Eigentlich soll das neue Prostituiertenschutzgesetz zum 1. Juli bundesweit in Kraft treten. Doch kommen die Länder nicht hinterher. Das baden-württembergische Sozialministerium rechtfertigt den Zeitverzug – steht aber dennoch in der Kritik.
Stuttgart - An diesem Samstag tritt das jahrelang umkämpfte Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Doch schützen tut es die Frauen aus Sicht der Prostitutionsgegner kaum. „Es wird sich nichts ändern“, meint die Stuttgarter Sozialarbeiterin Sabine Constabel enttäuscht. Sie ist Vorsitzende des Vereins Sisters, der mit dem Landesfrauenrat Baden-Württemberg pünktlich zum 1. Juli die Kampagne #RotlichtAus gestartet hat. Diese richtet sich vor allem an die Freier, die mit Plakatbotschaften wie „Dein Spaß ist mein Horrortrip“ verstärkt in die Verantwortung genommen werden. 28 Organisationen wie die katholische Diözese Rottenburg-Stuttgart und mehr als 200 Personen sollen dazu beitragen, die Initiative als bundesweites Netzwerk zu etablieren.
Einführung in den Ländern verzögert sich
Im Grunde kann das Gesetz noch gar nichts ändern, weil sich die Einführung in den Bundesländern stark verzögert. Diese müssen die Durchführungsbestimmungen für die Kommunen erarbeiten. In Stuttgart hat das Regierungskabinett immerhin am vorigen Dienstag das Landesausführungsgesetz beschlossen. Nun kommt dieses in den Landtag, wo es nach einer Anhörung von Experten beschlossen werden muss.
Das Sozialministerium begründet den Zeitverzug mit den engen Umsetzungsfristen. Erst im November 2016 habe der Bund das vor einem Jahr vom Bundestag beschlossene Gesetz an die Länder weitergeleitet. Die Fristen seien dermaßen knapp, dass es kaum möglich sei, die Ausführungsbestimmungen schon jetzt sinnvoll umzusetzen, sagt eine Sprecherin des Sozialministeriums. Viele wichtige Details seien zu bedenken. Sie rechnet nun damit, dass das Gesetz im Herbst im Südwesten realisiert werden kann. Die Kabinettsvorlage vermerkt den 1. Januar 2018 als Startpunkt.
Mehrbelastungen in Millionenhöhe
Bisher hat das Ministerium vor allem mit den kommunalen Landesverbänden geredet. Die Kommunen sind mit ihren Gesundheitsbehörden künftig für die verpflichtenden Anmeldungs- und Beratungsgespräche mit den Prostituierten zuständig. Nach der Registrierung gibt es einen entsprechenden Ausweis. Für die Frauen sollen die Gespräche kostenlos sein, um niemanden abzuschrecken. Weil der erhöhte Personalaufwand bezahlt werden muss, wird den Stadt- und Landkreisen ein Ausgleich für die Mehrbelastungen in Aussicht gestellt. Laut Kabinettsvorlage plant das Land 2017 Mehrbelastungen in Höhe von rund 2,0 Millionen Euro ein. Im Jahr 2018 ergibt sich inklusive der Personalkosten ein „struktureller Mehrbedarf“ von 2,86 Millionen Euro (davon 1,82 Millionen bei den Stadt- und Landkreisen) und 2019 von rund 3,52 Millionen Euro (2,47 Millionen Euro). Von der SPD muss sich Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) deutliche Kritik anhören: „Es ist eine Tragödie, dass unser Sozialminister vor dem Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes des Bundes nicht einmal regeln konnte, wer das Gesetz im Land wie ausführen muss“, rügt Fraktionsvize Sabine Wölfle. Auch die Vorsitzende des Landesfrauenrates, Manuela Rukavina, greift an: Das Sozialministerium lasse bisher wenige positive Ansätze erkennen – was unter Grün-Rot anders gewesen sei.
„Ausbeutern in die Hände gespielt“
Auch sei es noch nicht zu Gesprächen mit Lucha und Innenminister Thomas Strobl (CDU) gekommen. Letzterer ist gefragt, weil Constabel zufolge dringend die Fachkompetenz der Polizei bei den Durchführungsbestimmungen eingeholt werden muss. Die geschulten Experten der Polizei würden wüssten am ehesten, nach welchen Anhaltspunkten gerade die besonders schutzbedürftigen Frauen von 18 bis 21 Jahren sinnvollerweise darlegen, dass sie nicht zur Prostitution gezwungen werden. Der Kriterienkatalog müsste mit den Polizisten gemeinsam erarbeitet werden.
Konkret fordern die Initiatoren der Kampagne ferner, dass die Anmeldepflicht für Prostituierte bei der Polizei angesiedelt und lokal begrenzt wird. Die bisherige Regelung wird laut Constabel dazu führen, dass die Frauen „nach wie vor von einem Ort zum anderen verfrachtet werden können – ohne dass man erfährt, wo sie sich gerade aufhalten“. Solche Strukturen beförderten die Ausbeutung der zumeist jungen Osteuropäerinnen.
Weisungsrecht der Bordellbetreiber nicht beseitigt
Darüber hinaus wird moniert, dass weiterhin kein Nachweis einer Krankenversicherung erforderlich sei, sodass die meisten Prostituierten keinen entsprechenden Schutz hätten. Zudem hätten die Bordellbetreiber weiterhin ein Weisungsrecht gegenüber den Frauen, was beispielsweise Arbeitszeit und Kleidung anbetrifft. „Das spielt Ausbeutern direkt in die Hände“, tadelt Constabel. „Dieses Recht hätte als Erstes abgeschafft werden müssen.“ Die Sisters-Vorsitzende setzt nun darauf, dass die Kommunen ihren Spielraum nutzten, um das Ausführungsgesetz, das lediglich Verwaltungsstrukturen festlege, mit Leben zu füllen. Dabei solle die Stadt Stuttgart mit ihrem einzigartigen Hilfesystem mit gutem Beispiel vorangehen.
Wie viele Prostituierte in Baden-Württemberg tätig seien, kann Constabel nicht sagen. Das neue Gesetz werde, wenn es nach einer Übergangszeit 2019 voll wirksam sei, das Dunkelfeld in jedem Fall verkleinern.
Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe
Die Gegner des Gesetzes – zumeist Bordellbetreiber – ruhen ihrerseits ebenso wenig: Sie haben vor wenigen Tagen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Lobbygruppen wie Dona Carmen kritisieren die neuen Regelungen als „Schandgesetz, das entwürdigende Kontrollen für Sexarbeiterinnen vorsieht und sie zu einer vogelfreien Randgruppe macht“.