SPD-Politiker Robert Antretter mahnt an der Krippe in Malmsheim, bei Rassismus und Antisemitismus nicht wegzusehen.

Renningen - Pfarrer Franz Pitzal begann das Abendlob in der Martinuskirche kämpferisch wie so oft. „Nehmt die Steine, mit denen ihr Mauern bauen wollt und baut damit sozial gerechte Wohnungen“, forderte er am Sonntag beim Abendlob an der Krippe. Sein Appell galt all den Mächtigen, die für das Errichten von Mauern verantwortlich sind, die Menschen voneinander trennen, wie etwa die deutsche Mauer oder die zwischen Jerusalem und Bethlehem, die am Berg Ararat oder als jüngstes Beispiel die von US-Präsident Trump geplante Mauer an der Grenze zu Mexiko. Angesichts der vielen sozialen Probleme auf der Welt könne man auch an der Krippe nicht so tun, als ginge einen das nichts an. „Wir können nicht nur Glühwein trinken und sagen, das ist uns egal“, so Franz Pitzal.

 

Der Gastredner des Abends – der langjährige frühere Bundestagsabgeordnete Robert Antretter aus Backnang – kommt seit Jahren immer wieder zur Krippe. Er dankte Franz Pitzal für „die Einführung zu allen relevanten politischen Themen.“

„Frage nach Gerechtigkeit reißt mich hin und her“

Nur eine Handvoll Zuhörer war gekommen, um die Ausführungen des 80-jährigen engagierten Katholiken zu hören. Er rückte den gestrigen Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren in den Mittelpunkt seiner Rede. Der ehemalige Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe erinnerte daran, dass vom Stuttgarter Nordbahnhof aus „zwischen 1941 und 1944 unschuldige Menschen aus der gesamten Region zusammengetrieben worden seien, Frauen, Männer und Kinder jüdischer Abstammung oder mit jüdischen Familienangehörigen, aber auch Sinti und Roma“. Er fragte, welche Gedanken diese Menschen wohl begleitet haben, vielleicht haben sie den Psalm 121 gebetet, unter dem das Motto der diesjährigen Krippe steht: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.“

„Die Frage nach Gerechtigkeit angesichts unzählbar vieler unschuldig Leidender reißt mich hin und her – bis heute“, sagte Robert Antretter. „Wo war Gott und wo ist er?“, fügte er hinzu. Der Gastredner fragte, ob Gott nicht mitleide an dem Leid, das Menschen so vielen ihrer Menschen-Geschwister zugefügt haben. „Das ist die Frage, die mich sprachlos werden lässt, die wir aber Gott stellen dürfen, ja, stellen müssen – die Frage, die sich Gott gefallen lassen muss“, so Robert Antretter. Er zitierte schließlich den Schriftsteller Elie Wiesel, der gesagt habe, man könnte Auschwitz nicht mit Gott begreifen, aber man könne Auschwitz auch nicht ohne Gott begreifen.

Das Böse kann sich wiederholen

Antretter drückte seine Sorge aus, dass sich das Böse wiederholen könne, je weiter es sich entferne. „Gerade in den letzten Monaten haben wir erlebt, dass menschenverachtende Parolen wieder laut ausgesprochen werden“, sagte er. Rassismus und Antisemitismus nähmen zu, Politiker würden bedroht und, schlimmer noch, ermordet, wenn sie sich für andere einsetzen, wie der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke.

„In Zukunft können wir uns nicht mehr herausreden. Denn im Erinnern wissen wir, wohin unser Wegsehen, aber auch Hinsehen führen kann“, so sein leidenschaftlicher Appell.

Domkapitular Wolfgang Gramer, der das Abendlob musikalisch begleitete, sagte im Anschluss an die Worte von Robert Antretter, auch heute könne man nicht sagen, dass einen das alles nichts anginge. Trotzdem sei Auschwitz auch ein Ort für alle, die sagen, sie glauben an das Licht in der Dunkelheit. „Wir müssen uns unserer von Gott gegebenen Würde bewusst werden“, so Gramer.

Jeder Mensch sei ein Ausdruck der Liebe Gottes, so der Theologe aus Waiblingen, der lange als Buschpfarrer in Argentinien tätig war.