Geboren heute vor 200 Jahren in Leipzig, gestorben 1883 in Venedig, dazwischen ein Leben, das die Musik revolutioniert, aber auch Wahnsinn inspiriert: Die Debatte um Richard Wagner bleibt offen. Denn die Konflikte, die er aufwirft, sind unlösbar.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Bayreuth - Kein anderer Komponist polarisiert die Kulturwelt so wie Richard Wagner. Überschwängliche Lobeshymnen stehen strengsten Verurteilungen unversöhnlich gegenüber. Mal heißt es: „Ich wüsste nicht, auf welchem Wege ich je des reinsten sonnenhellen Glücks teilhaftig geworden wäre als durch Wagners Musik.“ Aber dann wieder: „Wagners Kunst ist krank. Die Probleme, die er auf die Bühne bringt – lauter Hysteriker-Probleme.“ Und übrigens ist es ein und derselbe Mensch, von dem beide Zitate stammen, nämlich vom Philosophen Friedrich Nietzsche. An Richard Wagner scheiden sich offenbar nicht nur die Geister, an ihm verzweifelt sogar der einzelne Geist.

 

Auf drei großen Themenfeldern bietet Richard Wagner (1813–1883) bis heute Stoff für endlose Debatten: sein Werk, sein Leben, seine Politik. Das Phänomen Wagner, eine Annäherung.

Wagners Werk Man muss seine Musik nicht mögen. Es gibt viele Konzertfreunde, die Wagners spätromantische Klänge nur schwer ertragen können. Aber am historischen und künstlerischen Rang des musikalischen Werkes von Richard Wagner kann kein ernsthafter Zweifel bestehen.

Kein Zweifel am künstlerischen Rang

Richard Wagner hat der Oper neue Dimensionen eröffnet und die tonale Musik an ihre Grenzen geführt. Seine sechs Opern „Der fliegende Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Tristan und Isolde“, „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Parsifal“, dazu noch der vierteilige „Ring des Nibelungen“ zählen unbestritten und global zum Kanon des Musiktheaters. Die Internetdatenbank Operabase zählt für dieses Jahr 988 Aufführungen von 279 Wagner-Produktionen in 124 Städten. Kein größeres Opernhaus dieser Welt kann darauf verzichten, Wagner-Opern zu inszenieren, oder es wird auf Dauer nicht ernst genommen. Andererseits ziehen die Bayreuther Festspiele Sommer für Sommer Wagner-Freunde aus aller Welt in die tiefste fränkische Provinz.

Auch für Musiker und Sänger werden die Werke Richard Wagners zur Messlatte. Viele Partien in seinen Opern gelten als die technisch anspruchsvollsten ihrer Art. Auf die Frage, warum er noch keinen „Siegfried“ gesungen habe, antwortete jüngst der Tenor Jonas Kaufmann: „Aus reiner Vernunft. Es gibt viele Wege, seine Stimme zu ruinieren, aber Partien wie Siegfried zu früh zu singen ist einer der schnellsten.“ Und selbst wer sonst nur wenig von Musik versteht, wird beim Hören der ersten Töne aus dem Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ spüren, dass hier ein Akkord angeschlagen wird, der unsere europäisch geschulten Musiksinne bis zum Äußersten strapaziert: f – h – dis – gis. Der „Tristan“-Akkord als Teil eines universalen Kulturerbes: so ist es, nicht anders.

Schwierige Persönlichkeit

Wagners Leben War der Meister der Musik aber auch im Alltag ein Held? Eher nicht. Wer den Anspruch hat, ein großer Opernkomponist müsse auch sein eigenes Leben als Gesamtkunstwerk gestalten, wird bei Richard Wagner beide Augen fest zudrücken müssen. Die Quellen schildern ihn uns als notorisch verschuldet und latent verschlagen. Menschen, die ihn förderten (Giacomo Meyerbeer, Heinrich Heine), waren dennoch vor seinen Anfeindungen nicht sicher. Wo seine Liebe hinfiel, war keine Ehe sicher. Um Geld für sein Festspielhaus in Bayreuth zu bekommen, war kein Schwindel zu gewagt. Ja, gerade das hemmungslose Ausnutzen seines Mäzens Ludwig II. macht Wagner als Persönlichkeit nicht unbedingt sympathischer.

Kein Wunder, dass Thomas Mann, der mit seiner eigenen Wagner-Begeisterung lange nicht ins Reine kam, einst aufseufzte: „Wagner, das Pumpgenie, der luxusbedürftige Revolutionär, der namenlos unbescheidene, nur von sich erfüllte, ewig monologisierende, die Welt über alles belehrende Propagandist und Schauspieler seiner selbst . . .“. Andererseits, Herr Nobelpreisträger, muss ein großer Künstler ein umfassend guter Mensch sein? Ist das nicht romantische Verklärung?

Wagners Politik Die heikle Annahme, Wagners Werk sei auf irgendeine Weise besonders deutsch, vor allem aber, es sei eben dadurch von besonderer Qualität, geht bereits auf den Künstler selbst zurück. In der Not, seinen lange Zeit ausbleibenden Erfolg irgendwie zu erklären, verfiel er auf die Strategie, einen Gegensatz zu konstruieren zwischen seiner auf Wahrheit, Ernsthaftigkeit, Erschütterung und Erlösung zielenden Kunst und einem Kulturbetrieb, der allein auf Gewinn, Unterhaltung und Oberflächenreize aus sei – ein Kulturbetrieb, beherrscht, so Wagner, von jüdischen Künstlern, Intellektuellen und willfähriger „feuilletonistischer“ Publizistik.

Unverhohlener Antisemitismus

Wagners Schrift „Das Judentum in der Musik“ von 1850 greift all diese Themen auf. Für die Geschichte des Antisemitismus als politisch-gesellschaftliche Kraft ist sie deswegen so bedeutungsvoll, weil sie einen damals noch nicht gängigen Zungenschlag in die Debatte brachte. „Wagner macht es dem Judentum keineswegs zum Vorwurf, dass es bösartig sei“, fasste der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus bereits 1975 zusammen, „sondern behauptet mit gelassen-richterlicher Geste, dass das Judentum von der Geschichte zur Schlechtigkeit verurteilt sei.“ Und gegen einen solchen Spruch gibt es weder Rezept noch Berufung. Es bleibt nur das Urteil.

Ungelöste Debatten

Wagner-Verteidiger wie der Theaterwissenschaftler Dieter Borchmeyer wenden ein, Wagner habe ganz sicher keine „Auslöschung“ des Judentums im Sinn gehabt, sondern eine „Erlösung durch die Kunst“ angestrebt, von den Juden ebenso benötigt wie von Nicht-Juden. Das ändert aber nichts daran, dass mit Richard Wagner und seiner Ehefrau Cosima ein rassischer Antisemitismus Einzug in Bayreuth hielt, der diesen Ort und seine Musik auch zur Inspiration und Kraftquelle für eine der menschenverachtendsten Ideologien der Weltgeschichte machte. Und dies, betrachtet man die in Bayreuth Handelnden bis weit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, eben keineswegs ungewollt.

Ob und wie weit sich der Wert eines Kunstwerkes trennen lässt von Leben und Werten seines Schöpfers, wie weit es all seinen Missbräuchen zum Trotz für sich strahlen kann – das ist die Frage, die alle Debatten zum 200. Geburtstag Richard Wagners nicht beantworten werden. Als Lösung gibt es deswegen nur eines: sie aushalten.