Eine aktuelle Studie kanadischer Wissenschaftler widerspricht der seit Jahren aufgestellten Behauptung der Industrie, die Belastung von Seen in der Umgebung der Ölsand-Fördergebiete mit krebserregenden Stoffen sei natürlichen Ursprungs.

Stuttgart/Alberta - Der Abbau von Ölsand im Norden der kanadischen Provinz Alberta belastet umliegende Seen mit krebserregenden Stoffen. Eine jetzt veröffentlichte Studie widerspricht jahrelangen Behauptungen der Ölindustrie, die erhöhten Schadstoffwerte in Gewässern seien „natürlichen“ Ursprungs und hätten nichts mit der Ölsandgewinnung zu tun.

 

Wissenschaftler um John Smol und seinen Kollegen Joshua Kurek von der Queen´s-Universität in Kingston/Ontario hatten die Sedimente in Seen Nord-Albertas untersucht und dort die erhöhten Werte an Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) gefunden. „Dies ist ein entscheidender Beweis, dass dies keine natürliche Erscheinung ist“, sagte Smol dieser Zeitung. „Wir müssen einsehen, dass wir ein Problem haben. Wenn wir die Emissionen nicht stärker kontrollieren, wird die Belastung ansteigen.“ Die Regierung müsse die Ergebnisse der Studie ernst nehmen.

Sedimente verraten den Anstieg über Jahrzehnte

Die Studie wurde jetzt in den „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“ veröffentlicht. Sie zeigt, wie der rasante Ausbau der Ölsandindustrie im Athabasca-Becken das Ökosystem der Seen im vergangenen halben Jahrhundert verändert hat. Anhand der Sedimente konnte der Anstieg der Werte zeitlich bestimmt und belegt werden, wie sich die Kontamination in der Region seit Beginn des industriellen Abbaus des Bitumen enthaltenden Ölsands entwickelte. „Unsere Studie zeigt, dass die Seen sehr anders sind als vor 50 Jahren und auf dem Weg zu einem nie gesehenen Wandel sind“, meint Kurek.

Nach Angaben des deutschen Umweltbundesamtes sind PAK eine chemische Stoffgruppe, die seit Jahrzehnten wegen ihrer problematischen Eigenschaften für Mensch und Umwelt im Fokus von Wissenschaft und Öffentlichkeit steht. Zahlreiche PAK wirken krebserregend. „Einmal in die Umwelt entlassen, verbleiben solche Stoffe sehr lange, reichern sich an und können so über längere Zeit ihre giftige Wirkung entfalten“, schreibt das Umweltbundesamt. PAKs entstehen unter anderem bei der Verbrennung von Kohle, Diesel und Öl.

Die Förderung soll verdoppelt werden

Der rapide Aufstieg der Ölsandförderung in Alberta hatte in den frühen 1980-er Jahren begonnen, seine Anfänge liegen aber in den späten 60-er Jahren. Derzeit werden dort täglich 1,5 Millionen Barrel Öl gefördert. Die Förderung soll bis 2025 mindestens verdoppelt werden. Umweltschützer führen seit Jahren wegen der Landschaftszerstörung und der Belastung von Wasser und Luft mit Schadstoffen sowie dem hohen Energie- und Wassereinsatz bei der Ölgewinnung eine Kampagne gegen das „schmutzige Öl“. Schon vor mehreren Jahren hatte der Forscher David Schindler von der Universität von Alberta die Deformation und Erkrankung von Fischen auf Schadstoffe durch die Ölsandindustrie zurückgeführt und eine weitere Studie publiziert, wonach der Athabasca-Fluss unterhalb von Ölsandminen stärker mit Giftstoffen belastet sei als Gewässer oberhalb der industriellen Aktivitäten. Die Industrie und Vertreter des „Regional Aquatics Monitoring Program“ (RAMP) Albertas widersprachen. Die erhöhten Werte von Metallen wie Quecksilber oder Arsen seien „natürliche Erscheinungen“, weil der Fluss durch Ölsandlager fließe. Die Werte seien unabhängig vom Ölsandabbau.

Dies glauben nun Smol und seine Kollegen widerlegt zu haben. Anhand der Sediment-Untersuchungen in sechs Seen zeigen sie, dass die Belastung der Ablagerungen im See mit den PAK seit Beginn der Ölsandentwicklung angestiegen ist. „Wir fanden Anstiege um das 2,5- bis 23-fache“, erläutert Smol. Überrascht waren die Wissenschaftler, dass sie auch in einem See, der 90 Kilometer nordwestlich des Ölsand-Abbaugebiets liegt, eine erhöhte Kontamination feststellen mussten. „Dies deutet darauf hin, dass die Belastungen von der Ölsandregion sind in einer größeren Distanz ablagern als zuvor angenommen“, heißt es in einer Erklärung der Universität.