Ringer Mijain Lopez Nunez Eine Olympia-Ikone tritt ab

Abschied von der großen Bühne: Ringer Mijain Lopez Nunez Foto: dpa/Eugene Hoshiko

Als erster Athlet hat der kubanische Ringer Mijain Lopez Nunez bei fünf Sommerspielen nacheinander Einzel-Gold geholt. Nicht nur Kubas Staatspräsident feiert die Legende, sondern auch Frank Stäbler.

Die Stimme von Frank Stäbler ist kaum zu verstehen. Er hat eine anstrengende Nacht hinter sich, die nachhallt. Der frühere Ringer aus Musberg und Weltmeister in drei unterschiedlichen Klassen war feiern. Auf einem Boot des Weltverbandes auf der Seine. Und natürlich nicht alleine. Sondern mit dem Mann, der nicht nur eine Ringer-Legende ist. Sondern eine Olympia-Ikone.

 

Mijain Lopez Nunez (41) hat als erster Athlet überhaupt bei fünf aufeinanderfolgenden Sommerspielen Einzel-Gold gewonnen. Es ist eine unglaubliche Geschichte – für die Sportwelt, und natürlich erst recht für Kuba. „Dort“, sagt Frank Stäbler, der mit Mijain Lopez Nunez befreundet ist, „kann er nicht auf die Straße gehen. Nur Fidel Castro und Che Guevara sind bekannter als er.“ Kein Wunder, dass an seinem letzten Abend als Ringer alle nach Paris geblickt haben. Vielleicht ja sogar die Helden im Himmel.

Klarer Sieg gegen einen Landsmann aus Chile

Das Finale der Klasse bis 130 Kilogramm beginnt mit Verspätung. Das Publikum wundert sich, denn die Athleten stehen eigentlich bereit. Nur einer fehlt: Thomas Bach. Auch der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) will dabei sein, wenn einer der Größten des Sports abtritt.

Der Kampf der beiden Kubaner ist einseitig. Mijain Lopez Nunez dominiert gegen Yasmani Acosta Fernandez, der für Chile startet, und liegt 6:0 vorne. Eine Minute vor dem Ende erheben sich die ersten der 8000 Zuschauer, am Schluss stehen alle. Auch der IOC-Boss. Sie erweisen dem Mann die Ehre, der das Ringen zwei Jahrzehnte lang geprägt hat, jetzt seinen fünften Olympiasieg bejubelt und zum Dank auf der Matte seinen Trainer schultert, während der Arena-DJ „Sweet Dreams“ spielt. Süße Träume.

Als sich der ganze Jubel und Trubel in der Halle gelegt hat und Thomas Bach weitergezogen ist, kehrt Lopez zurück auf die Matte. Er kniet sich hin, zieht seine Schuhe aus. Das tun Ringer nach ihrem letzten Kampf. Es ist eine ganz besondere Abschiedszeremonie, die nahe geht. Erst recht bei einem Mann, der danach Mühe hat, sich wieder aufzurichten. Der Erfolg fordert seinen Preis.

Die Augen leuchten wie bei einem Lausbub

In die Mixed-Zone kommt der zwei Meter große Kubaner kurz darauf mit einem dicken rechten Knie, er humpelt stark. Seine Augen aber leuchten wie bei einem Lausbub, der noch alles vor sich hat. „Ich bin glücklich“, sagt Mijain Lopez Nunez, „was gibt es Schöneres, als mit der fünften Goldmedaille abzutreten.“ Einen Anruf vielleicht?

Lopez ist gerade dabei, das Zelt, in dem die kubanischen Journalisten auf ihn gewartet, ihm gratuliert und ihn ehrfurchtsvoll befragt haben, wieder zu verlassen, als ihn sein Coach noch einmal zurückruft und auf sein Handy zeigt. Ein Videoanruf vom Staatspräsidenten! Miguel Diaz-Canel gratuliert dem Vorzeigesportler Kubas wortreich zum erneuten Olympiasieg. Mijain Lopez Nunez salutiert mehrfach, sagt immer wieder „Danke!“ Dann übernimmt die Ehefrau des Präsidenten, sie begrüßt den Ringer als „lieben Freund“. Und übergibt am Ende des Gesprächs wieder an ihren Mann, der noch kurz eine Rede an die versammelten kubanischen Medienvertreter hält – die derart strahlen und jubeln, dass es auch für sie ein überschwängliches Lob gegeben haben muss. Die Würdigung des Sportlers Mijain Lopez Nunez übernehmen derweil andere.

Yasmani Acosta Fernandez erzählt, dass er selbst zwar gerne Olympiasieger geworden wäre, aber eigentlich auch wieder nicht: „Es ist doch Mijain, eine Legende im Ringen weltweit.“ Der aber ohnehin nicht zu schlagen gewesen wäre. Was Michael Carl nicht überrascht hat. Als der Bundestrainer gefragt wird, was Lopez auszeichnet, gerät er ins Schwärmen. Der Kubaner verfüge über die Kraftfähigkeit eines Gewichthebers, die technische Vielfalt und das Bewegungsgefühl eines halb so schweren Ringers, die Ausdauer eines Marathonläufers, eine enorme mentale Stärke. „Wenn das alles zusammenkommt, dann entsteht ein Jahrhundertathlet wie er“, sagt Michael Carl. „Lopez ist der kompletteste Sportler, den ich jemals gesehen habe.“ Und dazu noch ein besonderer Mensch, meint Frank Stäbler. „Diese Ringer-Legende hat ein riesiges Herz, ist ein Superstar zum Anfassen. Einen besseren Repräsentanten für unsere Sportart als diesen Modellathleten kann ich mir nicht vorstellen.“

Rückblick auf alle fünf Goldmedaillen

Seine ersten Sommerspiele erlebte Mijain Lopez Nunez 2004 in Athen, damals belegte er Rang fünf. Anschließend begann eine einmalige Serie. Der Kubaner, der zudem fünf WM-Titel holte, war bei Olympia unschlagbar. Nach seinem fünften Triumph in Paris wird er gebeten, noch einmal auf alle Gold-Wettbewerbe zurückzublicken und sie mit einem Wort zu beschreiben. Auch das macht Mijain Lopez Nunez mit großer Geduld: „Peking 2008 – Jugend. London 2012 – Transzendenz. Rio 2016 – Anstrengung. Tokio 2021 – Opfer. Paris 2024 – Freude.“ Und nun?

Dem letzten Gold, das er nach einer dreijährigen Wettkampfpause geholt hat, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, folgt das Karriereende. „Um all diese Ergebnisse zu erzielen, muss man seinen Sport lieben und der Welt zeigen wollen, dass man mit so wenig Großes erreichen kann“, sagt Mijain Lopez Nunez, ehe er mit seiner Entourage in die Nacht zieht, „ich habe viel Inspiration für all die jungen Menschen, die zu mir kommen, um Rat zu suchen.“ Weshalb für Frank Stäbler wichtig ist, dass der Mann, der Olympia-Geschichte geschrieben hat, dem Ringen erhalten bleibt. „Gebt uns ein paar Gläser Rum und zwei Zigarren“, sagt er mit einem Grinsen, „dann mache ich das klar.“

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