Der Gemeinderat will drei Bauten im Leonhardsviertel aus dem Besitz der Stadt an die städtische Wohnungsgesellschaft SWSG verkaufen. Dagegen haben 1700 Stuttgarter unterschrieben.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Dass zwischen diesen Parteien je Einigkeit herrscht, schien ausgeschlossen: Der hiesige Ableger von Terre des femmes steht auf einer Protestnote über dem zweier Bordellbetreiber, zusammen mit 1700 anderen. Rechnerisch kam im Fünf-Minuten-Takt eine Unterschrift auf einer Online-Petition an Oberbürgermeister Fritz Kuhn hinzu – die Nachtstunden eingerechnet.

 

Angesichts des Anlasses ist das Ausmaß der Empörung bemerkenswert: Die Stadt will drei Häuser an ihre eigene Wohnungsgesellschaft SWSG verkaufen. Dagegen protestieren jene 1700 Unterzeichner. Grundsätzlich ist der Verkauf eine Formalie, schließlich ist Aufgabe der SWSG, den städtischen Immobilienbestand zu verwalten. Allerdings gehören diese Häuser zu den ältesten der Stadt. Und sie stehen im Leonhardsviertel, dem Rotlichtbezirk.

Wohlgemerkt dem überwiegend illegalen Rotlichtbezirk. Die Mehrzahl der Milieuhäuser wird widerrechtlich betrieben. Selbstverständlich hat die Stadt angekündigt, das Viertel von illegaler Prostitution zu befreien. Die Erfolge dabei sind allerdings mäßig. Zur Zeit der ersten Ankündigung hieß der Oberbürgermeister Manfred Rommel. Sie ist fast auf den Tag genau 30 Jahre alt. Zuletzt hatte Rommels Nach-Nachfolger Fritz Kuhn seinen eigenen Masterplan angekündigt. Der ist offenkundig noch in Arbeit. Auch das Einschalten der SWSG war in der Vergangenheit ein Fehlschlag. Derzeit streitet die Stadt neuerlich mit dem Besitzer des illegalen Bordells an der Leonhardstraße 16 vor Gericht. Verkauft hatte ihm das Haus eben die städtische Wohnungsgesellschaft.

Ein Milieubetrieb hat ebenfalls Kaufinteresse angemeldet

Derlei weckt Misstrauen oder – je nach Lesart – Begehrlichkeiten. Einer der legalen Milieubetriebe hat ebenfalls Interesse an jenen Häusern angemeldet. Das Angebot wird der Gemeinderat mit hoher Gewissheit ablehnen. Zwar schreibt die Stadt Immobilien vor einem Verkauf üblicherweise aus und sammelt Gebote, aber „dazu besteht keine rechtliche Verpflichtung“, sagt Thomas Zügel, der das Liegenschaftsamt leitet. Gegen das Gesetz sei lediglich, Häuser unter Marktpreis zu verkaufen.

Die Stadt hat den Wert jener Immobilien auf knapp 1,4 Millionen Euro taxiert. Hinzu kommen die Kosten für die dringend nötige Sanierung der historischen Bauten. Nach bisheriger Rechnung wird „die Kostendeckung knapp erreicht“, teilt die SWSG mit. In den Gemeinderatsunterlagen ist vermerkt, dass „die Sanierung für die Stadt unwirtschaftlich wäre“. Laut SWSG ist das Ziel, „qualitätsvollen Wohnraum zu schaffen“. Wiederum in den Gemeinderatsunterlagen ist sogar von „einer sozialen Einrichtung“ zu lesen.

Offiziell sind diese Papiere Verschlusssache. Die Entscheidung über ein Ja oder Nein zum Verkauf wird der Gemeinderats-Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen am heutigen Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit fällen. Vor der Sitzung wird Heinrich Huth die Liste der Protestunterschriften an Bürgermeister Michael Föll übergeben. Der Vorsitzende der SPD in der Stadtmitte hat die Petition initiiert. Unterzeichnet „haben nicht Hinz und Kunz, sondern engagierte Stuttgarter“, sagt er. „Das ist an den Kommentaren abzulesen.“

Auf der Protestliste stehen etliche bekannte Namen

In der Tat finden sich auf der Liste etliche bekannte Namen aus dem Viertel und seiner Umgebung. Prominenteste Unterstützerin dürfte die SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt sein. Die meisten derjenigen, die ihren Protest begründet haben, fordern die Rettung der historischen Altstadt oder fürchten sich ausbreitende Prostitution. Die rund 1700 Unterschriften „sind ein super Erfolg“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, „nachdem sich 20 Jahre niemand fürs Viertel interessiert hat.“ Sie empfiehlt, die Entscheidung zu vertagen, um die Bürger zu beteiligen.

Ob der Ausschuss sich vom Protest oder Rat beeindrucken lässt, ist fraglich, denn eine Vertagung hatte die SPD im Gemeinderat bereits erfolglos beantragt. Selbst die Grünen – die die Rettung des Leonhardsviertels zur Kernaufgabe erklärt haben – mochten nicht zustimmen. „Wir sehen die Häuser bei der SWSG in guter Hand“, sagt deren Fraktionsvorsitzende Silvia Fischer. Verloren sei mit der Übertragung nichts, weil im Aufsichtsrat der Gesellschaft Stadträte über An- und Verkäufe entscheiden, dies im gleichen Mehrheitsverhältnis wie im Gemeinderat. Ungeachtet dessen hat die Gesellschaft eben jenes Haus an der Leonhardstraße 16 verkauft, um das seit Jahren juristischer Streit herrscht. Seinerzeit seien die Mehrheiten eben noch andere gewesen, reklamiert Fischer. „Wir Grünen waren immer gegen solche Verkäufe.“ Geholfen hat es freilich nichts.