Auf den Fildern war Rohr kein bedeutender Ort. Trotzdem geizt die Ortsgeschichte nicht mit interessanten Einzelheiten. Ein Mord im Rohrer Wald hatte sogar einst in ganz Württemberg für Furore gesorgt.

Rohr - Vom alten Rohr ist heute wenig zu sehen: Der Kirchturm oberhalb des Sees und ein stattliches Fachwerkhaus an der Rathausstraße 2 bis 4 zählen zu den Relikten. Wie bedeutend aber war Rohr einst, und wovon lebten die Einwohner? „Rohr war auf den Fildern offensichtlich kein bedeutender Ort“, sagt Herbert Medek, der Leiter der Unteren Denkmalbehörde und Experte für die Geschichte der Landeshauptstadt. Herzog Carl Eugen habe Rohr als seinen „Zwerchsack“ bezeichnet, einen Beutel, den man über die Schulter legte, ein Teil vorne, der andere hinten und oben der schmale Steg. Rohr habe mit seinen beiden Dorfausbuchtungen auf dem Berg und unten im Tal besagtem Zwerchsack geähnelt.

 

Über Rohr, sagt Medek, sei im Mittelalter und der frühen Neuzeit wenig vermerkt. „Auf dem Areal, auf dem heute die Laurentiuskirche steht, erhob sich einst höchstwahrscheinlich die Burg der Herren von Rohr, Ortsadelige, die seit Mitte des 13. Jahrhunderts urkundlich erwähnt sind, die aber nicht sehr berühmt waren“, sagt Herbert Medek. Die Burg sei von einem mit Lehm, den es in Rohr reichlich gegeben habe, wasserdicht gemachten Graben umgeben gewesen, den man über eine Quelle mit Wasser füllen konnte. Brandspuren an Resten der Burg, die man später gefunden habe, deuteten darauf hin, dass sie gewaltsam zerstört wurde.

Herzog Ulrich ermordet Hans von Hutten im Rohrer Wald

„Landesgeschichtlich bedeutsam war im Mai 1514 die Ermordung des Oberstallmeisters Hans von Hutten durch Herzog Ulrich“, sagt Herbert Medek. Ulrich sei in die Frau Hans von Huttens verliebt gewesen, und habe von Hutten auf Knien angefleht, dass er zu dessen Frau lieb sein dürfe, was bei Hutten auf taube Ohren stieß. Daraufhin habe ihn Ulrich erdolcht und ihn verkehrt herum im Rohrer Wald aufgehängt, um seine Tat als Fememord darzustellen. Ulrich habe nämlich behauptet, Hans von Hutten habe es auf seine Frau Sabina abgesehen gehabt. Die Öffentlichkeit habe sich nicht täuschen lassen, und die Familie von Huttens habe beim Kaiser einen Prozess gegen den Herzog angestrengt, der 1516 mit der Reichsacht gegen Ulrich und mit dessen Vertreibung endete.

Das Oberamt beschreibt den Rohrer als ruhig, gutmütig und gesetzt

Im 19. Jahrhundert sprudeln die Quellen über Rohr reichlicher. Am 29. Juni 1899, sagt Medek, ist der Rohrer Steinhauer Gottlob Rath auf der Straße zwischen Vaihingen und Rohr von einem Sandfuhrwerk überfahren worden. „Hieraus ist deutlich ersichtlich, wie dringend es notwendig ist, dieser, hauptsächlich abends belebten Straße entlang ein Trottoir zu bauen, dann wären solche bedauerliche Unglücksfälle ausgeschlossen“, schrieb damals der Filderbote, der Vorläufer der Filder-Zeitung. Also war schon damals der Straßenraum ein wichtiges Thema. Ansonsten ist in der Stuttgarter Oberamtsbeschreibung des Jahres 1851 zu lesen: „Die Einwohner sind gutmüthig, gesetzt, ruhig und vermöge ihrer einsamen Lage den neuen Sitten nur langsam zugänglich.“ Früher, so steht es im Bericht, sei in Rohr Wein angebaut worden, aber 1702 habe man damit aufgehört. Pferdezucht finde in Rohr nicht statt, aber der Zustand der Rindviehzucht sei gut. Wegen der geringen Ergiebigkeit des Feldbaus war das Gewerbe eine wichtige Lebensader. Darüber vermerkt der Oberamtsbericht: „Am zahlreichsten sind die Hafner, einer derselben verfertigt Fayencen, wozu er die Erde aus dem Badischen bezieht und mit der hiesigen Hafnererde vermischt. Das Küchengeschirr aus Rohr hatte früher einen guten Ruf; jetzt ist die Erde größtentheils ausgegraben.“ Sieben Webermeister arbeiteten auf Bestellung für Auswärtige, sonst werde Weberei als Nebenbeschäftigung betrieben. Die Armen im Dorf hätten sich zur Erntezeit im Unterland als Schnitter verdingt. Offenbar lieferte Rohr damals auch Baumaterial. „Im weißen Stubensandstein sind Brüche angelegt, aus denen gute Bausteine gewonnen werden, und in der Ebene bricht man Liaskalksteine zur Unterhaltung der Straßen“, heißt es im Oberamtsbericht.

Radium im Wasser macht Kurgäste aktiv

Im 20. Jahrhundert wurde es in Rohr lebendig. „1910 hat sich in Rohr interessanterweise ein Fremdenverkehrsverein gegründet“, sagt Medek. Rohr sollte Luftkur- und Badeort werden. Das Wasser des Schwöllbachbrunnens wurde auf Radium untersucht, Prospekte wurden herausgebracht, viele Stuttgarter verbrachten ihren Urlaub in der Pension Erika oder im Landhaus Waldfrieden, es wurden Bänke aufgestellt und Wanderwege erschlossen. 1912 kam die Elektrizität in den Ort, 1919 bekam die Gäubahn wegen des regen Touristenverkehrs eine Haltestelle in Rohr. Seit 1928 war Rohr auch über Vaihingen, in das es 1936 eingemeindet wurde, an das Straßenbahnnetz angeschlossen. Damit war am 6. April 1986 Schluss, denn bei der Planung der neuen Stadtbahn und der S-Bahn wurde auf die Weiterführung der Stadtbahn nach Rohr verzichtet.