Ronja von Rönne gilt als neue Stimme der jungen Literatur. Doch ihr Roman-Debüt kommt ziemlich altklug daher.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Man wird sich schnell einigen, dass es hier auf die Geschichte nicht so sehr ankommt. Eine junge Frau aus den kreativen Randzonen der Mediengesellschaft rekelt sich im großen Ennui. Und der neueste Liebes-Lifestyle, den sich hippe Paarungs-Scouts haben einfallen lassen, ist auch keine richtige Stütze, auch wenn es praktisch klingt: „Wir sind zu viert, damit wir uns nur zur anderen Seite rollen müssen, um nicht mehr allein zu sein.“ Polyamorie, wie dieses Herumgekugel in der ratgeberliterarischen Fachsprache heißt, raubt der jungen Ich-Erzählerin auf Dauer den Schlaf. Statt sexueller Ekstasen sind Panikattacken die Folge. Weshalb ihr Therapeut geraten hat, das Ganze doch aufzuschreiben.

 

So jung und schon so fertig, könnte man beim Lesen von Ronja von RönnesRomandebüt „Wir kommen“ denken. Weil Leser aber nun einmal keine Therapeuten sind, würde man dieses Urteil lieber auf die Schreibweise beziehen als auf die sozialpsychologische Diagnose, die dieses Sittenbild der neuesten unter den vielen Lost Generations stellt. Und vielleicht wäre man überhaupt auf beides weniger gespannt, würde die 24-Jährige nicht als jüngstes It-Girl-Wunder der jungen deutschen Literatur gepriesen, Fräuleinwunder war gestern.

Jeder Satz ein Aha-Effekt

Einst Model, jetzt „Welt“-Redakteurin, hat von Rönne bereits im Vorfeld viel von sich reden gemacht hat. In einem Beitrag für ihre Zeitung mit dem Titel „Warum mich der Feminismus anekelt“ hat sie unerwünschten Beifall bei der NPD gefunden – und sich den Hass des Netzfeminismus zugezogen, der sich in einem gewaltigen Shitstorm entlud. Jakobinische Morddrohungen lagen in der Luft („Adel ist was für die Laterne, ça irá“).

Was sich für hübsche Texte aus dem großen Weltekel generieren lassen, hat sie im letzten Sommer beim Klagenfurter Bachmannpreis vorgeführt. Wobei nie ganz klar war, worunter die bei dieser Gelegenheit ins Rennen geschickte Vertreterin der „Generation Produktiv“ mehr litt: unter der Mülltrennung, ihrer eigenen Ironie oder dem Zwang, als junge hübsche Frau Positionen vertreten zu müssen, für die sonst eher zynische alte Säcke stehen.

Kein Zweifel, Ronja von Rönne schreibt ziemlich kreativ. In jedem Satz ihres Romans ist eine kleine Überraschung eingebaut, ein kleiner Aha-Effekt, etwas, das auf der Stilskala gute Zensuren verspricht: „Ich habe mir die Zukunft ausgemalt, ziemlich schwarz, das macht zumindest schlank.“ Jeder Zusammenhang erscheint sauber mehrfach gebrochen: Zukunftsforscher lächeln hier im Präteritum, „Meere tun, was Meere eben so tun“, heißt es einmal in der coolen Abbreviatur eines Stimmungsbildes. Und junge im kreativen Schreiben ausgebildete Autorinnen schreiben eben so, wie sie es in Hildesheim gelernt haben.

Im Spaßbad der Ironie

Über allem gähnt das Erwartbare. „Erwartbar war, dass wir zu viert ,nicht funktionierten‘. Erwartbar war, dass er alles satt hatte.“ Die Lust, Neues zu entdecken, ist dem Wahn gewichen, alles in das Erwartbare zu verwandeln und sich dann triumphalistisch darüber zu erheben. So gammelt diese verwöhnte Jeunesse dorée in ihren schönen Strandhäusern mit Pool im Spaßbad der Ironie dahin. Gut aussehend, orientierungslos und wahnsinnig dekadent. Doch dem Odium, einen verdammten Poproman geschrieben zu haben, entgeht man nicht, indem man seine Protagonisten solche Sätze sagen lässt: „Und am Ende stirbt einer. Klar. Wir sind doch kein verdammter Poproman.“

Und so ist dieses so weltläufig ratlose Buch letztlich ein Streberbuch. Wonach es schielt, ist, Stimme einer Generation zu werden. Doch es ist der Sound des Klassensprechers. Ihn nun zum Klang der Nullerjahre zu stilisieren, sagt mehr aus über die Mechanismen des Buchmarkts. Ronja von Rönne bietet sich wunderbar an, die hermeneutische Pädophilie in die Jahre gekommener Kritiker zu befriedigen. Ihre Lust auf Jugend macht sie offenbar unempfindlich für die vielen Gewolltheiten, die wackligen Posen, das eitle Wuchern mit der eigenen Verkommenheit. Altklugheit ist nicht die attraktivste Eigenschaft junger Leute. Oft markiert sie das Gegenteil dessen, was sie zu sein vorgibt: Unreife auf der einen, Frühvergreistheit auf der anderen Seite.