Richtig angezogen im Herbst „Zieh eine Mütze auf, sonst wirst du krank!“
Kaum wird es draußen kälter, herrscht in Familien viel Diskussionsbedarf über die richtige Kleiderwahl. Aber schützen Eltern ihre Kinder damit tatsächlich vor Krankheiten?
Kaum wird es draußen kälter, herrscht in Familien viel Diskussionsbedarf über die richtige Kleiderwahl. Aber schützen Eltern ihre Kinder damit tatsächlich vor Krankheiten?
Neulich beim Fußballtraining einer Bambini-Mannschaft. Es fängt an zu regnen. Eine Mutter stürmt auf den Rasen und spannt über ihrem Sohn einen Regenschirm auf. „Der wird sonst wieder krank“, ruft sie den Trainern entschuldigend zu. Sobald der Herbst frischere Temperaturen und Regentage bringt, versuchen Eltern mit allem, was der Kleiderschrank hergibt (Mützen, Gummistiefel, dicke Jacken, Schirme) die Gesundheit ihres Nachwuchs zu schützen. Der hält davon meist wenig („Mama, mir ist nicht kalt!“). Kaum ist aber die erste Rotznase da, sind die Ursachen für die Eltern klar: „Ich hab dir doch gesagt, du sollst deine Jacke anziehen.“
Aber: Machen sie es sich damit nicht ein wenig zu einfach? Immerhin können die dickste Jacke und der größte Schirm keine Viren abhalten – und die sind es nun mal, die für Erkältungen sorgen. Kann man sich die gut gemeinten aber ermüdenden Diskussionen um Mützen also vielleicht sogar sparen?
„Wenn ich im Sommer allein am Strand bin und friere, bekomme ich davon tatsächlich keinen Schnupfen, weil die Viren fehlen“, sagt Dilek Önaldi-Gildein, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin aus München und Sprecherin des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendärzte Bayern. In einem vollen Freibad könne das schon wieder anders sein, wenn jemand Viren mit sich herumtrage. Allerdings können die Viren im Sommer wegen der höheren Temperaturen nicht so lange überleben wie im Winter, weshalb es in den kühlen Monaten grundsätzlich mehr Erkältungskrankheiten gibt.
Deshalb kann ein Kind im Winter auch noch so gut angezogen zum Schulbus laufen: Sind darin andere Kinder, die sich die Nasen putzen, ist die Ansteckungsgefahr da. „Aber man kann mit warmer Kleidung durchaus dafür sorgen, dass es die Viren schwerer haben, in den Körper zu gelangen“, sagt Dilek Önaldi-Gildein.
Denn sobald der Körper auszukühlen beginnt, fängt er an, Energie zu sparen. Er versucht, die Körpermitte mit den lebenswichtigen Organen warm zu halten. Hände, Füße oder auch Gesicht werden dann weniger durchblutet. „Nun ist es aber so, dass beim Durchbluten der Schleimhäute auch Abwehrzellen mitgeschickt werden“, sagt Dilek Önaldi-Gildein. In eine kalte Nase mit wenig durchbluteten Nasenschleimhäuten haben es Viren deshalb leichter, einzudringen – eben weil diese Abwehrzellen fehlen.
„Bei kleineren Kindern kommt hinzu, dass ihr Kopf im Vergleich zum Rest des Körpers eine überdurchschnittlich große Oberfläche bildet und deshalb besonders viel Wärme abgibt“, sagt Dilek Önaldi-Gildein. Weshalb das Aufziehen der oft unbeliebten Mütze einen großen Beitrag dazu leistet, dass es Kindern nicht so schnell kalt wird. Wer nach dem Hallenbadbesuch im Winter seine Haare nicht föhnt oder bei Regenwetter ohne Gummistiefel in den Pfützen unterwegs ist, lässt durch die Nässe den Körper ebenfalls auskühlen. Die Durchblutung wird reduziert, Viren haben es leichter, eine Infektion auszulösen.
