In Stuttgart gab es einst die erste Gerichtspartnerschaft mit China. Inzwischen, nach vielen Reisen, ist der Richteraustausch fast schon Routine – und für alle lehrreich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wenn baden-württembergische Richter vom Erfahrungsaustausch mit Kollegen aus China berichten, kommt die Sprache früher oder später auf den Umgang mit der Öffentlichkeit. Da zeigen sich die Unterschiede in der Justizpraxis der beiden Länder besonders deutlich: In China werden Gerichtsverhandlungen grundsätzlich gefilmt und ins Internet übertragen, jeder kann sich mitten ins Geschehen klicken. In Deutschland hingegen gilt ein generelles Verbot von Bild- und Tonaufnahmen, um gewisse Lockerungen wird seit Jahren zäh gerungen. Die chinesischen Kollegen zeigten sich darob sehr erstaunt, erzählen Teilnehmer der Gespräche: Gerade in einer Demokratie, meinten sie, müsse doch volle Transparenz herrschen. Dann erläutere man ihnen, dass es auch Persönlichkeitsrechte zu beachten gebe und eine Prangerwirkung zu vermeiden sei.

 

Vertraute Abläufe einmal hinterfragen, aus einem anderen Blickwinkel betrachten – das ist einer der Effekte des Austauschs. Demnächst geht er in eine neue Runde: Mitte September wird wieder eine etwa zehnköpfige Delegation aus dem „Reich der Mitte“ im Bezirk des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart erwartet. Die deutschen Gastgeber haben ein dichtes Programm für ihre Kollegen vorbereitet: In Ravensburg, zum Beispiel, wird ihnen eines der neuen zentralen Grundbuchämter vorgeführt, in Heilbronn informieren sie sich über Insolvenzverfahren für Unternehmen, in Hechingen geht es um die gütliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten. Daneben soll reichlich Gelegenheit für persönliche Gespräche bleiben.

Auftrag von Chinas Zentralregierung

Der „Richter-Austausch“ mit China hat inzwischen eine mehrjährige Tradition, und Stuttgart spielte dabei eine Vorreiterrolle. Zwischen dem hiesigen Oberlandesgericht und dem Obervolksgericht in Henan – einer Provinz mit 100 Millionen Einwohnern – wurde 2010 die erste deutsch-chinesische Gerichtspartnerschaft geschlossen. Von der Zentralregierung in Peking hatten die Oberen in Henan den Auftrag, einen Partner im Westen zu finden. Sie sahen sich in England, Frankreich und Deutschland um – und erwählten letztlich Stuttgart. Den Ausschlag gab wohl das „Stuttgarter Modell“ für zügige Zivilverfahren; davon erhoffte man sich Anregungen für eine bessere Effektivität auch in China.

Aus den Anfängen hat sich inzwischen eine rege Reisetätigkeit ergeben. Mal flogen Stuttgart Richter nach China, vorneweg die früheren OLG-Präsidenten Eberhard Stilz und Franz Steinle, mal kamen Delegationen aus Henan nach Baden-Württemberg. Ranghohe Justizvertreter, die die Bedeutung des Austauschs unterstrichen, gehörten laut einem OLG-Sprecher ebenso zu den Delegationen wie jüngere Richter, die als „Potenzialträger für die Zukunft“ gelten. Anfangs sei es noch ein vorsichtiges Abtasten gewesen, berichten Teilnehmer, inzwischen sei das Vertrauen gewachsen und der Dialog offener geworden. Hilfreich sei auch, dass aus China zunehmend jüngere Richter kämen, die gut Englisch sprechen – so könne man auf Dolmetscher verzichten.

Justizminister Wolf begrüßt Initiativen

Das „Erleben von konkreten Richterpersönlichkeiten“ sei vielleicht noch wirksamer als rein akademische Vorträge, um bei den Chinesen für das deutsche Rechts- und Justizsystem zu werben, heißt es beim OLG. Man wolle so „unser Selbstverständnis eines unabhängigen Richters und den Wert einer politisch unabhängigen dritten Gewalt“ vermitteln. Manches, was die Besucher aus dem Fernen Osten berichteten, zeugt da von großem Nachholbedarf – etwa, dass Urteile lange von einem Gremium auf ihre gesellschaftliche Akzeptanz geprüft wurden. Auch die genauen Vorgaben für die Dauer von Verfahren erscheinen aus deutscher Sicht unvorstellbar. Umgekehrt ist es für die Chinesen kaum vermittelbar, wenn im Südwesten jahrelang darum gerungen wird, ob ein Richter – wie in einem Freiburger Fall – von seiner Präsidentin zum schnelleren Arbeiten angehalten werden darf.

Auch das Justizministerium von Guido Wolf (CDU) begrüßt es, „wenn rechtsstaatliche Standards, wie sie sich in der Bundesrepublik Deutschland herausgebildet haben, im Ausland aufgegriffen werden“. Man unterstütze den Austausch daher gerne „als Mittler zwischen gemeinnützigen Organisationen und interessierten Justizangehörigen“. Diesen ermögliche man die Teilnahme, etwa durch Sonderurlaub. Eine finanzielle Förderung gebe es vom Ministerium nicht, das Geld komme von den Projektträgern. Gemeint sind insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart.

Bosch-Stiftung fördert den Austausch

Gleich mit zwei Programmen engagiert sich die Stiftung, die die Völkerverständigung auf ihre Fahnen geschrieben hat, für die länderübergreifenden Justizkontakte. Seit 2011 fördert sie bundesweit den Richteraustausch zwischen China und Deutschland, seit 2015 auch noch einen Anwaltsaustausch. Mehr als 900 deutsche und chinesische Richter sowie 100 Anwälte habe man auf diese Weise schon zusammengebracht, bilanziert ein Stiftungssprecher. Den Teilnehmern biete man „persönliche Begegnungen und einen Dialog auf Augenhöhe, um mehr über die unterschiedlichen Rechtssysteme und Rechtskulturen zu lernen“. Das Angebot werde sehr gut angenommen und sei ein großer Erfolg. Bemerkenswert sei „der hohe Grad an Offenheit, auch bei kontroversen Themen“. Der Austausch basiere jeweils auf Partnerschaften zwischen deutschen Bundesländern und chinesischen Provinzen – so wie zwischen Baden-Württemberg und Henan, Hebei und Jiangsu. 18 Richter aus dem Land seien in diesem Rahmen schon in China gewesen.

Neben vielen neuen Eindrücken, berichten Kollegen, bringen sie oft auch ein besonders begehrtes Souvenir mit: ein Schild, auf dem ihr Name chinesisch geschrieben steht.