Richtungsstreit in der AfD Auf die Zunge beißt sich keiner mehr

Der Rauswurf von Andreas Kalbitz lässt die Wogen in der AfD hochgehen. Foto: AP/Michael Sohn

Nachdem der Bundesvorstand mit knapper Mehrheit beschlossen hat, Andreas Kalbitz aus der Partei auszuschließen, eskaliert der Kampf um die Macht und den künftigen Kurs der Partei. Im Fokus steht dabei der Bundessprecher Jörg Meuthen.

Berlin - Sonnengebräunt steht Jörg Meuthen an einem Septembertag 2017 auf der Bühne und genießt den Applaus. Der „Flügel“, die erstarkende ultrarechte Strömung in der AfD, feiert ihr drittes Kyffhäusertreffen in Thüringen. Es ist Bundestagswahlkampf, die Partei steht kurz vor dem Einzug ins Parlament. An ihrer Spitze steht neben Meuthen noch Frauke Petry.

 

„Es ist schön, hier zu sein“, hat Meuthen gerade gerufen. Er habe sich richtig auf diesen Tag gefreut. „Der Flügel ist ein integraler Bestandteil unserer Partei, und das wird er auch in Zukunft immer bleiben“, sagt er. Jubel. „Und ich sage auch deutlich: Wer das anders sieht, wer hier in Ausschließeritis verfällt, wer nicht anerkennt, dass der Flügel ein wichtiger Bestandteil der Seele unserer Partei ist, der wäre auch in der Position eines Bundessprechers fehl am Platze.“

Kampf um Posten und Macht

Zweieinhalb Jahre später ist Meuthen noch Bundessprecher, keiner hat so lange durchgehalten wie er. In diesen Tagen würden viele in der Partei hinzufügen: „Noch.“ Denn in der AfD eskaliert der Machtkampf, der vor einigen Wochen rund um den „Flügel“ entbrannte. Es geht vordergründig um die frühere Mitgliedschaft des Flügel-Vormanns Andreas Kalbitz in einer Neonaziorganisation. Dahinter steht ein Kampf um Posten und Macht, aber auch um den Kurs der Partei und die drohende Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Freitag vergangene Woche, ein milder Maiabend in Berlin. Mit geschockter Miene verlässt einer der mächtigsten Männer der AfD die Parteizentrale durch einen Seitenausgang: Andreas Kalbitz, Machtarithmetiker am äußersten rechten Rand der Partei, Landes- und Fraktionschef in Brandenburg, gemeinsam mit Björn Höcke die Führungsfigur des völkischen „Flügel“, ist nicht mehr Mitglied seiner Partei. Mit sieben zu fünf Stimmen bei einer Enthaltung hat der Vorstand seine Mitgliedschaft soeben für nichtig erklärt. Der Antragsteller heißt: Jörg Meuthen.

Der spricht vor Kameras von einer „erdrückenden Beweislage“, davon, dass Kalbitz seine frühere Mitgliedschaft in der Organisation „Heimattreue Deutsche Jugend“ beim Parteieintritt und später verheimlicht habe. Ob die Entscheidung rechtlich trägt, ist von dieser Sekunde an umstritten. Der Mitgliedsantrag von damals ist nicht mehr vorhanden, Kalbitz argumentiert ohnehin, er habe damals nur aktive Mitgliedschaften angeben müssen. Er will den Rechtsweg ausschöpfen, das alles wird Monate dauern – Monate, in denen die Partei Zeit haben wird, sich und ihre Spitze zu zerfleischen.

Die Parteidisziplin leidet

„Hier ist etwas zerrissen“, sagt einer aus der Parteispitze. Der Riss geht mitten durch die Partei: Mit Meuthen stimmte unter anderem Beatrix von Storch. Gegen ihn stimmten unter anderem sein Co-Chef Tino Chrupalla, die Fraktionschefin Alice Weidel und Stephan Brandner. Was hier passiere, sei für die Partei gefährlich, sagt der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland. Der Mann, der glaubt, wer die AfD zur Macht führen wolle, müsse den Laden auch nach ganz rechts zusammenhalten, weiß: Es ist kein Wahljahr, das schleift die Disziplin des Auf-die-Zunge-Beißens.

Und so wütet die Partei seit dem Wochenende. Wie in einem Steckbrief hat ein Abgeordneter die Köpfe der Antragsunterstützer montiert: „Wir sind die Spalter“. Ein anderer hat Meuthens Kopf abgebildet, durchgestrichen. Mit solchen Bandagen kämpft die AfD sonst gegen den politischen Gegner. Am Montag stellt sich die brandenburgische Fraktion geschlossen hinter Kalbitz, der trotz des Rauswurfs Fraktionsmitglied bleiben soll, und fordert einen Sonderparteitag zur Abwahl der Parteispitze.

