Das Disko-Pop-Duo Modern Talking war eine der erfolgreichsten deutschen Bands. Dieser Tage wäre sie dreißig Jahre geworden. Wie RTL ein Helden-Denkmal meißelt.

Stuttgart - Sie waren eine dieser Bands, von denen man nur einige Takte spielen musste, und schon lief vor dem inneren Auge ein Film ab. Zwei höhensonnen-gegerbte Vorstadt-Winnetous, der eine blond, ballonseiden und bodenständig, der andere brünett und feminin. Sie wirkten wie Wesen von einem anderen Stern, wenn sie in den achtziger Jahren in Großraumdiskotheken nebeneinander standen, hier der Blonde mit einem Keyboard am Hals und dort der andere mit einer schweren Silberkette, an der die Buchstaben seiner Freundin baumelten: „Nora“

 

Oje, wo sind die denn ausgebrochen, dachte man, wenn die beiden ihr überschaubares Repertoire ausbreiteten: Songs über die Liebe, verpackt in diesen damals in Europa so populären Italo-Diskopop. Und Lieder, die sich wurmartig in die Gehörgänge schraubten, ob man das wollte oder nicht. „Modern Talking“, so nannten Dieter Bohlen und Thomas Anders ihr Projekt. Muss man noch erwähnen, dass sie mit fünf Nummer-Eins-Hits in Folge und 125 Millionen verkauften Tonträgern weltweit als eine der erfolgreichsten deutschen Bands ein Kapitel Musikgeschichte geschrieben haben?

Griff in die Band-Kasse

Dieser Tage hätte die Band ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert, wenn sie sich nicht schon zweimal wieder aufgelöst hätte. Grund genug für RTL, die bewegte Geschichte dieser Formation zu dokumentieren. „Modern Talking – die ganze Wahrheit.“ Wobei man darauf vertrauen kann, dass RTL dem Publikum die pikantesten Details aus dem jahrelangen Rosenkrieg zwischen Anders und Bohlen erspart hat, der jahrelang den Boulevard in Atem hielt. RTL ist schließlich der Haus- und Hofsender von Dieter Bohlen, 60.

Der „Pop-Titan“ aus Tötensen, wie sich Bohlen selber nennt, leiht dem Sender noch immer sein Gesicht, wenn er als Chef-Juror der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) den Daumen über Nachwuchstalente hebt und senkt. Ernstzunehmende Stars hat das Format noch nicht hervorgebracht, aber das, sagen Kritiker, liege ja auch in der Natur der Sache. Denn was sei DSDS anderes als eine Bühne und Verwertungsmaschine Dieter Bohlen? Wo, wenn nicht hier, würden seine eilig zusammengeklöppelten Kompositionen noch recycelt werden? Songs, die seinen Ruf als Plagiator immer mal wieder zementieren? Bohlen und Anders sind heute heillos zerstritten. Der Produzent warf dem Sänger vor, er habe in die Bandkasse gegriffen. Anders zog vor Gericht und rächte sich mit fiesen Bemerkungen über Bohlen in seiner eigenen Biographie („100 Prozent Anders“). Doch weil Geld nicht stinkt, haben sie sich zum dreißigsten Geburtstag noch einmal zusammengerauft und eine CD herausgegeben.

„Ein büschen wie beim Mercedes“

Für ein Comeback auf der Bühne hat es jedoch nicht mehr gereicht. Modern Talking Fans, und davon gibt es heute immer noch eine ganze Menge, vor allem in Osteuropa, werden es mit Bedauern zur Kenntnis genommen haben. Bohlen verkauft die Absage als Heldentat. „Ich habe die Welt doch vor einer Katastrophe gerettet“, verkündete er jüngst in einem Interview mit dem People-Magazin Closer. „Ein Comeback von Modern Talking wäre so gewesen, als wenn ein Dinosaurier auf dem Marktplatz umfällt.“

Das ist Bohlen, wie ihn seine Fans lieben. Ein Mann, über den Kollegen sagen, er sei in erster Linie ein gerissener Geschäftsmann und erst in zweiter Linie Musiker und Komponist. Aber eben auch einer, der gut verkaufen kann, vor allem sich selber. Das Erfolgsrezept für die Hits der Marke Modern Talking beschreibt er selber so: „Es ist ein büschen wie beim Mercedes. Du musst alles ein bisschen gleich lassen, damit die Leute nicht geschockt sind, aber ein paar Sachen ändern.“

Verpackung ist so wichtig wie der Inhalt

Dieser typische Bohlen-Ton trägt auch die zweistündige Dokumentation. Es ist ein Helden-Denkmal, das RTL seinem Aushängeschild gemeißelt hat – mit freundlichen O-Tönen von Thomas Anders als Zugabe. Der Film beleuchtet die bewegte Geschichte von Modern Talking, vom Dauer-Zoff mit Anders dominanter Ex-Freundin Nora bis zur feierlichen Wiedervereinigung der beiden 1998 bei „Wetten, dass . . ?“ Der Film gibt aber keine Antwort auf die Frage, wie es zwei gefönte Witzfiguren geschafft haben, die Welt mit mittelmäßigen Popnummern zu erobern. Erfolg, so lautet das Rezept, ist vor allem eine Frage der PR. Früher als andere hat Bohlen erkannt, dass das Image und die Verpackung für den Wiedererkennungswert genauso wichtig sind wie der Inhalt, je umstrittener, desto besser. Es entbehrt nicht der Ironie, dass er mit dieser Masche bis heute Erfolg hat.

Mittwoch, RTL 20.15 Uhr