"Wo die Löwen weinen": Heinrich Steinfest macht aus dem Widerstand gegen Stuttgart 21 einen Roman - der aber vor dem 30. September endet.

Stuttgart - "Für jede Geschichte braucht es einen Österreicher. Der Österreicher signalisiert Leben und Tod." Heinrich Steinfest Seit zwölf Jahren lebt Heinrich Steinfest in Stuttgart. Die Stadt ist für ihn keine Niemandsbucht, aus deren geschütztem Gestade er seelenruhig auf das bewegte Meer des Weltgeschehens weit draußen schauen würde. Stuttgart hat dem Schriftsteller Steinfest immer mal wieder zum Handlungsort getaugt. Dem Bürger Steinfest ist Stuttgart, wie Tausenden seiner Mitbürger, zum Kampfplatz geworden.

Früher oder später musste beides zusammenkommen und zünden. Steinfest, 1961 in Australien geboren und Österreicher, bezeichnet seine Bücher meist als Kriminalromane. In der Tat tummeln sich darin Verbrecher, Ermittler und Mordopfer. (Dass die Aufklärung des Verbrechens bei Steinfest meist eher wie die von der Lösung eines Falls nicht weiter behelligte Ausstellung eines besonders aufwendig montierten Rätselbildes anmutet, steht auf einem anderen Blatt.)

Für ein Verbrechen hält Steinfest, den man regelmäßig bei Demonstrationen und Kundgebungen gegen das Projekt Stuttgart 21 antreffen kann, was mit dem Stuttgarter Hauptbahnhof und zugleich mit dem Gemeinwesen geschehen soll; er spricht vom "Vorhaben, eine Stadt zu ermorden". Also heißt sein neues Buch, "Wenn die Löwen weinen", das heute – ausnahmsweise herausgebracht vom Stuttgarter Theiss Verlag – in den Buchhandel kommt, wieder Kriminalroman. Es wäre nicht der erste Vertreter des Genres, dessen Verfasser die Krimiform für ein heftiges "J’accuse" nutzt.

Zwischen verunglimpfen, würdigen und verklären


"Wenn die Löwen weinen" ist tatsächlich auf weite Strecken eine Streitschrift voll brillanter Polemik. Das kommt für Steinfest-Leser nicht ganz überraschend. Diesen Autor interessiert eine sauber exekutierte Handlung mit kathartischem Showdown oder herbeigepuzzelter Auflösung einfach nicht. Noch in jedem seiner Bücher hat Steinfest alle Ansätze klassischer Krimihandlungsmodelle mit allerlei moralischen und ästhetischen Exkursen, Glossen und Marginalien lustvoll zerschossen. Aber dieses Mal geht es nicht um flamboyante Superverbrecher, wie sie seine Werke sonst bevölkern, und die fast surrealen Parallelwelten, in die Steinfest seine Protagonisten mit großer Spielfreude zu pflanzen pflegt.

Dieses Mal geht es um eine sehr reale Protestbewegung, die je nach Standpunkt des Betrachters als "Wutbürger" verunglimpft, als "bürgerlicher Hegemon" gewürdigt oder als Quell des kreativsten Widerstands aller Zeiten verklärt wird. Und es geht um Leute, deren Gesichter man aus dem StZ-Lokalteil kennt. Diese interagieren plötzlich mit Figuren aus dem Steinfest-Universum. Ob das gutgeht?

Der aus früheren Krimis bekannte Kommissar Rosenblüt kehrt aus der Münchner Verbannung zurück, um im hochsommerlichen Stuttgart die Wurzel eines auf den ersten Blick mäßig sensationellen Überfalls am Isarufer aufzuspüren, an seiner Seite ein kleiner, nicht eben laufbereiter Hund namens Kepler, der in allem dem verewigten Lauscher der Steinfest’schen "Cheng"-Romane ähnelt, sowie, auch dies nichts Neues, allerlei attraktive Frauenspersonen.

"Offenkundig willfährige Journaille" bleibt nicht ungeschoren


Und weil der Überfall auf den Sohn eines Geologen mit dessen unterdrücktem Gutachten zur Geländebeschaffenheit unter dem Stuttgarter Schlossgarten zu tun hat und weil Rosenblüts Ermittlungen an Komplotte rühren, deren Urheber zu den tonangebenden Kreisen von Politik und Wirtschaft am Neckar zählen, hat Steinfest reichlich Gelegenheit zur glänzend vorgetragenen Anprangerung all dessen an Stuttgart 21 und an der Regierung von Stadt und Land, was so viele auf die Palme bringt und auf die Straße treibt.

Auf das umstrittene Bahn- und Immobilienprojekt hageln Sätze hernieder wie "Die Gigantomanie der geplanten Höhlenarchitektur ergab sich aus der inneren Logik einer gewollten Verschwendung" oder "Darum war es hier so wichtig, dass die geplanten Zerstörungen an Gebäuden und Natur, das Verpulvern finanzieller Mittel, die zwangsläufige Verschmutzung von Luft und Grundwasser keinem wirklichen Nutzen dienen durften".