Trotz mehrerer Gerichtsurteile eröffnet ein illegaler Sexbetrieb in Stuttgart. Das neue Bordell ist altbekannt, ein tiefrot getünchtes Haus an der Leonhardstraße. Polizei und Justiz sind machtlos.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Stuttgart - Der Hinweis an die Stadt stammte von kundiger Stelle. Bei ihm schräg gegenüber werde die Eröffnung eines Bordells gefeiert – eines illegalen Bordells. Der Anrufer, der diese Information eilig weitergeben wollte, lässt im Erdgeschoss seines Hauses Frauen strippen. In den Zimmern der oberen Stockwerke bieten die Damen weiter gehende Dienste an. Dies legal. Jener Anrufer betreibt eines der wenigen einschlägigen Etablissements in der Stadt, die des Gewohnheitsrechts wegen geduldet sind.

 

Die Information aus der Rotlichtbranche „ist richtig“, sagt Hermann Karpf, der persönliche Referent des Ordnungsbürgermeisters Martin Schairer, „die Stadt hat bereits einen Rechtsanwalt mit dem Fall beauftragt“. Dies allerdings nicht zum ersten Mal. Jener Rechtsanwalt heißt Roger Bohn und hat in Fragen der Prostitution reichlich Prozesserfahrung. Am aktuellen Fall sei „nur neu, mit welcher Dreistigkeit selbst Urteile des Oberlandesgerichts ignoriert werden“, sagt er. Trotz mehrerer Richtersprüche narrt der Hausbesitzer die Stadt nicht nur mit einem Bordell.

Das neue Bordell ist altbekannt

Üblicherweise dauert es Jahre, bis ein Gericht auch nur darüber urteilt, ob Dirnen in einem Haus rechtswidrig anschaffen. Im aktuellen Fall ist ein solches Grundsatzverfahren überflüssig. Das neue Bordell ist altbekannt, ein tiefrot getünchtes Haus an der Leonhardstraße. Schon beim Verkauf hatte die Stadt ein Prostitutionsverbot vertraglich festschreiben lassen – um festzustellen, dass der Käufer den Passus missachtete und erstmals dagegen zu klagen.Im Februar 2009 untersagte das Landgericht den Sexbetrieb an dieser Adresse. Der Besitzer ging in die Berufung. 14 Monate später urteilte auch das Oberlandesgericht, dass der Betreiber das Bordell zu schließen hat. Eine Missachtung könnte laut Richterspruch mit einer Geldstrafe von bis zu 250 000 Euro geahndet werden, ersatzweise mit sechs Monaten Haft. Mit Hilfe dieser Grundsatzentscheidung könne die Stadt in künftigen Fällen „rasch und konsequent ihre Rechte durchsetzen“, meinte damals Bohn.

Das war offenkundig ein Irrtum. Zwischenzeitlich musste jener Hausbesitzer 50 000 Euro Strafe zahlen und schloss das Bordell tatsächlich. Seit vergangenem Freitag sind nach Erkenntnis der Stadt aber alle  Zimmer wieder mit Dirnen belegt. Der Hausbesitzer „nutzt den Rechtsstaat gnadenlos aus“, sagt Bohn. Schlicht, weil ihm selbst nach einer Geldstrafe von einer Viertelmillion Euro noch ein satter Gewinn bliebe. Die Frauen zahlen pro Tag und Zimmer mehr als 100 Euro Miete. Während der  Prozesszeit, an deren Ende jene 50 000 Euro Strafe standen, kamen nach Bohns Rechnung rund 1,5 Millionen Euro Einnahmen zusammen.

Es handelt sich nur um einen Verstoß gegen das Baurecht

Obwohl der Betrieb an der Leonhardstraße   unzweifelhaft rechtswidrig ist, bleibt der Polizei nicht mehr zu tun, als „die Personalien der Frauen und der Angestellten zu überprüfen“, sagt der Polizeisprecher Thomas Geiger, „wenn keine Straftat wie Menschenhandel vorliegt, ist der Fall für uns damit erledigt“. Der Sexbetrieb als solcher ist grundsätzlich keine Angelegenheit des Strafrechts, sondern lediglich ein Verstoß gegen das Baurecht.Das Ergebnis des neuerlichen Prozesses steht laut Bohn fest: „Am Ende des Tages werden wir gewinnen.“ Was alle Beteiligten bis dahin erwartet, ist allerdings ebenso unzweifelhaft: Jede Art juristischer Kniffe, mit denen ein Urteil hinauszuzögern ist. Gegen den gleichen Hausbesitzer prozessiert die Stadt wegen eines weiteren Bordells, ebenfalls an der Leonhardstraße.

Die Klage ist seit dem April 2010 eingereicht. Im bisherigen Verlauf des Verfahrens „hat die Gegenseite Befangenheitsanträge gegen so ziemlich jeden eingereicht, der die Akten einmal in den Händen hatte“, sagt Bohn. Nach jahrelangem Hickhack sollte der Prozess vor dem Landgericht im vergangenen Oktober beginnen. Allerdings musste der Auftakt erneut verschoben werden. Der Rechtsanwalt des Beklagten hatte sich krankgemeldet.