Ohne ihn gäbe es weder das Bosch-Areal in seiner heutigen Form noch das im Entstehen begriffene NS-Dokumentationszentrum Hotel Silber: Der Architekt Roland Ostertag. Er feiert an diesem Freitag seinen 85. Geburtstag.

Stuttgart - Wenn man Roland Ostertag zum Interview besucht, wird man erst einmal durch die baugeschichtliche Stuttgart-Ausstellung geführt, die der Architekt in den Räumen am Gähkopf eingerichtet hat, wo einst der Kunstsammler Hugo Borst seine Privatgalerie „Künstlerhaus Sonnenhalde“ unterhielt. Erst nach dem Rundgang lässt sich der Hausherr auf ein Gespräch über das bevorstehende Jubiläum ein.

 
Herr Ostertag, am 19. Februar feiern Sie Ihren 85. Geburtstag. Welches Gefühl herrscht bei Ihnen vor in Bezug auf dieses Datum? Zufriedenheit mit dem Erreichten? Tatendurst auf noch zu Erreichendes?
In erster Linie ist es Gelassenheit. Etwas poetischer gesagt: Sommer und Herbst sind vorbei, und jetzt bin ich gespannt, was auf mich zukommt. Ich werde aber weiter versuchen, Verantwortung zu übernehmen und zu den Dingen um mich herum Stellung zu nehmen.
Gibt es Vorteile des Alters gegenüber der Jugend, wenn man von den Nachteilen mal absieht, wie zum Beispiel dem Nachlassen der körperlichen Kräfte?
Abend und Morgen sind Selbstverständlichkeiten, Jahreszeiten sind Selbstverständlichkeiten, und so sind auch im menschlichen Leben diese Dinge Selbstverständlichkeiten. Mit fünfzig war ich in Bezug auf das Alter viel skeptischer, heute habe ich diese Bedenken nicht mehr.
Sie erfreuen sich offenbar bester Gesundheit, sind nach wie vor aktiv, nehmen engagiert am Leben in Stuttgart teil – ist dieses Tätigsein das Geheimnis, wie man gut älter wird?
Man hat natürlich so seine Zipperlein. Kürzlich bin ich beim Joggen gestürzt und habe mich an der Hand verletzt . . .
Sie joggen?
Sagen wir mal, ich gehe schnell (lacht). Ich laufe um die Bärenseen. Oft lasse ich auch mein Auto – einen sechzehn Jahre alten Smart, der demnächst durch ein neues Elektromodell ersetzt wird – morgens zu Hause in der Hermann-Kurz-Straße stehen und laufe runter zum Ausstellungsraum und am Abend wieder zurück. Das gehört dazu, um fit zu bleiben.
Nun sind Sie ja die Inkarnation des engagierten Bürgers, Sie mischen überall mit und sich in alles ein, wo es im weitesten Sinn um die Stadt und ihre bauliche Entwicklung geht. Meistens sind das Aufregerthemen, Stichwort Stuttgart 21. Wie schafft man es da, gelassen zu bleiben?
Natürlich bin ich manchmal betrübt. Aber es braucht oft einen langen Atem, wenn man sich für oder gegen etwas einsetzt. So bin ich jetzt von der Architekturgalerie am Weißenhof angesprochen worden, die eine Ausstellung über Abrisse in Stuttgart vorbereitet. Ich kann dazu einige Hinweise und Unterlagen beisteuern. Dieses Thema bewegt mich ebenfalls sehr, und das seit vielen Jahren. Wenn man die Stadt zu sehr antastet, ist es, als ob man Seiten aus einem Buch herausreißt. Die Geschichte geht dabei verloren.
Welche Ihrer zahlreichen Initiativen war die erfolgreichste, welche die erfolgloseste?
Am wenigsten erfolgreich war sicher Stuttgart 21. Auch beim Thema, Stuttgart mehr mit seinen Flüssen zu verbinden, Wasser in die Stadt zu bringen – ob das der Neckar oder der Nesenbach ist –, bin ich leider nicht so weit gekommen, wie ich mir das gewünscht habe.
Und die erfolgreichste?
Das Echo vieler Leute, die hier in die Ausstellung kommen. Ich werde bei dem einen oder anderen Projekt manchmal gefragt, ob sich denn überhaupt etwas bewegt. Darauf antworte ich: „Tagebuch einer Schnecke!“ Man muss auch die kleinen Fortschritte als Erfolg nehmen.