Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt ist die Landung auf einem Kometen geglückt. Ein Erfolg, der mit der Mondlandung vergleichbar ist. Nun  sucht der Roboter Philae nach Biomolekülen, die das Leben auf der Erde ermöglicht haben.

Darmstadt - Die Choreografie dieses Schauspiels steht seit mehr als zehn Jahren fest, die Akteure warten schon sehr lange auf ihren Einsatz. Die Regisseure verfolgen das Geschehen hingegen nur noch auf dem Monitor. Eingreifen können sie nicht mehr. Als sie den Ablauf planten, wussten sie noch nicht einmal, auf welcher Bühne gespielt wird. Das Risiko zu scheitern war daher selten so hoch. Berndt Feuerbacher, einer der Regisseure, schätzt es bei 25 Prozent ein. „Damit müssen wir leben“, sagt er.

 

Feuerbacher stammt aus Stuttgart. Er hat am Ebelu Abitur gemacht und leitete viele Jahre ein Institut des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Heute ist er 74 Jahre alt und längst im Ruhestand. Im Kontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) in Darmstadt verfolgt er trotzdem das Stück, das er mit seinen Kollegen ausgetüftelt hat. Aus dem Tagesgeschäft halte er sich als emeritierter Professor zwar heraus, versichert er. „Aber es bleibt mein Baby.“

Die StZ hat am Mittwoch aktuell im Kurznachrichtendienst Twitter unter dem Namen @StZ_Live von der Landung aus dem Esa-Kontrollzentrum in Darmstadt berichtet.

Die Bühne für das Stück heißt Tschurjumow-Gerassimenko und ist 510 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Tschuri, wie der Komet auch genannt wird, ist überraschend seltsam geformt. Seine Gestalt erinnert an eine Badeente: kleiner Kopf, dicker Hals und breites Hinterteil. Er soll stellvertretend für die Billionen Kometen untersucht werden, die – meist in sehr großem Abstand – um die Sonne kreisen. Sie müssten das Material konserviert haben, aus dem vor 4,6 Milliarden Jahren das Sonnensystem mit der Erde entstanden ist. Möglicherweise haben die Kometen, die damals noch zahlreicher waren und immer wieder auf die noch junge Erde gestürzt sein müssen, Wasser und Biomoleküle mitgebracht, aus denen dann die ersten Lebensformen entstanden. Dies hat das Interesse der Esa geweckt: 1,4 Milliarden Euro hat sie für die Mission gezahlt, rund 200 Millionen Euro davon entfallen auf den Landeroboter und die Landung.

Drei dünne Beinchen sollen den Schwung abfedern

Ein Biomolekül zu finden, das es auch auf der Erde gibt, wäre das Größte, sagt Berndt Feuerbacher. Es wäre ein Hinweis darauf, dass diese Moleküle aus dem All stammen. Philae soll  Bodenproben untersuchen. Berndt Feuerbacher hat den Roboter mit einem großen Team in den 90er Jahren gebaut. Seine Nachfolger haben einen Landeplatz ausgewählt, der ihnen einigermaßen sicher erscheint. Dort muss sich Feuerbachers Choreografie bewähren. Das Mutterschiff Rosetta muss Philae mit dem richtigen Schubs in die richtige Richtung schicken, dann übernimmt die Schwerkraft des Kometen. Sieben Stunden fällt Philae ganz langsam herab. Dann muss alles schnell gehen, denn die Schwerkraft ist so schwach, dass sie den Roboter nicht halten könnte, wenn er abprallt und wieder im All verschwindet. Er muss aufrecht stehen bleiben und sich sofort im Boden verankern.

Die drei dünnen Beinchen sollen den Schwung abfedern und eine Gasdüse auf seiner Oberseite soll den Roboter auf den Boden drücken. Schrauben an seinen Füßen sollen sich in den Boden drehen und zwei Harpunen sollen den Roboter zusätzlich verankern. Als Feuerbacher die Systeme in den 90er Jahren plante, musste er sie möglichst flexibel konzipieren. Der Landeplatz auf Tschuri liege prinzipiell im Toleranzbereich des Roboters, sagt er. Aber alle Bauteile müssen nun nach zehnjährigem Flug zum Kometen im richtigen Moment funktionieren. Beim letzten Systemcheck in der Nacht zum Mittwoch hat die Gasdüse keinen Druck angezeigt. Der Hersteller sagte, dass Warten nicht helfe, und so gaben die Missionsmanager grünes Licht für die Landung. Feuerbacher bleibt trotzdem optimistisch: Wenn die Harpunen schnell genug in den Boden eindringen, müssten sie sich festhaken und den Roboter am Boden halten. „Sie klappen dann auf wie ein Regenschirm, wenn sie zurückgezogen werden.“

Ob die Düse eingesetzt hat, ist am Mittwoch um kurz nach 17 Uhr noch nicht klar. Die Flugleiter brauchen ein paar Minuten, um die Daten des Roboters zu interpretieren. Dann melden sie: Die Harpunen sind ausgelöst, der Roboter hat seine Beine wieder eingezogen und sitzt fest auf dem Boden des Kometen. Das ist nicht selbstverständlich, denn die ganze Oberfläche des Kometen ist zerklüftet – auch der Landeplatz, den die Forscher aus zehn Kandidaten ausgewählt haben.

Bei früheren Sonnenumrundungen ist ein Teil des Kometen in der Hitze verdampft. Gas- und Staubfontänen sind ins All geschossen und haben Krater und Schutthalden hinterlassen. Ein beträchtlicher Teil des Landegebiets hat eine Neigung von mehr als 30 Prozent. Das ist zu steil, als dass sich der Roboter noch festhalten könnte. Aber nun spielt das keine Rolle mehr – Philae hat auch Glück gehabt.  Bernd Feuerbacher sitzt mit seiner Frau unter den Honoratioren in den vorderen Reihen. Wie alle springt er auf, umarmt seine Kollegen, greift sich mit beiden Händen an den Kopf, als könne er es nicht glauben.

