hollywood schon fix die Hand. Der „Matrix“-Produzent“ Joel Silver soll 1 Million Dollar für den ersten Band von Morgans Trilogie um Takeshi Kovacs, Ex-Söldner und Privatdetektiv in einer beängstigenden Zukunftsgesellschaft, bezahlt haben. Typisch für die Traumfabrik unserer Tage: Mehr als ein Jahrzehnt mühte sich das Kino vergeblich ab, aus einem nach Verfilmung schreienden Buch etwas zu machen – obwohl „Altered Carbon“ extrem actionreich ist, starke atmosphärische Bilder anbietet und interessante Themen anreißt. Außer Entwicklungskosten kam in Hollywood nichts zustande.

Dann schlug die Stunde der TV-Serienmacher. Auch die schoben das Projekt eine Weile hin und her. Aber nun hat Netflix „Altered Carbon“ in zehn Einstündern verfilmt – mit einem finanziellen Aufwand, der auch für diesen keinesfalls knickerigen Streaming-Dienst im Spitzenbereich der Budgets liegen dürfte. Seit 2. Februar ist die Serie auch in Deutschland bei Netflix abrufbar.

Sehen Sie hier einen Trailer zur Serie:

Download in neue Körper

Richard K. Morgan hat für „Altered Carbon“ die moderne Cyberpunk-Science-Fiction mit Elementen des düsteren, pessimistischen Großstadtkrimis angereichert. Sein Held Kovacs lebt in einer Zukunft. in der der Tod seinen Schrecken verloren hat – für die Zahlungskräftigen jedenfalls. Die können als Datenbündel in immer neue Körper schlüpfen, sie können diese Körper sogar künstlich jung erhalten. Eine kleine Gruppe der Superreichen ist so quasi unsterblich, für Menschen mit weniger Mitteln ist das Weiterleben sehr viel schwieriger. Und die Gruppe der Neo-Katholiken verweigert diese Form der Wiedergeburt, was zu großen Spannungen in der Gesellschaft führt.

Auch Unsterbliche haben Probleme

Unsterblichkeit dank Technik als Vorstellung vom irdischen Paradies? Über so viel Naivität kann Richard K. Morgan nur lachen. In seiner Zukunftsgesellschaft sind die Gegensätze und Konflikte bitterer denn je. Jetzt macht nicht einmal mehr der Tod alle gleich. Weshalb es – lange bevor der Held Kovacs nun wiedererweckt wird – eine militante Rebellion gegen das System gab. Kovacs (in der Serie verkörpert von Joel Kinnaman) war einst Elitekiller im Dienst des Militärs, danach einer der Rebellen. Und nun ist der eigentlich zu ewigem Todesschlaf Verurteilte vom reichsten Mann der Welt aus dem Hades geholt worden.

Im Dienst der Superreichen

Dieser Laurens Bancorft (James Purefoy) hat zwar die feinste Backuptechnologie überhaupt zur Verfügung. Alle 48 Stunden wird ein Nackup seiner Gesamtperson auf seinen eigenen Militärsatelliten hochgeladen. Er muss auch keine fremden Körper zur Reinkarnation benutzen, sondern hat wie wenige Superreiche stets mehrere ausgewachsene Klonkörper seines alten Ich zur Verfügung. Aber nun soll er – kurz vorm nächsten Backup – Selbstmord begangen haben. Der Reinkarnierte glaubt an Mord, aber die entscheidenden Erinnerungen sind nicht gespeichert. Kovacs soll ermitteln.

Morgan erzählt schnell, hart und bissig – und auch wenn die Serie „Altered Carbon“ nicht die Melancholie und Magie des SF-Klassikers „Blade Runner“ hinbekommt, bleibt sie Morgans Ideen treu. Vermutlich hätte der Autor seinen mit dem System überworfeneen Elitekämpfer Kovacs durch Dutzende Romane peitschen können, wie das viele Krimiautoren mit ihren Helden tun. Das aber hat der Schreiber aus Leidenschaft früh verweigert: Er kenne zu viele Buchserien, deren spätere Bände nur noch ein Abklatsch der schönen Anfänge seien, sagt Morgan. Nach drei Kovacs-Romanen, die alle einen eigenen Charakter haben, war 2005 Schluss. Schließlich hat Morgan genügend weitere Ideen für fiktive Welten.

Schwuler Schwertheld

Mit der Trilogie „A Land Fit for Heroes“ etwa, deren erster Band auf Deutsch „Glühender Stahl“ heißt, hat er eine ungewöhnliche Fantasy-Reihe geschaffen. Archaische Verhältnisse, brutale Kriege, verfeindete Rassen, fiese jenseitige Mächte – das übliche Szenario grimmig-derber Fantastik wird geboten, aber ausnahmsweise mit einem schwulen Schwertkämpfer als Helden, den seine sexuelle Präferenz zum Außenseiter macht.

Autoren hält man normalerweise so fern wie möglich von allem, was mit der Verfilmung ihrer Werke zu tun hat. Sehen sie die Änderungen, die ihre Werke im neuen Medium durchlaufen, jammern sie normalerweise, alles sei verflacht, verdreht, zerstört. Netflix hat Richard K. Morgan zu einem Besuch bei den Dreharbeiten eingeladen und ihn das Kreativ-Team kennenlernen lassen. Auf seiner Homepage äußert dieser Autor sich enthusiastisch: „Sie haben mein Buch geplündert, die besten der coolen Sachen rausgeholt und jede Menge anderes cooles Zeug, das ihnen mittlerweile eingefallen war, hinzugefügt.“ Mit anderen Worten: Er hält Reinschauen in „Altered Carbon“ für keine schlechte Idee.