Nach Geothermie-Bohrungen sind rund 200 Häuser in Böblingen rissig. Jetzt verlangt das Gericht im Prozess zu diesem Fall weitere Gutachten. Muss eine Seniorin für Schäden beim Nachbarn 200.000 Euro zahlen?

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Ein Richterspruch ist verkündet, aber das Urteil vertagt. Auch nach der lang erwarteten Entscheidung des Richters Thomas Helms bleibt offen, ob eine 82-jährige Frau für Schäden am Haus eines Nachbarn zahlen muss. Sie hatte zwei der 17 Geothermie-Bohrungen in Auftrag gegeben, die in Böblingen Erdhebungen verursacht haben. Rund 200 Häuser sind rissig, darunter das des Klägers. Er fordert von der betagten Frau 200.000 Euro.

 

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Juristisch hat Helms kein Urteil verkündet, sondern einen Beweisbeschluss. Den verlas er im Saal 279 des Stuttgarter Landgerichts für zwei Zeitungsredakteure. Der Kläger, die Beklagte, auch deren Rechtsanwälte waren nicht gekommen. Der Richterspruch wird weitere Verhandlungstage erzwingen, es sei denn, die Klage wird zurückgezogen. Zwei Sachverständige seien zu bestellen, urteilte Helms. Er hält es für unbewiesen, dass jene zwei Bohrungen Ursache der Schäden an genau diesem Haus waren, keine der 15 anderen. Ebendies soll ein Gutachter klären. Für dessen Expertise „ist keine absolute Gewissheit erforderlich, aber ein brauchbarer Grad an Gewissheit“, sagte Helms.

Kein Zweifel an der Schuld

Sofern Ursache und Wirkung in Einklang zu bringen sind, ist nicht ausgeschlossen, dass die Hauseigentümerin haftet. Im Februar hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Auftraggeber für Schäden zahlen muss, die sein Handwerker verursacht. In diesem Fall hatte ein Dachdecker ein Nachbarhaus in Brand gesetzt. Der Dachdecker war zahlungsunfähig – wie die einstige Bohrfirma Gungl. Allerdings herrschte an seiner Schuld kein Zweifel.

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Ein zweiter Gutachter soll nun klären, ob die Reparatur der Schäden am Haus tatsächlich 200.000 Euro kosten wird. Dies obwohl „schon mehrere Sachverständige tätig waren“, wie Helms sagte. Falls die Parteien sich auf keine Gutachter einigen, wird das Gericht sie bestellen. Die Kosten soll allerdings der Kläger übernehmen – zumindest vorerst. 7500 Euro muss er als Vorschuss an die Gerichtskasse überweisen, um das Verfahren in Gang zu halten.

Ursprünglich sollte das Urteil bereits am 16. Januar verkündet werden

Die Entscheidung des Gerichts „ist für mich nicht ganz nachvollziehbar“, sagt Reinhard Klindwort, der Rechtsanwalt des Klägers. Schließlich sei bewiesen, dass die Bohrungen Ursache der Schäden seien. Außerdem hatte der Kläger bereits einen Architekten beauftragt, um die Reparaturkosten zu schätzen. Mit jenen 200.000 Euro, meint der Jurist, seien ohnehin nicht alle Schäden zu beseitigen, schon gar nicht sei die Wertminderung der Immobilie auszugleichen. Die Frage, ob es sinnvoll ist, die Klage aufrechtzuerhalten, müsse er erst mit seinem Mandanten besprechen.

Ursprünglich sollte das Urteil bereits am 16. Januar verkündet werden. Allerdings hatte Helms den Termin dreimal verschoben. Selbst wenn er in unbestimmter Zukunft eine endgültige Entscheidung fällen wird, rechnet Klindwort nicht mit einem Ende des Verfahrens: „Schließlich gibt es noch höhere Instanzen“, sagt er.