Gerade sind die muslimischen Rohingya zu Hunderttausenden geflohen, schon will Bangladesch sie zurück nach Myanmar schicken. Die Rückführung ist zwar verschoben, aber nicht aufgehoben. Und die Flüchtlinge haben Grund, sich Sorgen zu machen.

Cox’s Bazar - Fünf Tage hat die 21-jährige Jorina gebraucht, um sich in Sicherheit zu bringen. Vor drei Monaten ist sie mit zwei ihrer Kinder vor einer systematischen Säuberungswelle der myanmarischen Streitkräfte nach Bangladesch geflohen. Seitdem lebt sie wie Hunderttausende Rohingya im überfüllten Madhuchora, einem Teil des riesigen Flüchtlingslagers Kutupalong nahe der Küstenstadt Cox’s Bazar. Jorina hat Angst. Denn die Rohingya sollen binnen zwei Jahren repatriiert werden – in Lager der Regierung im Rakhine-Staat an der Grenze zu Bangladesch, so haben es die beiden Regierungen vereinbart. Der Beginn der Rückführungen wurde jetzt zwar wegen andauernder Vorbereitungen auf unbestimmte Zeit verschoben, dass es aber jederzeit losgehen könnte, schwebt wie ein Damoklesschwert über den Angehörigen der muslimischen Minderheit.

 

Denn viele der Flüchtlinge wollen unter keinen Umständen zurück, sie glauben nicht, dass die Diskriminierung und Gewalt gegen sie in Myanmar bald aufhören. „Es ist besser, hier in Bangladesch zu sterben, solange wir in Myanmar nicht als Staatsbürger anerkannt werden und unser Land, unser Besitz und unsere Häuser vom Militär nicht zurückgegeben werden“, sagt Jorina, die im Flüchtlingslager ihren Ehemann sowie einen vermissten Sohn wiedergefunden hat.

Insgesamt leben knapp eine Million Rohingya in Bangladesch

Nurul Islam, dem das Militär in der Heimat einen knappen Hektar Land und ein Haus wegnahm, will ebenfalls nicht zurückkehren. „Wir haben nach dem 25. August wie in einem Käfig gelebt. Wir durften nicht einkaufen. Birma belügt die Welt“, klagt der Mann.

Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) gingen während der Säuberungswelle durch die Streitkräfte von August bis November vergangenen Jahres 354 Rohingya-Dörfer entlang der Grenze zu Bangladesch in Flammen auf. Obwohl laut den Menschenrechtlern die Militärkampagne – von Armeechef General Aung Hlaing als Lösung eines „seit dem Zweiten Weltkrieg anhaltenden Problems“ beschrieben – weitgehend beendet schien, stieg die Zahl der Vertriebenen inzwischen von 650 000 auf 688 000. Damit leben nun inklusive der in früheren Jahren geflohenen Menschen insgesamt knapp eine Million Rohingya in Bangladesch. „Wir haben Hunderte von Gesprächen mit Flüchtlingen geführt“, erklärt Richard Weir von Human Rights Watch gegenüber unserer Zeitung, „kein einziger ist gegenwärtig bereit, freiwillig heimzukehren.“

Viele besitzen keine Pässe und werden nicht als Staatsbürger anerkannt

Die Regierung in Dhaka beharrt darauf, dass die Vertriebenen zurückkehren, die von Offiziellen in Myanmar als „Bengalis“ bezeichnet werden. In dem buddhistisch geprägten Land sehen sich die muslimischen Rohingya seit Jahrzehnten Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt. Viele besitzen keine Pässe und werden nicht als Staatsbürger anerkannt, selbst wenn sie seit Generationen im Land sind. Sie sind der Willkür von Polizei, Militär und Behörden weitgehend schutzlos ausgeliefert.

Anfang August 2017 war die 33. Infanteriedivision in den Rakhine-Staat verlegt worden. Sie hat wegen ihres brutalen Vorgehens im Kachin-Staat und im Shan-Staat, wo ebenfalls Minderheiten leben, einen schlimmen Ruf. Am 25. August sollen dann laut offiziellen Angaben Angehörige der neuen Rohingya-Rebellenorganisation ARSA Polizeiposten angegriffen haben. Die Attacke war der Auftakt zur Massenvertreibung.

Myanmars Streitkräfte nahmen keine Rücksicht auf Zivilisten

Während Myanmars Streitkräfte behaupten, lediglich Mitglieder der von ihnen als Terrororganisation eingestuften ARSA-Gruppe liquidiert zu haben, dokumentierte HRW anhand des Dorfes Tula Toli, dass Myanmars Streitkräfte keine Rücksicht auf Zivilisten nahmen. Zwischen 1000 und 2000 Kinder, Frauen und Männer wurden an einem Tag von Soldaten der 33. Infanteriedivision vergewaltigt und massakriert. „Sechs Soldaten nahmen uns mit in eine Hütte. Sie nahmen uns die Kleider weg. Wir wollten fliehen. Aber sie ließen uns nicht und haben uns alle vergewaltigt“, beschrieb die 24-jährige Shawfika den Menschenrechtsaktivisten das brutale Vorgehen der Soldaten. „Anschließend haben sie die Menschen erschossen und die Hütten in Brand gesetzt. Die Schüsse verfehlten mich. Ich entkam schließlich. Ich konnte andere Frauen schreien hören, die nicht aus brennenden Hütten hinauskamen.“

Männer und Kinder des Dorfes waren zuvor erschlagen oder erschossen worden. Die Soldaten warfen die Leichen in Gruben am Flussufer und verbrannten sie.

Rohingya wollen nicht im Ghetto leben

„Angesichts solcher Erlebnisse herrscht großes Misstrauen, zumal die Heimkehrer nun in Lager sollen, zu denen niemand Zugang haben wird“, warnt der Menschenrechtsaktivist Richard Weir. Viele Rohingya fühlen sich angesichts dieser Pläne an das Schicksal ihrer Glaubensbrüder im Süden des Rakhine-Staats und in der Stadt Sittwe erinnert. Dort leben Rohingya seit Jahren in Lagern in Ghetto-ähnlichen Verhältnissen. „Sie dürfen nur mit Geleitschutz zum Arzt, haben nur unter Beaufsichtigung die Möglichkeit, die Lager zu verlassen“, illustriert Weir die Zustände in Rakhine.

Rohingya im Flüchtlingslager Kutupalong präsentierten deshalb vor einigen Tagen ihre Vorstellungen von einem Kompromiss: „Myanmar sollte den Rohingya, die noch dort leben, die volle Staatsbürgerschaft verleihen. Dann wüssten wir, dass wir den Behörden trauen könnten.“