Hochamt des Jazz: Der internationale Trompeten-Star Roy Hargrove gibt heute Abend im Bix einen Vorgeschmack auf die im Juli stattfindenden Jazz Open.

Steuttgart - Der 48-jährige Jazztrompeter Roy Hargrove aus Waco in Texas ist ein Paradebeispiel für die Attraktivität und die Buntheit der Jazz Open Stuttgart, die vorgestern zum Festival des Jahres gekürt wurden. Jürgen Schlensog, Geschäftsführer der veranstaltenden Opus GmbH, stellte vor 1400 Gästen in der Frankfurter Festhalle klar: „Der Jazz ist die Wurzel all dessen, was wir tun.“ Im Lichte des Erfolgs der Jazz Open und dem Preis der deutschen Musikveranstalter sollten all jene Puristen ein wenig kleinlauter werden, die monieren, dass das Festival zu viel Open und zu wenig Jazz bieten würde. Zumal mit den Jazztagen im Theaterhaus an Ostern und den Stuttgarter Jazztagen im Herbst jährlich zwei reine Jazzfestivals in der Landeshauptstadt erfolgreich über die Bühne gehen.

 

Roy Hargrove wird heute mit seinem Quintett im ausverkauften Bix, der Herzkammer der Jazz Open, für Furore sorgen. Als der junge Mann noch in Dallas auf die High School ging, entdeckte ihn der große Jazztrompeter, Band-Leader und Musikpädagoge Wynton Marsalis. Schon bald kam Hargrove nach New York, in den brodelnden Hot Spot des Jazz, stieg als Young Lion blitzschnell die Karrierestufen hinauf – fast so schnell, wie er chromatische Tonleitern übte. Übrigens auf einer an der Zimmerdecke befestigten Trompete, um seinen Ansatz weiter zu verbessern. Hargrove gewann Grammys für eigene Alben wie „Habana“ und trat mit allen möglichen Jazzgrößen wie etwa Sonny Rollins auf, die sein cooles Auftreten, seine Ideendichte und seinen messerscharfen Sound schätzten. Der endgültige Ritterschlag erfolgte 2014, als der Trompeter in eine All-Star-Band mit Herbie Hancock an den Tasten, Gitarrist John Scofield, Saxofonist Kenny Garrett und der weiblichen Rhythmusgruppe Sheila E und Terri Lyne Carrington berufen wurde. Nicht wenige fühlten sich damals beim All-Star Global Concert in Osaka an den jungen Miles Davis erinnert, als Hargrove an der Seite von dessen einstigem Pianisten Herbie Hancock zu fulminanten Improvisationen ansetzte und vehement zur Attacke blies.

Beim Kauf von Kokain erwischt

Vielleicht verlief dieser kometenhafte Aufstieg etwas allzu rasch für den dunkelhäutigen Texaner, jedenfalls wurde er zu zwei Tagen Sozialarbeit verdonnert, weil er beim Einkauf von Kokain erwischt worden war. Hargroves Spiel litt nicht darunter: Es besticht durch makellose Phrasierung, lakonische Prägnanz, Leichtigkeit und Einfallsreichtum, mit dem Melodien variiert und Harmonien überraschend aufgefächert werden. Seinen Kollegen mit einem Faible fürs Sperrige schreibt er ins Stammbuch: „Jazzmusiker zu sein heißt, das Songbook zu kennen, sich in den Harmonien auszukennen und Akkordfolgen zu erfinden, die nicht immer nur dissonant und hässlich klingen, sondern ganz einfach auch schön.“

Hargrove sieht sich als einen jener Jazzer, die die Tradition von Saxofonist Charlie Parker, Trompeter Dizzy Gillespie oder Louis Armstrong aufrechterhalten. Sein Respekt vor der Tradition bedeutet aber nicht vergangenheitsseliges Nachspielen bewährter Muster. Hargrove führt seinen strahlenden Hardbop aus dem musealen Schatten ins Heute, ins bunt flackernde Neonlicht der Metropolen, das sich in den Pfützen der nächtlichen Straßen von New York spiegelt. Schon vor fünfzehn Jahren schloss er seinen Jazz mit Trip-Hop, Soul und Funk kurz. „Ich wuchs in der Hip-Hop-Ära auf, das ist die Musik meiner Generation.“

Balladenstille nach dem Sturm

Seinem Vater, einem eifrigen Plattensammler, widmete Hargrove sein Projekt The RH Factor, weil der der ihn aufgefordert hatte, nicht immer Jazz zu spielen, sondern auch „funky, wie die jungen Leute heute“. Da eröffnete sich für den jungen Neo-Bopper im Windschatten des Traditionalisten Wynton Marsalis eine neue Dimension, die ihn zu einem der wichtigsten Jazzmusikern der Neuen Generation machen sollte. Hargrove fühlt sich heute im afro-kubanischen Kontexten ebenso wohl wie im Fusion Jazz, im Blues, Funk oder eben im Hip-Hop. Sein akustisches Quintett, mit dem er heute Abend um 20 Uhr 30 im Bix auftreten wird, folgt mit stringentem Groove dem Erbe des Hard Bop, den Hargrove auf Vordermann bringt und mit dem er seine Kollegen anspornt. Wesentlich dabei ist der Ensembleklang.

Der Mann, der sich gerne scharf kleidet wie ein Dandy und auch nachts im Club oft Sonnenbrille und teure weiße Basketballschuhe trägt, geht völlig in seiner Musik auf. Er genießt die Balladenstille nach dem Sturm des Hardbop, greift zum Flügelhorn und spielt ausgesprochen beseelt, weich und warm. Ein brillanter Musiker, der sich von seiner empfindsamen Seite zeigt, bevor das Quintett, eine heftig groovende Post-Hard-Bop-Maschine, wieder anspringt, mit sonorem Sound beschleunigt, auf Touren kommt, damit der coole Chef zu seinen fantastischen Höhenflügen ansetzen kann. Der Mann ist vielseitig, sein Spiel ist mitreißend – ein Paradebeispiel und Vorbote der Jazz Open, die im Juli auf zahlreichen Bühnen ihre 25-jährige Festivalgeschichte feiern werden.