Flüchtlinge scheinen das Rotlichtviertel für sich entdeckt zu haben – zum Ärger von Anwohnern, Prostituierten und Bordellbetreibern. Weil die Aggressionen und auch Drogengeschäfte zunehmen würden, fordern sie mehr Polizeipräsenz in ihrem Viertel.

Stuttgart - Er sei häufig hier, sagt der Passant mit ausländischem Akzent. Der 42-Jährige ist einer der wenigen Männer, die den Grund für ihren Besuch im Stuttgarter Rotlichtviertel zugeben: Er geht regelmäßig ins Bordell, weil seine Frau seine sexuellen Vorlieben nicht teilt. „Für 80 Euro bekomme ich bei den Prostituierten das volle Programm – auch ohne Kondom“, sagt er. Seine Beobachtungen in und rund um die Leonhards- und Weberstraße: Es gebe mehr Prügeleien als noch vor etwa einem Jahr – und vor allem: „Der Drogenkonsum, der eine Zeit lang so gut wie verschwunden war, nimmt wieder zu.“ Dass Drogendeals vor seiner neu eröffneten Tapas-Bar getätigt werden, beobachtet auch Javier Sanz. „Ich seh’ sogar die Spritzen rumliegen“, sagt er und befürchtet, dass die „gute“ Kundschaft ausbleibt, wenn die Polizei nicht häufiger im Viertel kontrolliert. „Die fahren nicht durch, sondern nur vorbei“, stellt er fest.

 

Anwohner fühlen sich durch Flüchtlinge belästigt

Es ist Freitag, 22.30 Uhr. Die Zahl der Nachtschwärmer ist überschaubar. Auch in Stuttgarts Amüsierzone macht sich die Ferienzeit bemerkbar. Obwohl zur Zeit nicht viel los ist, wünschen sich viele Anwohner, Wirte und auch Bordellbetreiber im Viertel eine größere Polizeipräsenz – wie zum Beispiel auch Roman Hecht. Der 47-Jährige wohnt am Bopser. Wenn er abends mit seinem Hund spazieren geht, macht er öfter einen Abstecher in die Altstadt. Erst neulich habe er die Polizei gerufen, weil Rowdys mit Flaschen geworfen hätten. „Die haben mir gesagt, dass sie Besseres zu tun hätten als hier nach dem Rechten zu sehen“, sagt Hecht. Ein anderes Mal habe eine Prostituierte den Sicherheitsdienst im Bordell zu Hilfe gerufen, weil ein Albaner eine Prostituierte geschlagen hatte. Der Sicherheitsdienst habe die Polizei alarmiert. Die Beamten hätten den Albaner zwar mitgenommen. Da die Prostituierte keine Anzeige erstattet habe, sei er aber eine halbe Stunde später wieder vor dem Bordell gestanden. Ein Anwohner, der gerade nach Hause kommt, ist überzeugt: „Würde sich die Polizei öfter blicken lassen, würde weniger passieren“.

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Vor allem durch Gruppen junger Flüchtlinge fühlen sich Wirte, Anwohner, Bordellbetreiber und Prostituierte zunehmend belästigt. „Die Deutschen trauen sich gar nicht mehr in die Bars und Bordelle“, sagt eine Animierdame, die vor der Tür auf Gäste wartet. In ihrem Etablissement haben Flüchtlinge Hausverbot. „Die kommen rein, bestellen Bier, Sex und beschimpfen die Frauen“, sagt sie. Hausverbot haben Flüchtlinge mittlerweile auch in anderen Bordellen im Leonhardsviertel. Wo das nicht der Fall ist, riskieren die Betreiber, dass die Prostituierten ausziehen. In Schutz nimmt eine deutsche Prostituierte die Flüchtlinge: „Oft haben die nicht die vereinbarte Leistung bekommen. Klar reagieren die sauer.“

Die Ausschreitungen sind laut Polizei strafrechtlich nicht relevant

Dass zwischen den Ausschreitungen und dem Flüchtlingsstrom ein Zusammenhang besteht, hat die Polizei zwar bestätigt. Allerdings würden sich Konflikte nicht im strafrechtlich relevanten Bereich abspielen, so Polizeisprecher Olef Petersen. Er sagt: „Bei der Auswertung unserer Statistik haben wir nicht feststellen können, dass die Zahl der Straftäter unter den Flüchtlingen im Rotlichtviertel gewachsen ist“ . Petersen räumt ein, dass die Flüchtlinge das Milieu für sich entdeckt hätten und der Zulauf enorm sei.

„Im vergangenen Jahr musste das Drei-Farben-Haus kurzfristig schließen, weil sich zu viele Flüchtlinge in den Gängen gedrängt haben“, erinnert er sich. Auch dass diese Personengruppe „verbal sehr aggressiv“ auftritt, bestätigt Petersen. Seine Erfahrung: „Viele gehen in die Laufhäuser, um sich die halb nackten Frauen anzugucken.“ Eine Prostituierte bestätigt: „Die kommen zum Gaffen und Grapschen.“ Das Problem hat sich laut Petersen durch das Hausverbot für Flüchtlinge in den meisten Bordellen so gut wie erledigt. Petersen: „Die privaten Sicherheitsleute lassen die nicht mehr rein.“

Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) weist darauf hin, dass es in der Landeshauptstadt problematischere Brennpunkte als das Leonhardsviertel gebe. „Es ist nicht so viel los, dass die Beamten dauernd durchfahren müssen“, ist e r überzeugt und erinnert an die Schusswechsel, die noch in den 60er und 70er Jahren stattfanden. Trotzdem soll das Viertel, das durch Poller für Autofahrer gesperrt ist, beim Wilhelmsplatz geöffnet werden, damit die Polizei häufiger durchfährt. Vor allem aber, damit sie in Notsituationen schnell im Viertel ist und nicht erst den Poller rausnehmen muss. Den Vorwurf, untätig zu sein, weist die Polizei indes vehement zurück. „Die Kollegen sind in Zivil vor Ort. Dass sie da sind, beweist doch, dass der Straßenstrich so gut wie verschwunden ist“, sagt Petersen. Auf der Straße bieten sich tatsächlich kaum Prostituierte an. Statt des Handels mit Sex lässt sich aber der Deal mit Drogen beobachten – in dieser Freitagnacht zumindest einmal. Mehr ist in dieser Nacht nicht passiert. Am darauf folgenden Tag hat ein Freier eine Prostituierte verprügelt und vergewaltigt. Der Täter soll laut Polizei kein Flüchtling gewesen sein .