Komplizierter wird es, wenn Kinder sich bei kühlen Temperaturen draußen viel bewegen, zum Beispiel auf dem Spielplatz toben oder Fußball spielen. „Durch die hohe Bewegungsfrequenz produzieren ihre Muskeln dann in der Regel mehr Wärmeenergie als bei den Eltern, die frierend auf einer Bank sitzen“, sagt Psychologe Martin Grunwald, Gründer und Leiter des Haptik-Forschungslabors am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Weshalb Kinder tatsächlich häufig das Gefühl haben, von ihren Eltern zu dick angezogen zu werden. Hinzu kommt, dass durch die Bewegung der Körper gut durchblutet wird. „Das unterstützt wiederum die Virenabwehr“, sagt Dilek Önaldi-Gildein.
Weshalb die Kinder, die im Herbst beim Fußballtraining nass geregnet werden oder im T-Shirt kicken, nicht automatisch häufiger krank werden als diejenigen, die in den Pausen in warmen, geschlossenen Räumen bleiben – möglicherweise gemeinsam mit einer Ansammlung von Viren. „Wichtig ist nur, dass man nach der Bewegung etwas Warmes, Trockenes zum Anziehen hat“, sagt Dilek Önaldi-Gildein.
Grundsätzlich rät sie dazu, Kinder in Schichten zu kleiden. „Wenn sie merken, dass ihnen zu warm oder zu kalt ist, können sie so darauf reagieren“, sagt Dilek Önaldi-Gildein. Denn grundsätzlich haben Kinder – so wie auch ihre Eltern – die Fähigkeit, den inneren Zustand ihres Körpers wahrzunehmen. „Diese sogenannte Interozeption ist allerdings teilweise abhängig von der aufgebrachten Aufmerksamkeit“, sagt Martin Grunwald.
Und die Aufmerksamkeit von Kindern sei nun mal in der Regel sehr auf das Außen und auf ihre Tätigkeit gerichtet: Während sie Fußballspielen oder im Freibad planschen und eine schöne, spannende Zeit erleben, schüttet der Körper biochemische Stoffe (darunter Endorphine) aus, die der Wahrnehmung des eigenen körperlichen Befindens im Wege stehen. Es bleiben dann wenig neuronale Ressourcen übrig, um zu merken, dass man Hunger hat, aufs Klo muss oder einem kalt wird.
„Kaum kommt das Kind dann in die Ruhesituation, merkt es dies dann ganz plötzlich“, sagt Martin Grunwald. Deshalb sei es Sache der Eltern, die richtige Kleidung mitzugeben oder mitzunehmen – damit sie schnell parat ist, wenn sie gebraucht wird.
Dass Kinder dann trotzdem oft häufiger krank werden als ihre Eltern, hängt in der Regel trotzdem nicht mit vergessenen Mützen und nassen Füßen zusammen. „Ihr Immunsystem muss einfach noch mehr trainiert werden als das von Erwachsenen – und dazu trägt jeder Infekt bei“, sagt Dilek Önaldi-Gildein. Bei Kleinkindern sind bis zu zwölf Infekte jährlich deshalb völlig normal.
Dass es manche Kinder dennoch häufiger trifft als andere, habe durchaus auch genetische Ursachen. „Jeder Mensch ist von Geburt an mit einer unterschiedlichen Immunabwehr ausgestattet“ sagt Dilek Önaldi-Gildein.
„Ausreichend Schlaf, wenig Stress, viel Bewegung und eine gesunde Ernährung tragen aber auf jeden Fall dazu bei, das Immunsystem zu stärken“, so die Kinderärztin weiter. Sie empfiehlt ihren Patienten zusätzlich ab Oktober oder November die Einnahme von Vitamin D. „Davon bekommen wir über die Nahrung einfach zu wenig. Der Hauptlieferant ist die Sonne und die scheint uns in den kalten Monaten nun mal selten auf die nackte Haut“, sagt Dilek Önaldi-Gildein. Vor allem, wenn Eltern ihre Kinder immer schön dick einpacken.