Vor 21 Jahren wurde entschieden, dass der Roboter mitfliegt

Auf diesen Moment musste Feuerbacher lange warten. Vor 21 Jahren wurde entschieden, dass der Roboter mitfliegt. Bei einer Diskussionsrunde in Darmstadt, mit der sich die Esa die sieben Stunden Wartezeit vertrieb, während Philae auf den Kometen hinabfällt, erzählt Feuerbacher noch einmal die Geschichte seines Babys. Die Esa hatte die Landung eigentlich aus Kostengründen gestrichen. Daher deklarierte er den Landeroboter zu einem Instrument für Rosetta um, bewarb sich im normalen wissenschaftlichen Wettbewerb und bekam den Zuschlag. Den Roboter baute er mit einem Dutzend Partnern. Das Mutterschiff Rosetta wurde von Astrium in Friedrichshafen konstruiert. Bei Philae mussten Forscher ohne Erfahrung ans Werk. „Jeder hatte eigentlich nur das Ziel, sein Instrument auf den Kometen zu bringen“, sagt Feuerbacher. „Aber jeder musste irgendetwas zum System beitragen – sich etwa um die Kommunikation oder die Energieversorgung kümmern.“ Heute arbeitet Feuerbacher noch im Lenkungskreis des Roboters mit – als Ehrenmitglied. Um den Nachwuchs macht er sich keine Sorgen mehr. Seit dem Start der Mission vor zehn Jahren sind zwar drei Generationen von Doktoranden gekommen und gegangen. „Aber wir bekommen viele junge Leute, die sehen: Da passiert was.“

Kurz nachdem die Grußworte gesprochen sind, gibt es beim Abendessen dann wieder besorgte Mienen: Die Gasdüse hat offenbar gefeuert, aber die Harpunen nicht. „Wir sind unten“, sagt Feuerbacher vorsichtig. „Nun müssen wir auch unten bleiben.“ Erst nach 20 Uhr gibt es eine erste offizielle Analyse: Der Projektleiter Stephan Ulamec berichtet davon, wie schwierig es sei, die Daten des Roboters zu interpretieren. Zwischendurch habe er sogar den Eindruck gehabt, dass Philae davonschwebe, aber nun stehe der Roboter mit drei Beinen im vermutlich weichen Boden. „Vielleicht sind wir heute gleich zwei Mal gelandet“, sagt Ulamec. Ein Bild von der Oberfläche gibt es vorerst nicht, gezeigt wird nur eine Aufnahme, die Philae aus drei Kilometer Höhe von seinem Landeplatz geschossen hat. Es zeigt, wie die bisherigen Bilder auch, einen grauen Kometen. Doch dieser Eindruck täuscht: Tschuri ist, wie vermutlich alle Kometen, pechschwarz. Nur weil die Kameras Tausende Grautöne unterscheiden können, also auch zwischen ganz schwarz und nicht ganz so schwarz differenzieren, lassen sich die Bilder so aufhellen, dass man Strukturen erkennt. Etwa zwei volle Tage ist nun Zeit, damit alle Instrumente einmal zum Zug kommen und Messdaten zur Erde schicken, denn so lange halten Philaes Batterien. Danach dürfte die Energie aus den Solarzellen, die ihn ummanteln, reichen, um jeden zweiten Tag einige Stunden zu forschen, schätzt Feuerbacher.

Philae ist nach einer Tempelanlage in Ägypten benannt

Tschuri ist erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts von der Schwerkraft des Planeten Jupiter auf seine aktuelle Bahn gezogen worden. In den 4,6 Milliarden Jahren zuvor kreiste er in weitem Abstand zur Sonne, die von dort aus gesehen nur ein Stern unter vielen ist. Weil die Wärme fehlt, verändert sich nur wenig. Nun kommt Tschuri der Sonne alle 6,5 Jahre bis auf 185 Millionen Kilometer nahe. Das ist zwar immer noch mehr als der Abstand der Erde von der Sonne, aber nahe genug, um den Kometen zu erhitzen. Bis zu 300 Liter Wasserdampf dürfte er bei der größten Hitze in einer Sekunde verlieren. Was ein Komet verliert, zieht er in einem Schweif hinter sich her, der viele Millionen Kilometer lang werden kann. Tschuri ist noch nicht so weit: Er verliert erst einige wenige Liter Wasserdampf pro Sekunde und sein Schweif ist gerade einmal 20 000 Kilometer lang. Erst im August 2015 erreicht er den sonnennächsten Punkt. Auf seiner Reise dorthin wollen ihn die Esa-Forscher begleiten.

Philae ist nach einer Tempelanlage in Ägypten benannt. Dort wurde im 19. Jahrhundert ein Obelisk gefunden, dessen Inschrift half, die Hieroglyphen zu entschlüsseln. Gleiches gilt für den Rosetta-Stein, nach dem das Mutterschiff benannt ist. Nun, da Philae  am Ziel ist, soll auch er klären helfen, wie das Sonnensystem und das Leben entstanden sind. Er kann überprüfen, was die Sonde im Kometenorbit misst. Den Hauptteil der Forschung trage Rosetta, sagt Feuerbacher. Sie umkreist den Kometen schon seit August. Allein aus den bisherigen Daten sind schon fast 100 Fachartikel entstanden.  Wenn die Landung scheitere, bleibe die Rosetta-Mission trotzdem ein Erfolg. „Aber wenn Philae funktioniert, wäre das das Sahnehäubchen.“