Der Schauspieler Robert De Niro – schon zu Lebzeiten eine Kinolegende – wird heute siebzig Jahre alt. Aus diesem Anlass haben wir seinen Film „In den Straßen der Bronx“, bei dem er auch Regie geführt hat, wieder gesehen.

Stuttgart - Lass dich nicht mit diesen Gangstern ein, predigt der New Yorker Busfahrer Lorenzo Anello seinem Sohn Calogero eine Kindheit und Jugend lang. Ein paar Schritte die Straße entlang von Lorenzos Wohnung liegt ein Mafia-Lokal, vor dessen Tür die kleinen Mobsoldaten Tag und Nacht herumlungern. Das seien keine Helden, mahnt Lorenzo. Männer wie er, die Tag um Tag einer ehrlichen Arbeit nachgingen, seien die wahren Helden.

 

Robert De Niro, der heute siebzig Jahre alt wird, spielt diesen vergeblich um die Alleinherrschaft über die Seele seines Sohnes kämpfenden Vater, und er hat bei „In den Straßen der Bronx“ von 1993 auch selbst Regie geführt. Trotzdem ist dieses Werk, ein Schlüsselfilm in seinem Schaffen, wenig bekannt. Das mag daran liegen, dass De Niro mit Lorenzo eine Nebenrolle übernommen hat, viel eher aber daran, dass Lorenzo nur die innere Wut und Strenge einer De-Niro-Figur zeigt, nicht die äußere.

Ja, Lorenzo stellt sich den Mafiosi entgegen, vor allem ihrem Bezirkscapo Sonny (Chazz Palminteri), der zu einem zweiten Vater für Calogero wird. Lorenzo streckt Sonny den Finger unter die Nase, er schnauzt ihn an. Das hat noch keiner im Viertel gewagt, jedenfalls keiner, der danach noch einmal oberhalb des Asphalts gesehen wurde. Aber als er es zu weit treibt, wird Lorenzo zusammengeschlagen, ohne Chance zur Gegenwehr.

Kein Alter Ego von Travis Bickle

Er wird dann keinen Rachefeldzug starten, dreht nicht als Retter der Unschuld völlig durch. Er ist also nicht so schillernd rabiat wie Travis Bickle in „Taxi Driver“, eine der Rollen, mit denen De Niro zur Kino-Ikone wurde. Vielleicht hat die Fans damals enttäuscht und ferngehalten, dass De Niro in „A Bronx Tale“, so der Originaltitel, die anständige, die ohnmächtige Variante des erwarteten Wüterichs gibt. Lorenzo stellt sich nicht wie Travis Bickle vor den Spiegel, um Konfrontation und Einschüchterung zu üben, er fragt nicht: „Wen glotzt du an, glotzt du etwa mich an?“

Das ist sicher eine der in Text und Gesten am meisten zitierten Szenen der Filmgeschichte, was nicht nur bei „A Bronx Tale“ ein Problem für De Niro wurde. Dieser Mann muss beständig mit sich selbst konkurrieren, mit magischen Momenten des Kinos, neben denen auch feine Leistungen in Gefahr geraten, banal zu wirken.

De Niros Figuren waren oft mehr als einzelne Charaktere. Seit er es 1973 in Martin Scorseses „Mean Streets“ schaffte, als schauspielerische Ausnahmeerscheinung wahrgenommen zu werden, hat er Figuren immer wieder wie den Zusammenfluss der Energien und Spannungen eines Ortes, eines Milieus, einer Gruppe wirken lassen.

Szenen, die zum kollektiven kulturellen Gedächtnis gehören

Travis Bickle ist ein aus Frustrationen, Ängsten und Hassgefühlen zusammengesetzter Kugelblitz, der irgendwann auf wirrer Bahn losbricht und diesem New York zurückgibt, was es an Spannung in ihn eingespeist hat. Der junge Vito Corleone, den De Niro für Francis Ford Coppola in „Der Pate II“ gespielt hat, ist der Zusammenfluss der Ordnungs- und Strukturwünsche der armen italienischen Einwanderer, die im rücksichtlosen Konkurrenzkampf eines neuen Landes nicht untergehen wollen.

Mit Scorsese hat De Niro große Klassiker wie „Raging Bull“ (1980) und „Goodfellas“ (1990) gedreht, auch mal ein übersehenes Meisterstück wie „The King of Comedy“ (1982). Wer damals zum Start dieser Filme ins Kino ging, der erwartete nicht bloß gute Filme, der war gespannt darauf, Popmythologien im Moment ihres Entstehen zuschauen zu können, Szenen zu erleben, die bald zum kulturellen Gedächtnis der Gemeinschaft gehören würden.

Dass De Niro ein Vertreter des Method Acting ist, des intensiven, an Selbstaufgabe grenzenden Vorabstudiums der Lebensumstände eines fiktiven Charakters, hat einst für viele Presseberichte und Erwartungen gesorgt. Man wollte von De Niro das Ungeheuerliche, Überlebensgroße, Umwerfende, noch nie Gesehene. Er hat wohl gespürt, wo das hinführt, in die Selbstkarikatur nämlich. Sein Teufel in Alan Parkers Höllenkrimi „Angel Heart“ (1987) war bereits eine Figur, in der Brillanz und Schrillheit, Energie und Attitüde zusammenflossen, Kitsch und Kunst verschwammen.

Das Leben der anständigen Leute

„In den Straßen der Bronx“ kann man als erfolgreichen Versuch De Niros sehen, sich wieder zu erden. Es ist auch eine Respektsbezeugung vor den kleinen Leuten in Little Italy, jenem Viertel New Yorks, das im Kino gern als Mafiabruthöhle gezeigt wird. De Niro, der dort aufgewachsen ist, wenn auch in einem Künstlerhaushalt, zeigt fast nostalgisch verklärt das Leben anständiger Leute und ihre Versuche, sich von der Mafia fernzuhalten.

Aber weil das ein komplexerer Film ist, als es zunächst den Anschein hat, erzählt er auch das Gegenteil. Er schildert die Mafia nicht nur als Krebsgeschwür, sondern auch als Folklore und kleine Ordnungsmacht. Chazz Palminteris Figur Sonny wird ein echter Mentor für Lorenzos Sohn Calogero. Von Palminteri stammen auch Stoff und Drehbuch. Der Autor und Schauspieler hatte seine Kindheits- und Jugenderinnerungen an die Bronx zu einem Einpersonenstück gemacht, mit dem er schon ein paar Jahre über kleine Bühnen getingelt war. Die Filmrechte wurde er zunächst nicht los, weil er auf einer großen Rolle für sich selbst bestand.

De Niro gab ihm diese Chance, und wie er auch als Regisseur diesen Chazz Palminteri zum Zug kommen lässt und ihn prägnant in Szene setzt, das beweist: De Niro ist zu dieser Zeit furchtlos, er ist sich seiner Qualitäten bewusst, er muss andere nicht kleinhalten, um groß zu wirken.

In den Jahren danach ist De Niro der Abstieg aus mythologischen Höhen nicht immer leicht gefallen. Der Versuch, Altersrollen zu definieren, führte ihn in Dutzendkrimis und in den Klamauk. Aber in „Silver Linings“ hat er unlängst gezeigt, wie gut er mit dem Gewöhnlichen und Bürgerlichen umgehen kann, was niemanden verwundern dürfte, der „A Bronx Tale“ kennt. Den Busfahrer Lorenzo vergisst man nicht, auch wenn er weder der Boss noch der Rebell im Viertel ist. Denn Lorenzo irrt nicht: Rechtschaffene Leute sind Helden.