Juristisch scheinen die Chancen auf eine Rückkehr der Konzertreihe „Sindelfingen rockt“ ins Zentrum gering. Eine baden-württembergische Eigenheit verringert sie zusätzlich. Zuletzt waren sogar Weltstars von Absagen betroffen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Zumindest diesen Fehler will die Stadt nicht wiederholen: Sie will die Konzertreihe „Sindelfingen rockt“ für das Jahr 2020 so früh wie möglich genehmigen – auf dem Marktplatz und nicht auf dem Parkplatz der Firma Hofmeister, auf den der Veranstalter im Juli in aller Eile hatte umziehen müssen. Im aktuellen Jahr hatte die Verwaltung erst Ende Juni die amtliche Genehmigung erteilt, wenige Wochen vor dem ersten Konzert. Und dies, obwohl die mündliche Zusage Monate zuvor gegeben wurde, wie ein Protokoll offenbart. Nicht nur in diesem Punkt halten jene Richter das Vorgehen der Verwaltung für befremdlich, die Sindelfingen rockt im Eilverfahren untersagten hatte.

 

Laut dem Bürgermeister Christian Gangl will die Verwaltung weiterhin versuchen, die Rückkehr ins Stadtzentrum gerichtlich durchzusetzen. Die Chancen für einen Sieg auf dem Rechtsweg halten aber sämtliche Fraktionen des Gemeinderats für gering. „Der juristische Weg wird steinig“, meint die Freie Wählerin Ingrid Balzer. „Die juristische Hürde ist eine hohe“, sagt der Liberale Andreas Beyer. Aus der jüngsten Gemeinderatssitzung zum Thema ließen sich etliche nahezu wortgleiche Sätze von Skeptikern zitieren.

Wegen Protesten waren die Anwohner weit höheren Schallpegeln ausgesetzt

Unabhängig von einem möglichen Rechtsstreit „sind wir im Kontakt mit den Klägern“, sagt Gangl. Dies mit dem Ziel, sie von einen neuerlichen Einspruch abzuhalten. Womöglich gelingt dies abseits aller juristischen Argumente aus Selbstschutz. Sämtliche Anwohner des Marktplatzes waren wegen der nächtlichen Protestkundgebungen der Rockfans höheren Schallpegeln ausgesetzt, als sie während der Konzerte hätten erdulden müssen. Von der Motorsäge bis zum Harley-Motor kam dabei so ziemlich alles zum Einsatz, was ohrenbetäubenden Lärm erzeugt.

Tatsächlich ist nur der Kontakt zu einer Klägerin nötig. Drei von vier Einsprüchen hatte das Gericht Stuttgart als unbegründet abgelehnt. Die Kläger leben nicht am Marktplatz, sie vermieten dort. Sie hatten sich auf den grundgesetzlich garantierten Schutz des Eigentums berufen. Dieses Argument hielten die Richter für haltlos. Fünf Konzerte im Jahr minderten keinen Immobilienwert.

Die Richter verwarfen die Argumente der Stadt ausnahmslos

Die Urteilsbegründung zur vierten Klage liest sich wie die Kritik eines Professors an einem Jura-Studenten, der seine Semesterarbeit verhauen hat. Die städtischen Juristen hatten argumentiert, die Konzerte seien Veranstaltungen, die Sindelfingen prägen und dem Ziel dienen, die Stadt zu beleben. Ersteres hielten die Richter schon deswegen für widersinnig, weil derselbe Veranstalter dieselben Bands um jeweils einen Tag zeitversetzt in Eislingen und Kornwestheim auftreten ließ. Ein belebtes Zentrum beurteilten sie grundsätzlich als erstrebenswert, erkannten aber keinen Grund, warum ausgerechnet Rockkonzerte zum Ziel führen sollten. Alle Argumente, dass der Schallpegel mit den Rechtsvorschriften doch vereinbar sei, verwarf das Gericht. Vorschläge zur Lärmdämmung erklärte es für untauglich. Das Recht der Klägerin auf Ruhe in ihrer Wohnung werde zweifelsfrei verletzt.

Ob hinter in einer Wohnung überhaupt etwas zu hören ist, spielt keine Rolle

Tatsächlich geht es aber nicht um ein Recht in, sondern um ein Recht vor der Wohnung. Bundesweite Vorschriften legen Grenzwerte fest, lassen aber Ausnahmen zu. Ob und wie lange gelärmt werden darf, hängt unter anderem davon ab, ob eine Veranstaltung Tradition hat oder einen Ort prägt. Das Landesrecht fügt eine Eigenheit hinzu: In Baden-Württemberg gilt der Grenzwert vor den Fenstern. Ob dahinter das Treiben draußen womöglich sogar unhörbar wäre, ist unerheblich.

Von einer ganzen Reihe abgesagter Konzerte im Land waren zuletzt zwei Weltstars betroffen. Nena und Michael Patrick Kelly mussten im Friedrichshafener Graf-Zeppelin-Haus singen statt im Park am See. Anwohner hatten mit Klage gedroht. Die Stadtoberen wie der Veranstalter lenkten sofort ein. Das juristische Risiko schien ihnen zu hoch.