Die Europäische Zentralbank hat ihre Prognosen zur Teuerungsrate erneut erhöht und will weiter an der Zinsschraube drehen. Die Börsen reagierten verstört.
„Die Europäische Zentralbank schwenkt nicht um.“ Mit diesen Worten hat sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag gegen den Eindruck verwahrt, im Kampf gegen die Inflation nachzulassen. Die Notenbank erhöhte ihre Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte und damit etwas weniger stark als zuletzt – im September und November war es um 0,75 Prozentpunkte aufwärts gegangen. In den kommenden Monaten will die EZB die Geldpolitik jedoch stärker straffen, als viele Beobachter erwartet hatten.
„Der EZB-Rat ist der Auffassung, dass die Zinsen noch deutlich und in einem gleichmäßigen Tempo steigen müssen“, teilte das Gremium mit. Lagarde stellte auf Nachfrage klar: „Wir erwarten, dass wir die Zinsen noch einige Zeit in Schritten von 50 Basispunkten (0,5 Prozentpunkte) erhöhen müssen.“ Im Bemühen, die Inflation wieder Richtung zwei Prozent zu drücken, habe man noch „einen langen Weg“ vor sich.
Die Inflationsrate dürfte noch Jahre über das Ziel hinausschießen
Die Ökonomen der Notenbank korrigierten ihre Inflationsprognosen erneut nach oben: Die Teuerungsrate im Euroraum wird 2023 laut ihrer neuesten Schätzung im Jahresschnitt 6,3 Prozent betragen. Das wäre zwar weniger als in diesem Jahr, aber deutlich mehr als die noch im September prognostizierten 5,5 Prozent. Obendrein gehen die EZB-Experten mittlerweile davon aus, dass die Inflationsrate 2024 noch über drei Prozent und selbst 2025 über dem angestrebten Ziel von zwei Prozent liegen wird.
Vor diesem Hintergrund sei die jüngste Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte „das Minimum dessen, was gebraucht wird, um eine Verfestigung der Inflation in den Ländern der Eurozone zu verhindern“, kritisierte Michael Heise vom Vermögensverwalter HQ Trust. Die meisten Kommentatoren hoben jedoch hervor, dass die EZB sich für die kommenden Monate deutlich restriktiver gezeigt habe als angenommen.
Mini-Wachstum für 2023 erwartet
„Ein Ende des Zinserhöhungszyklus ist nicht in Sicht“, betonte der Chefvolkswirt der DZ Bank, Michael Holthusen. Das sei gut so: „Es wäre ein Fehler, die geldpolitische Wende zu früh zu signalisieren. Vor allem, nachdem die Notenbankoberen zu lange mit der ersten Zinsanhebung gewartet haben.“
Die niederländische Großbank ING warnte dagegen, die EZB könnte über ihr Ziel hinausschießen. „Wir glauben, dass die Konjunkturprognosen der EZB zu optimistisch sind.“ Zwar erwartet die Notenbank – wie viele Ökonomen – diesen Winter eine Rezession; im Gesamtjahr 2023 wird die Wirtschaft in Euroland nach ihrer Einschätzung aber um 0,5 Prozent wachsen.
Die Aktienkurse geben kräftig nach
An den Börsen sorgte die Aussicht auf weitere Zinssteigerungen für schlechte Laune: Die Aktienmärkte, die nach dem Zinsentscheid der US-Notenbank am Mittwochabend bereits im Minus eröffnet hatten, bauten nach der EZB-Sitzung ihre Verluste aus. Der Deutsche Aktienindex (Dax) notierte am Nachmittag drei Prozent im Minus. Bei steigenden Zinsen verlieren Aktien an Attraktivität gegenüber Zinsprodukten.
Der für die Geldpolitik im Euroraum derzeit wichtigste Zinssatz, der Einlagenzins, liegt nunmehr bei zwei Prozent. Die Commerzbank erwartet, dass er bis zum Frühjahr auf 3,25 Prozent steigt.
EZB will Berg an Staatsanleihen langsam abtragen
Neben der Zinserhöhung machte die Notenbank einen weiteren Schritt: Ab März will sie die billionenschweren Bestände an Staatsanleihen in ihren Büchern reduzieren. In den ersten Monaten sollen sie um je 15 Milliarden Euro sinken und damit in „homöopathischen Dosen“, wie Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bemängelte. Sparkassenpräsident Helmut Schleweis dagegen äußerte Verständnis: „Der Abbau dieser Anleihebestände mit ihrer differenzierten Länder- und Laufzeitstruktur wird eine schwierige Gratwanderung.“
Mit dem Abbau dürfte die Verzinsung von Staatsanleihen steigen. Besonders für die hoch verschuldeten Länder Südeuropas ist das ein Problem.