Weil er mit dem Angebot für Rollstuhlfahrer in Ludwigsburg nicht zufrieden ist, organisiert Frank Haueisen selbst einen Rollitreff. Beim ersten Treffen kommt Euphorie auf.

Volontäre: Maximilian Kroh (kro)

Erst nach gut einer Stunde kann Frank Haueisen kurz durchatmen. Ein Zug an der Zigarette, ein Schluck kühles Bier, und schon kreist sein Blick wieder durch die Runde. Geht es allen gut, sind alle mit Getränken versorgt, haben alle Spaß?

 

Frank Haueisen ist wahnsinnig umtriebig, er kommt vor Kullman’s Diner auf der Westseite des Ludwigsburger Bahnhofs kaum zur Ruhe. Mehrfach klingelt sein Telefon, immer wieder wird er darauf hingewiesen, aber Haueisen winkt ab, er hat Wichtigeres zu tun. Die Euphorie treibt ihn an, das spürt man, als er den Neuankömmlingen entgegenrollt und sie freudig begrüßt. Haueisen rollt, denn er sitzt im Rollstuhl. So wie alle der mehr als 40 Menschen, die zum ersten Kennenlernen des Rollitreffs Ludwigsburg gekommen sind.

Anfangs scheint er das Gefühl zu haben, die Leute ein wenig animieren zu müssen. „Kommt ran, sucht euch einen Platz, unterhaltet euch“, ruft er den Ankommenden zu. Alle werden begrüßt, als seien sie alte Freunde, auch wenn Haueisen nur eine Handvoll wirklich kennt. Auf 15.30 Uhr war der Beginn des Treffens angesetzt, eine halbe Stunde später rollen immer noch Nachzügler heran. Immer wieder bringen die Mitarbeiter des Diners neue Tische heran, schnell geht die Tafel um die Ecke, weil sonst der Platz nicht reicht.

S-Bahn-Training ist geplant

Dann, findet Haueisen, ist es Zeit für eine Begrüßungsrede: „Danke, dass ihr alle gekommen seid, das freut mich echt“, sagt er und erklärt, was er sich für die Runde vorgestellt hat. Alle acht Wochen wollen sie sich hier treffen, immer am letzten Donnerstag des Monats. In erster Linie soll es darum gehen, Kontakte zu knüpfen, sich zu vernetzen, Gesellschaft zu haben. Deshalb geht eine Liste herum, in der alle ihre Daten eintragen. Außerdem können sie dort ihre Ideen für gemeinsame Aktionen notieren. Ein paar Dinge haben Haueisen und seine Mitstreiter auch schon im Kopf.

Direkt am Diner gibt es eine Bushaltestelle, dort könnte man trainieren, richtig in den Bus zu kommen. Und der Bahnhof ist ja auch in Reichweite, da könnte man das S-Bahn-Fahren üben. Zudem wollen sie einen Rollstuhlhersteller einladen, der Tipps für neues Material gibt oder Reparaturen an den Rollis vornehmen kann. „Das wäre dann eine Art Mini-Tüv“, erklärt der Ludwigsburger.

Mit dem Angebot der Stadt Stuttgart sind alle unzufrieden

Die Idee für das Treffen kam Haueisen, als er beim Rolliclub Stuttgart zu Besuch war. „Da dachte ich mir: So etwas brauchen wir in Ludwigsburg auch.“ Erst recht, weil zu den Treffen in Stuttgart immer weniger Leute gekommen seien und die Stadt nur wenig getan habe, um sie zu unterstützen. Die Stuttgarter müssten mehr machen, da sind sich vor Kullman’s Diner alle einig. „In Ludwigsburg hat man uns quasi den roten Teppich ausgerollt“, sagt Jörg Schmider, der ebenfalls an der Organisation des Treffens beteiligt war. Sie hatten sich mit Gertraud Selig, der Inklusionsbeauftragten der Stadt Ludwigsburg, in Verbindung gesetzt, die wiederum Kontakt zu Thomas Backmund, dem Besitzer von Kullman’s Diner, aufnahm.

Als der Vorschlag kam, habe er keine Sekunde gezögert, sagt Backmund. „Ich habe immer wieder Rollstuhlfahrer als Gäste“, erklärt er. „Viele Basketballfans kommen vor den Spielen vorbei, die MHP-Arena ist ja ganz nah.“ Das Diner eignet sich für die Treffen auch deshalb so gut, weil es über ein Behinderten-WC verfügt und es beim Bahnhof sogar noch ein zweites gibt. Außerdem finden auf der großen, ebenerdigen Fläche draußen auch genug Leute Platz.

Zum Glück ist das Wetter gut, „drinnen hätte ich die wahrscheinlich gar nicht alle untergebracht“, schätzt Backmund. Ursprünglich sei die Stadt von zehn bis 15 Teilnehmenden ausgegangen, jetzt sind es vier Mal so viele. Es gibt zehn Prozent Rabatt auf Getränke, dafür sind Schmider und Haueisen sehr dankbar. Diner-Chef Backmund zuckt nur mit den Schultern, er hätte auch noch mehr gegeben: „Das wollten sie aber nicht.“

Die Stimmung beim Treffen ist locker, fast ausgelassen. „Das hat ein bisschen was von Festival-Feeling. Es ist schön, mit so vielen Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen“, sagt Conny Wagner aus Stuttgart. Auch sie ist Mitglied im Stuttgarter Rollitreff, und sie nahm dort ebenfalls wahr, dass das Interesse an den Treffen zurückging. Eigentlich seltsam, denn ähnliche Angebote gebe es in der Region kaum, ein paar Selbsthilfegruppen oder Sportvereine. „Aber es kann und will halt nicht jeder Sport machen“, sagt Jörg Schmider. Und gerade in den ländlicheren Regionen werde es schnell eng mit den Möglichkeiten, deshalb sind auch viele Rollstuhlfahrer aus dem ganzen Landkreis nach Ludwigsburg gereist. „Die Leute vereinsamen, wenn sie nur noch in ihren Wohnungen hocken“, erklärt Schmider. „Dem wollen wir entgegenwirken.“

Frank Haueisen genießt die Atmosphäre sichtlich, als er endlich Zeit gefunden hat, ein bisschen durchzuschnaufen. „Endlich jemand, mit dem man rauchen kann“, sagt jemand zu ihm, und noch einmal schaut Haueisen in die Runde und schüttelt den Kopf: „40 Leute, das ist echt überwältigend.“ Sein Gegenüber nickt und sagt dann: „Wart’s ab, Frank. Jetzt trinken wir noch ein paar Bier, dann sind es 80.“

Wann findet der Rollitreff statt?

Ansprechpartner
 Der Rollitreff findet alle acht Wochen, jeweils am letzten Donnerstag des Monats statt. Treffpunkt ist immer um 15.30 Uhr vor Kullman’s Diner auf der Westseite des Ludwigsburger Bahnhofs. Das nächste Treffen ist also für den 29. Juni angesetzt. Jeweils im anderen Monat veranstaltet der Rollitreff Stuttgart seine Treffen, die ebenfalls im Acht-Wochen-Rhythmus an verschiedenen Orten stattfinden. Eingeladen sind alle interessierten Rollstuhlfahrer, eine vorherige Anmeldung ist nicht nötig. Ansprechpartner ist Frank Haueisen, der unter der Mobilnummer 01 71/3 05 59 40 erreichbar ist.

Instagram
 Nähere Informationen und Kurzberichte zu den Treffen veröffentlichen die Rollitreffs Ludwigsburg und Stuttgart auch auf dem Instagram-Kanal rollitreff.