Björn Höcke, die Führungsfigur der Völkischen, spricht von „Verrat“. Auch der Verleger Götz Kubitschek, der in seinem Institut für Staatspolitik vielen als AfD-Vordenker gilt, meldet sich zu Wort. Beide, einander vertraut, stellen eine Überlegung an, die klar macht, dass es hier wirklich um den Kern, den Kurs der Partei geht – sinngemäß: Meuthen wolle eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner. Er und seine Unterstützter suchten „den Anschluss an den Mainstream und die CDU“, so Kubitschek, und seien dafür bereit, „das eigentlich Alternative an der AfD aufzuweichen oder gleich über Bord zu werfen“.

Meuthen hat früh den „Radikalen“ den Kampf angesagt

Was also bringt Meuthen dazu, seine Meinung zum „Flügel“ um 180 Grad zu ändern? Im September 2019 sitzen Meuthen, Kalbitz und Alexander Gauland noch Schulter an Schulter in der Bundespressekonferenz. Der Erfolgt der Landtagswahlen liegt auf ihren Gesichtern, Gauland erklärt, Kalbitz sei „so bürgerlich wie ich selbst“. Bei derselben Pressekonferenz geht es um Kalbitz‘ Anwesenheit bei einem Neonaziaufmarsch in Athen, es ging um seine Besuche in Zeltlagern der HDJ, um das, was er selbst lächelnd rechtsextremistische „Bezüge“ nennt.

Meuthen kommentiert das nicht. Dabei hat er einige Zeit zuvor eine klare Absetzbewegung gemacht. In Heidenheim hält er im Februar 2019 beim Landesparteitag eine Rede wider die „rücksichtslosen Radikalen“. Gerade hat der Verfassungsschutz Prüffall-Gutachten veröffentlicht. Mit Tremolo in der Stimme verkündet Höcke daraufhin, er werde sich „mit großer Leidenschaft“ der Neuwahl des Vorstands widmen. Gewählt wird Meuthen Ende November 2019 trotzdem. Er ist für die Partei das Gesicht des Westens, die Anbindung an ein Wählerpotenzial, das sich selbst als bürgerlich definiert.

Und so spitzt sich die Auseinandersetzung zu, als der Verfassungsschutz im März den „Flügel“ als rechtsextrem klassifiziert. Meuthen plädiert dafür, den „Flügel“ aufzulösen – der Bundesvorstand findet die salomonische Forderung, die Gruppe zur Selbstauflösung aufzufordern. Mehr als einer im Vorstand sagt schon zu diesem Zeitpunkt: Für Kalbitz könne es eng werden. Aber keiner greift ihn öffentlich an.

Meuthen allerdings legt noch einen Zahn zu und präsentiert in einem Interview den spektakulären Vorschlag, der „Flügel“ möge sich am besten nicht auflösen, sondern als neue Partei abspalten. Er hat wirklich alle gegen sich und muss in einem schriftlichen Beschluss einen „schweren Fehler“ eingestehen.

Eine Auseinandersetzung mit offenem Ausgang

Unverdrossen aber macht Meuthen jetzt weiter – mit dem Rauswurf. In den Tagen danach mag er nicht darüber reden, warum er den „Flügel“ heute offenkundig anders einschätzt als früher. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass er inzwischen wie andere glaubt, die Macht der Strömung lange unterschätzt zu haben. Wer eine ideologische Abgrenzung zu „Flügel“-Leuten sucht, wird nicht fündig.

In einem langen Text hat Meuthen dagegen strategische Überlegungen für die Spaltung angestellt. Es gebe eine große Zahl von Wählern, die bereit wären, eine „freiheitlich-konservative AfD“ zu wählen, aber artikulierten, dies wegen des „Flügels“ und dessen „maßgeblichen Exponenten“, nicht tun zu können, heißt es da. Meuthens kühner Plan: Das „blaue Lager“ könne beide Wählerpotenziale nutzen, wenn es getrennt auftrete. Er hat dafür keine Unterstützer.

Der Ausgang dieses Kampfes ist offen. Bisher zeigt die junge Geschichte der Partei zwei Erfahrungen: Die AfD hat jeweils stets die Parteivorsitzenden geschasst, die auf eine Abgrenzung nach rechts drangen. Und: Wer geht, verliert. Wer immer die Partei verließ, um eine neue zu gründen – Bernd Lucke, Frauke Petry oder der Rechtsausleger André Poggenburg – verschwand mit seinem neuen Projekt in der Bedeutungslosigkeit.

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