In Berlin geht wieder einmal das Gespenst einer rot-rot-grünen Koalition um. Der Grund: Die SPD braucht dringend neue Machtoptionen.

Berlin - Was war das denn jetzt? Nur so eine launengetriebene These, wie sie der inhaltlich sehr mobile SPD-Chef so gerne in den Raum stellt? Oder doch ein veritabler Strategiewechsel der SPD? Sigmar Gabriel schwärmt neuerdings von einem Mitte-Links-Bündnis. „Gemeinsam regierungsfähig“ müssten die linken Parteien werden – als Antwort auf den wabernden Rechtspopulismus im Land. Da ist es wieder: das Gespenst einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Oder geht da wirklich was: strategisch, personell, inhaltlich?

 

Die Strategie

Strategisch kann man die SPD nur zu gut verstehen. Sie will raus aus der Dauerumarmung durch die Kanzlerin. Deshalb steckt Kalkül hinter Gabriels Linksruck. Er ist nach den Erfahrungen der vergangenen beiden Bundestagswahlen überzeugt, Machtfantasien wecken zu müssen, um die SPD interessant zu machen. Einigermaßen realistisch geht das nur mit Rot-Rot-Grün. Die Frage ist nur, ob Gabriel die Rechnung nicht gleich ohne zwei Wirte gemacht hat: Sicher gibt es in der Linkspartei die Pragmatiker, zu denen auch der Bundesvorsitzende Bernd Riexinger zählt, genau so wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Aber in der Linkspartei ist ein Grundsatzstreit längst noch nicht ausgekämpft: Die Gegenposition sieht in der Linkspartei eher eine Bewegung als eine klassische Partei und setzt weniger auf das Parlament als auf gesellschaftliche Bündnisse, von den Gewerkschaften bis zu den Anti-TTIP-Gruppen. Wortführerin dieser Sicht ist mit Sahra Wagenknecht ausgerechnet die rhetorische Großmacht der Partei. Sie ist jederzeit fähig, für ihre Position einen Parteitag in Wallung zu reden. Andererseits kann sich Gabriel aber auch der Grünen nicht sicher sein. Die Verbürgerlichung der Partei macht so rasante Fortschritte, dass es sehr die Frage ist, ob sie überhaupt noch so selbstverständlich ins linke Lager zu zählen sind. In den Ländern koalieren sie längst mit jedem. Die SPD hofft auf die Kraft des Faktischen: Wenn sich nach den Landtagswahlen im September in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zwei weitere rot-rot-grüne Bündnisse auf Landesebene zu dem in Thüringen hinzufügen würden, gewönne die Debatte auf der Bundesebene bei Grünen und Linken dramatisch an Fahrt.

Problem Personal

Die Anhänger von „R2G“, dem schicken Kürzel für Rot-rot-grün, haben noch ein weiteres Problem: Es gibt keine Führungsfigur, die ein solches Bündnis glaubhaft verkörpern kann. Sigmar Gabriel hat ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Das beginnt schon damit, dass er nicht erst bis zur Wahl warten müsste, Grünen und Linken die Hand zu reichen. Rot-rot-grün hat schon jetzt im Bundestag eine Mehrheit. Als Wirtschaftsminister versuchte Gabriel zunächst, sich und seine Partei stramm sozial-liberal zu verorten. Erst seit dem Jahreswechsel änderte er diese Richtung. Die Linkspartei hat zwar mit Bodo Ramelow einen beredten Werber für Rot-rot-grün, mit Sahra Wagenknecht (und Oskar Lafontaine) aber auch blockademächtige Gegner. Übrigens wäre es ein Missverständnis zu glauben, die Wahl des grünen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahlen brächte schon eine Vorentscheidung in der Bündnisfrage. Vielleicht könnte gerade ein Realo-Kandidat wie Cem Özdemir die Partei leichter in ein rot-rot-grünes Bündnis führen,weil er seinen Flügel einbinden könnte.

Inhalt

Inhaltlich wären viele Differenzen zwischen SPD und Linken mittlerweile überwindbar. SPD-Chef Gabriel hat die Höhe der geplanten Rentenabsenkung bereits zur Disposition gestellt. Und die SPD-Führung will im Wahlkampf dafür streiten, den Arbeitsgeberanteil bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkasse wieder dem Arbeitnehmeranteil anzugleichen. Auch das Konzept der Bürgerversicherung steht bei den Linken hoch im Kurs. Und: In der SPD wird nun doch wieder an Konzepten für eine Vermögenssteuer gearbeitet - mit dem Segen Gabriels, der die Vermögenssteuer 2015 eigentlich für tot erklärt hatte. Bei den Grünen allerdings steht die Umverteilungspolitik nicht mehr hoch im Kurs – auch wenn das rot-rot-grüne Bündnis sicher nicht an der Sozialpolitik platzen würde. Raum für neu entdeckte Gemeinsamkeiten lieferte auch die Wirtschaftspolitik – Beispiel Freihandel mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta): Nachdem Gabriel als Wirtschaftsminister die Zustimmung zu beiden geplanten Freihandelsabkommen 2015 noch regelrecht erzwingen wollte, äußerte er sich zuletzt extrem skeptisch, ganz im Sinne von vielen Linken und Grünen.

Die größte Hürde ist also nach wie vor die Außenpolitik. Dabei sind es übrigens Linke und Grüne, die sich regelmäßig die größten Wunden zufügen. Die Linke stellt die Nato-Mitgliedschaft in Frage, ist gegen sämtliche Auslandseinsätze der Bundeswehr, will die Sanktionen gegen Russland aufheben und favorisiert stattdessen in vielen Bereichen einen Schulterschluss mit Moskau. Auch das Verhältnis der Partei zu Israel ist, vorsichtig formuliert, gänzlich ungeklärt. Der pragmatische Flügel der Linken plädiert dafür, Konflikte, die nicht zu lösen sind, ruhen zu lassen. Für das Wagenknecht-Lager sind sie aber der Hebel, alle rot-rot-grünen Signale abrupt auf Halt zu stellen.