Die Entdeckung eines 30 Quadratmeter großen Areals mit Eichenbalken aus römischer Zeit ist für Denkmalpfleger eine Sensation. Vielleicht wird so manches Rätsel um das 2000 Jahre alte Reiterkastell gelöst.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Jedes Kind in Bad Cannstatt weiß, dass sein Heimatort schon zu Zeiten bestand, als Stuttgart lediglich eine nasse Wiese war. Trotzdem können die Archäologen viele Fragen zum römischen Reiterkastell auf dem Hallschlag bis heute nicht beantworten: Wann genau richteten die Legionäre das Kastell auf? Welchen Namen gaben die Menschen der zivilen Siedlung? Und unter welchen Umständen fiel der Ort nach etwa 150 Jahren einer Feuersbrunst zum Opfer?

 

Ein 30 Quadratmeter großer Fußboden aus Eichenholz könnte nun zumindest das Rätsel um das Gründungsdatum lösen. Am Dienstag vergangener Woche (11. September) stieß das Grabungsteam um Andreas Thiel vom Landesamt für Denkmalpflege im Sparrhärmlingsweg 6 auf diesen Boden. Auf jenem Grundstück stand bis vor kurzem eine neuapostolische Kirche; nun wird dort ein Mehrfamilienhaus gebaut. Das Areal lag zu römischer Zeit im Zentrum der Siedlung: Es befand sich direkt neben dem militärischen Kastell und direkt neben der acht Meter breiten Straße, die nach Straßburg führte. Die Archäologen haben deshalb das Ausheben der Baugrube begleitet.

Andreas Thiel berichtet nun von zwei kleinen und einer großen Sensation. Erstens konnte die (bekannte) Straße aufgedeckt werden, die die Römer dreimal erneuert hatten. Zweitens wurden, wie schon 1959, die Kellermauern eines 40 Meter langen Gebäudes freigelegt, das Thiel als Wohn- und Geschäftshaus deutet. Ein reicher Kaufmann könnte dort Waren feil geboten haben. „Das ist eines der größten römischen Steingebäude im Land“, so Thiel. Es zeige, wie „irre aufwendig“ die Römer gebaut haben: „Die Mauern könnten nochmals 2000 Jahre überstehen.“

Im Südwesten ist bisher nichts Vergleichbares entdeckt worden

Drittens aber hat man nun den großen Eichenfußboden entdeckt, für den es im ganzen Südwesten nichts Vergleichbares gebe, denn normalerweise zerfällt solches organische Material sehr schnell im Boden – und nun seien es gleich so viele Balken, sagt auch Walter Joachim, einer der ehrenamtliche Ausgräber in Bad Cannstatt. Der Boden ist aus einzelnen dicken Balken gefertigt, die durch Querverstrebungen zusätzlichen Halt bekamen.

Die Bedeutung des Fundes liegt in seiner Datierbarkeit: Durch die Jahresringe im Holz lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit feststellen, wann die Eichen gefällt wurden. Und da das Holz in der untersten archäologischen Schicht liegt und damit den Beginn der römischen Siedlung darstellt, könnte man so erstmals ein genaues Datum für die Gründung der zivilen Siedlung bekommen. Selbst die Herzen routinierter Archäologen schlagen da höher.

Allerdings gibt der Fußboden zugleich wieder Rätsel auf – noch können die Wissenschaftler nicht sagen, wozu er diente. Experten vom Infozentrum Pfahlbauten in Hemmenhofen werden nächste Woche den Boden in Augenschein nehmen. Vorerst hat Andreas Thiel zwei Theorien. Das Holz könnte der Unterbau der römischen Straße gewesen sein: Der Abschnitt sei sehr feucht gewesen, und so hätten vielleicht die Soldaten den Grund stabilisieren wollen. Dafür spricht, dass der Holzboden gewölbt ist, so dass das Wasser zu beiden Seiten abfließen konnte. Auf einer Seite wurde auch bereits ein hölzerner Abflussgraben entdeckt, an den der Grundbalken des ersten Hauses neben der Straße anschließt.

Der Großteil der römischen Funde wird jetzt zerstört werden

Daneben hält es Thiel für möglich, dass es sich um die Reste eines Wasserbassins handelt, das Handwerker beispielsweise für die Metallverarbeitung nutzten. Noch bis Ende der nächsten Woche werden die Denkmalpfleger graben, dann beginnt der Hausbau. Schon jetzt, sagt ein Mitarbeiter des Bauträgers, habe es einen Verzug von fünf Monaten gegeben. Der „Deal“ lautete deshalb so: Die Archäologen dürfen bis Ende September graben – dafür gibt es keine Auflage, die Funde zu erhalten. Einen kleinen Teil des Bodens wird das Landesamt für Denkmalpflege mitnehmen; der Großteil aber wird in den nächsten Tagen zerstört, ebenso wie die römische Straße. Ob die Kellermauern des Handelshauses stehen bleiben, weil sie außerhalb der Baugrube liegen, ist noch unklar. Der Großteil der Fundamente war schon 1959 verschwunden, als die Kirche gebaut worden war.