Mit dem Roman „Ein untadeliger Mann“ wurde Jane Gardam hierzulande bekannt. Die Fortsetzung „Eine treue Frau“ beleuchtet die Geschichte nun aus einem anderen Blickwinkel.

Stuttgart - Solche seltsamen Karrieren sind meist dem weiblichen Geschlecht vorbehalten. Jane Gardam hat im Alter von 43 Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht, da war gerade das jüngste ihrer drei Kinder eingeschult worden. Inzwischen geht sie auf 88 zu, ihr Werk umfasst 32 Romane und Erzählbände, und zu Hause in England ist sie berühmt und vielfach ausgezeichnet worden. Dennoch reagierte die deutsche Literaturkritik zunächst kaum, als Hanser Berlin vergangenes Jahr „Ein untadeliger Mann“ veröffentlichte, das erste Buch einer Trilogie, in der eine Dreiecksbeziehung aus der einstigen britischen Kronkolonie Hongkong erzählt wird. Erst die Buchhändlerinnen, begeistert von der feinen Ironie und der tiefen Menschenkenntnis der Literaturwissenschaftlerin, die ihre spitze Feder sichtlich an Jane Austen und ihren Figurenreichtum an Charles Dickens geschult hat, brachten die Erfolgswelle ins Rollen, die den ersten und jetzt auch den zweiten Band, „Eine treue Frau“, in die Bestsellerlisten schwemmte.

 

Zu Recht, denn allein die Konstruktion des literarischen Projektes ist schon interessant. In klug sich überlagernden Gegenwarts- und Vergangenheitssequenzen wird in den auch einzeln lesbaren, dann allerdings weniger komplexen Büchern aus Bruchstücken und wechselnden Perspektiven die Geschichte einer Ehe entworfen, die vom längst untergegangenen Empire gezeichnet ist und dessen glanzvolle und grausame Seiten abbildet. Die Hauptfiguren, Edward Feathers und seine Frau Betty, zählen beide zu den „Raj-Waisen“, wie man die Kinder nannte, die einst von den Beamten der Kolonien meist im Alter von vier oder fünf Jahren zur Erziehung ins Mutterland verschickt wurden und dort in nicht immer liebevollen Pflegefamilien und strengen Internaten lebten. Rudyard Kipling zum Beispiel, der „Das Dschungelbuch“ geschrieben hat, war von diesem Trauma geprägt. Erfuhren die Leser von „Ein untadeliger Mann“, wie sich die Vergangenheit aus Sicht des zuverlässigen, aber distanzierten Gatten darstellt, so steht in „Eine treue Frau“ nun Betty im Fokus.

Eine Halt versprechende Ehe

Auch hier wird in der dritten Person erzählt, der Grundton allerdings ist verändert, als ob sich erneut das Wesen der zentralen Person darin spiegeln würde. Und Betty, von empfindsamem, an der Oberfläche fröhlichem, praktischem Gemüt, ist eher Edwards stützendes Gegenstück als seine Seelenverwandte. Im ersten Band wird geschildert, wie sie den in Hongkong als Kronanwalt und Richter reich gewordenen Feathers nach einem Herzinfarkt beim Tulpenzwiebeleingraben einsam und verzweifelt auf dem Alterssitz in Dorset zurückgelassen hatte, woraufhin ihn all das einholt, was zeitlebens hinter seiner steifen Oberlippe verborgen geblieben war. Als auch noch in der Nachbarschaft der Anwalt Terry Veneering einzog, mit dem Betty eine unterdrückte Liebe verband, beginnt sein Gerüst aus Pflichtgefühl, Disziplin und Höflichkeit zu bröckeln, und er versucht, die zerrissenen und unterdrückten Erinnerungen an seine verstörenden jungen Jahre zusammenzufügen.

Im zweiten Band nun geht Jane Gardam weit hinter diese Geschehnisse zu Beginn des neuen Jahrtausends zurück und zeigt in ergänzenden Rückblenden, wie sich seine früh verwaiste, lange im Lager interniert gewesene Gefährtin in eine Halt versprechende Ehe mit Edward stürzt, obwohl sie zuvor leidenschaftlich für einen anderen entbrannt war, wie sie sich eine große Familie wünscht und dennoch kinderlos bleibt, wie sie emotional einen fremden Jungen adoptiert – und wie sich aus all diesen Unglücken, Fügungen und Kompromissen eine Biografie ergibt. Ganz im Sinne von John Lennons schönem Ausspruch: „Leben ist das, was passiert, während wir andere Dinge planen“.